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„Wir leben in der Endzeit“

Heute eröffnen die USA ihre Botschaft in Jerusalem. Während es international heftige Proteste gibt, feiern viele evangelikale Christen in Israel Trumps Entscheidung als Meilenstein auf dem Weg „zur Rückkehr des Messias“

Joseph Mireles

Ein fallender Stern, das himmlische Jerusalem, eine Schlacht von Armageddon. Feuer, Dämonen, der Antichrist. Die Offenbarung aus dem Johannesevangelium geizt nicht mit Endzeitstimmung und Blutvergießen. Die Schilderungen sind ein Zeugnis der Christenverfolgung im Römischen Reich, sagen viele Historiker. Sie kündigen den bevorstehenden Weltuntergang an, sagen viele evangelikale Christen. „Wir leben in der Endzeit. Das ist sicher“, sagt Joseph Mireles aus Jerusalem. Genau wie seine Lebensgefährtin Zeporah Rodriguez glaubt Joseph an die biblische Offenbarung. Die besagt ihrer Auffassung zufolge, dass Jesus Christus eines Tages in die Stadt Jerusalem zurückkehren, die Menschheit in einen letzten Kampf führen und dann die Welt in Frieden regieren wird. 

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 Messiah Guest House

Von der Terrasse des Messias-Hostels blickt man auf den Berg Zion. Dort oben soll nicht nur König David bestattet worden sein, auch Oskar Schindler liegt hier begraben

Mit dieser Überzeugung ist das Paar aus Jerusalem nicht allein: Allein 55 Millionen Evangelikale leben in den USA, nur rund 10 Millionen weniger im bevölkerungsärmeren Brasilien. Für viele von ihnen ist die letzten Dezember von Trump verkündete Entscheidung, die US-amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und dieses als Hauptstadt Israels anzuerkennen, ein erster Schritt in Richtung Erlösung. Denn nur wenn alle Juden nach Israel zurückkehren und das Land bevölkern, so ihre Überzeugung, wird auch ihr „Heiland“ wieder erscheinen. Am 14. Mai – und damit am 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel – sollen die Mitarbeiter der US-Botschaft offiziell in ihre neuen Räumlichkeiten in Jerusalem einziehen.

Laut einer Analyse des Pew Research Center haben rund 80 Prozent der selbsterklärten weißen Evangelikalen ausgesagt, dass sie für Trump gestimmt haben. Eine andere Umfrage des Thinktanks Brookings Institution ergab, dass 53 Prozent dieser Wählergruppe Trumps Jerusalem-Entscheidung für eine gute Idee hielten. Von der jüdischen Wählerschaft in den USA glauben dagegen nur 16 Prozent, dass der sofortige Umzug der Botschaft sinnvoll ist, weitere 36 Prozent halten die Entscheidung grundsätzlich für richtig, den Zeitpunkt aber angesichts des Nahost-Konflikts für problematisch. 

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 Zeporah Rodriguez und Joseph Mireles

Joseph Mireles und Zeporah Rodriguez führen zusammen das Messiah Guest House in Jerusalem und sind nach eigenen Angaben erst seit der Sache mit der Botschaft „richtige Trumper“

Zahlreiche Evangelikale verweisen auf einen Bibelvers, dem zufolge Gott dem israelitischen Volk versprochen haben soll: „Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen“. Wer davon überzeugt ist, kommt kaum umhin, sich mit Israel zu solidarisieren – und Trump mit Spenden und politischer Unterstützung zu einer proisraelischen Politik zu bewegen. Seit dem Wahlkampf 2016 hat Präsident Trump auch einen eigenen evangelikalen Beraterstab. 

Auch er sei seit der Sache mit der Botschaft „ein richtiger Trumper“, sagt Joseph Mireles und setzt seine Baseballcap auf. Der hebräische Schriftzug „Er ist das Leben“ prangt in blauen Lettern auf seiner Stirn. In Jerusalem leitet Joseph mit seiner Lebensgefährtin das sogenannte Messias-Gästehaus. Für Pilger und Sinnsuchende hält es vier Zimmer bereit, Instantkaffee, selbst gebackene Frühstückskekse und ein Esszimmer mit Blick auf den Ölberg. „Dort, wo der Heiland auf einem weißen Pferd hinunterreiten wird“, sagt Zeporah. Die US-Amerikanerin erzählt von ihrer Ankunft in Israel, von Fotografie und Tourismus und dann wieder von den zwölf Heeren der zwölf Stämme Israels, von 144.000 Kämpfern, die laut Bibel für den großen Krieg aufmarschieren werden. Angst habe sie keine. „All das bedeutet ja bloß, dass der Heiland endlich zurückkehren wird“, schließt sie. 

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International Christian Embassy Jerusalem

Mitarbeiter der sogenannten Internationalen Christlichen Botschaft heißen jüdische Einwanderer am Rollfeld willkommen

Zehn Minuten Fahrtzeit von Joseph und Zeporah entfernt befindet sich das Zentrum der sogenannten „Deutschen Kolonie“ in Jerusalem, die Ende des 19. Jahrhunderts von protestantischen Templern aus Württemberg mitgegründet wurde und heute eine Wohn- und Wirtschaftsgegend ist. Hier lenkt der promovierte Chemiker Jürgen Bühler die Geschicke der mit Israel sympathisierenden Evangelikalen, der sogenannten christlichen Zionisten. „Unsere Gemeinschaft ist auf weltweit 750 Millionen Mitglieder angewachsen. Evangelikalismus ist das derzeit am schnellsten wachsende Bekenntnis.“ Bühler ist Präsident der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem, die in über 90 Ländern vertreten ist. Dass ein Deutscher in Jerusalem auf dem Chefsessel sitzt, ist erstaunlich – in der deutschen Bevölkerung machen Evangelikale gerade mal ein Prozent aus. Bühler, selbst gebürtiger Schwabe, wählt seine Worte mit Bedacht; sein Job bedeutet einen täglichen Spaziergang durch ein politisches Minenfeld. Die Israelis, sagt Bühler, würden ihn als Unterstützer schätzen und als Missionar fürchten. Die arabischen Christen als Glaubensbruder achten und als Zionisten verabscheuen. 

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Christian Embassy Jerusalem

Nicht zu verwechseln mit dem Pamphlet aus der Einkaufsstraße: eine Publikation zum jüdischen Laubhüttenfest in der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem

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Dr. Jürgen Bühler

Weiß, wo's lang geht: Der gebürtige Schwabe Jürgen Bühler ist Präsident der Institution und lenkt von der „Botschaft“ aus die Geschicke der mit Israel sympathisierenden Evangelikalen

In christlich-zionistischen Kreisen wie jenem von Bühler war nach Trumps Entscheidung die Freude groß. In Ost-Jerusalem, wo überwiegend Palästinenser leben, kam es zu gewalttätigen Protesten und Streiks, in Kairo, Beirut, Jakarta und auch Deutschland zu wütenden Aufmärschen. Arabische Christen in Betlehem und Ramallah löschten die Lichter ihrer Weihnachtsbäume. Die militante palästinensisch-islamistische Hamas rief zu einer dritten Intifada auf. Gleichzeitig wurden Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert – die israelische Armee antwortete mit Angriffen auf militärische Einrichtungen der Hamas. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan berief einen Sondergipfel der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) ein. Mindestens 20 islamische Länder beschlossen, Ost-Jerusalem fortan als Hauptstadt Palästinas anzuerkennen.

Neben Angela Merkel kritisierte auch Theresa May Trumps Entscheidung. Die britische Premierministerin verkündete, dass Großbritannien nicht mit der Entscheidung der USA übereinstimme, Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen, bevor es zu ein endgültiges Statusabkommen gebe: „Wir glauben, dass es in Bezug auf die Aussichten für Frieden in der Region nicht hilfreich ist. Die britische Botschaft in Israel hat ihren Sitz in Tel Aviv, und wir haben nicht vor, sie zu verlegen“, fügte sie hinzu. Auch vier Monate nach der Ankündigung Trumps hat sich die Situation im Gazastreifen noch nicht wieder beruhigt.

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Joseph Mireles

Satellitenfernsehen sei Dank, lassen sich im Messias-Hostel auch US-amerikanische Sender empfangen

Josh Reinstein stört das alles nicht. „Die Änderung des Status von Jerusalem ist unser bisher größter Triumph“, sagt der Präsident der NGO und Lobbyorganisation Israel Allies Foundation in einem Café mit Blick auf den Strand Tel Avivs. Ein Triumph, der auch überzeugten Christen zu verdanken sei, und zwar nicht nur den evangelikalen: „Sie sind ohne Zweifel die treuesten Helfer Israels.“ 2012 wurde Reinstein von der „Jerusalem Post“ zu einem der 50 einflussreichsten Juden der Welt gekürt. Für ihn spielt es keine Rolle, ob seine Unterstützer katholisch oder orthodox, calvinistisch oder evangelikal sind. Reinstein, selbst gläubiger Jude, ist Gründer der sogenannten „glaubensbasierten Diplomatie“: „Als uns viele Nationen während der Zweiten Intifada den Rücken zukehrten, standen die Christen weiter hinter uns.“ Gemeinsam mit dem Politiker und Journalisten Yuri Stern gründete Reinstein 2004 den Knesset Christian Allies Caucus, ein parlamentarisches Gremium, das ein Netzwerk zu Parlamentariern und anderen Ausschüssen in fast 40 Ländern pflegt. In der Knesset, dem Parlament Israels, hat Reinstein den Vorsitz des Christian-Allies-Ausschusses und sieht nichts Verwerfliches darin, Religion als politisches Machtmittel zu nutzen. Im letzten halben Jahr haben US-amerikanische Evangelikale – mitunter ohne geopolitische Gegebenheiten zu thematisieren – in puncto Nahost-Politik versucht, Druck auszuüben: Mitglieder des Vereins Vereinigte Christen für Israel (CUFI) forderten das Weiße Haus in über 137.000 E-Mails auf, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Die Richtung, merkt Reinstein an, stimme: In den USA werde die biblische Prophezeiung derzeit von 50 Republikanern und 36 Demokraten in echte politische Aktion umgesetzt.

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