fluter.de: Humor hilft gegen das Gefühl der Machtlosigkeit, sagt die Forschung. Sind Politiker deshalb so unlustig?
Willibald Ruch: Haha, eine witzige Verknüpfung! Ich denke aber, das hat eher mit einer Grundangst zu tun, die viele Menschen haben: Wenn ich viel lache, werde ich nicht ernst genommen. Ein bisschen stimmt es ja auch – wer dauernd herumalbert, wirkt nicht professionell. Wenn Leute aber eine pointierte Bemerkung machen, ich denke da zum Beispiel an Barack Obama, dann erhöht es nicht nur ihre Sympathie, sondern auch das Vertrauen in ihre Person. Natürlich hängt das von der Art des Humors ab, ob die als kultiviert gilt oder wie bei einigen Politikern eher Stammtischniveau hat.
Donald Trump und Boris Johnson waren mit ihren Schenkelklopfern und Chauvisprüchen aber auch erfolgreich.
Bei manchen Menschen. Humor ist ein Mittel, um zu verführen. Boris Johnson zum Beispiel ist sehr gut darin, an der richtigen Stelle einen Scherz zu machen und damit zu verwirren – und plötzlich hat man etwas zugestimmt, das man mit etwas mehr Nachdenken vielleicht abgelehnt hätte. Wenn man Leute zum Lachen bringt, sind sie nicht mehr so aufmerksam und kaufen einem Sachen leichter ab. Gute Demagogen wissen das zu nutzen.
Machen Menschen, die politisch links stehen, andere Witze als Menschen, die sich politisch rechts einordnen?
Dazu habe ich zehn Jahre lang geforscht und kann eindeutig sagen: ja. Ich habe es zwar nicht an politisch rechts oder links festgemacht, sondern an psychologischen Merkmalen wie Konservativismus, Toleranz von Ambiguität, Lust an neuen Reizen beziehungsweise Verschlossenheit versus und Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen. Aber da gibt es Parallelen. Bin ich ein Mensch, der Veränderungen möchte oder das Stabile schätzt? Das ist die wichtigste Dimension, die bestimmt, welche Art von Witzen man mag.
„Menschen, die über stereotype Witze lachen, mögen auch leicht verständliche Kunst, Gegenständliches mit wenig Elementen, Popmusik“
Und worüber lachen Konservative?
Eine Theorie besagt, dass „psychologisch Konservative“ Reize vermeiden, die neu und komplex sind, und Redundanz, also das Vertraute und Einfache, bevorzugen. Diese Personen mögen Witze, die nach einer einfachen Schablone funktionieren. Wir nennen sie Inkongruenz-Lösungs-Witze (Anm. d. Red.: Inkongruenz bedeutet Unstimmigkeit), weil es immer eine Auflösung gibt.
Eine Schwiegermutter macht etwas, weil sie böse ist …
… eine Blondine, weil sie dumm ist. Ein Schotte, weil er geizig ist. Menschen, die diese Witze mögen, das haben wir in einer Studie untersucht, plädieren als Laienrichter für mehr und auch für höhere Strafen. Sie zeigen häufiger eine Law-and-Order-Mentalität: Wenn jemand etwas anstellt, dann muss das sanktioniert werden. Dinge dürfen schwarz oder weiß sein, aber bitte nicht grau. Menschen, die über stereotype Witze lachen, mögen übrigens oft auch gerne leicht verständliche Kunst, Gegenständliches mit wenig Elementen, Popmusik …
… Hollywoodfilme nach Schema F?
Genau. Das zieht sich durch die ganze Ästhetik. Ich kann mich noch an den ersten „Tatort“ erinnern, bei dem am Ende der Gangster davongekommen ist. Da gab es massenweise Leserbriefe, weil ein Teil der Zuschauer unbedingt wollte, dass am Ende alles harmonisch ist. Die Bösen müssen bestraft werden und die Guten heiraten. Das ist ein Schema, das für die einen ein Bedürfnis ist und die anderen langweilt.
Worüber lachen „die anderen“?
Wer offen ist gegenüber neuen Erfahrungen, mag eher Witze, die grotesk sind – Gary Larson, Monty Python, so etwas. Gags, bei denen Dinge passieren, die so verrückt sind, dass sie nicht in das eigene Weltbild passen.
„Humor hat verschiedene Funktionen – zum einen reguliert er Beziehungen, zum anderen Emotionen“
Laut Humorforschung finden wir Witze erst interessant, wenn das Thema für uns eine besondere persönliche Bedeutung hat. Macht deshalb kaum wer Witze über die EU?
Moment, es gibt keine Witze über die EU?
Also ich kenne viele Witze – aber keine über die EU.
Das ist sehr interessant! Normalerweise ist es so: Wenn etwas völlig belanglos ist, dann macht man keine Witze darüber. Und wenn etwas zu ernst ist, auch nicht. Wir lachen über Dinge, die unstimmig sind. Aus der Perspektive eines Mitgliedstaats heraus könnte man eigentlich gut die Bürokratie der EU aufs Korn nehmen. Keine Ahnung, warum man es nicht macht. Vielleicht fehlt es den Bürgern an Anknüpfungspunkten oder Betroffenheit.
Apropos Betroffenheit: Wenn etwas Schlimmes passiert, reagieren manche Menschen augenblicklich mit Humor. Nach dem Terroranschlag in Wien zum Beispiel ist gleich eine skurrile Anekdote durchs Netz gefegt. Ein Augenzeuge hat dem Attentäter hinterhergeschrien: „Schleich di, du Oaschloch!“ Warum ging das so steil?
Ja, das habe ich auch gesehen. Am Anfang fand ich es merkwürdig, aber im Grunde ist es eine gesunde Haltung. Humor hat ja verschiedene Funktionen, zum einen reguliert er Beziehungen: Teilen wir etwas miteinander oder sind uns sogar ähnlich? Zum anderen reguliert er die Emotionen: Ich kann positive fördern und schmerzhafte lindern. Wenn eine Emotion in mir steckt, blockiert das ein effektives Problemlösen. Lache ich, ist mein System kurzfristig entspannt und hat Ressourcen frei, um damit umzugehen. Wer mit unendlich großem Leid zu tun hat, tendiert dazu, über diese Dinge zu lachen. Nicht aus Pietätlosigkeit, sondern um zu überleben.
„Man denke an Memes über das Horten von Klopapier. Es ist ein Korrigieren, ein Lachen über Leute, die sich falsch verhalten“
Die Häufigkeit von Humor steigt also, je schlechter Situationen sind. Sehen Sie das auch jetzt während der Pandemie?
Ja. Die vielen Witze darüber haben eine wichtige Funktion, sie vermitteln: Wir sind nicht allein. Es gibt da Leute, die sehen das ähnlich. Man denke an Memes über das Horten von Klopapier. Es ist ein Korrigieren, ein Lachen über Leute, die sich falsch verhalten. Satire hat die Funktion, etwas, das nicht passt, anzusprechen.
Die klassische Latenightshow.
Ja, Late-Night-Shows haben ganz klar eine Hofnarrenfunktion. Hofnarren durften dem Herrscher Dinge sagen, für die andere geköpft worden wären. Sie hatten die Erlaubnis, Sachen auszusprechen und damit eine Menge Wahrheit zu transportieren. Nach dem Motto: Ich könnte revoltieren, einen Aufstand machen, oder ich kann das Schlechte mit Humor aufzeigen.
Aber besteht das nicht auch die Gefahr, etwas wegzulachen, ohne die tatsächliche Situation zu verändern?
Eine spannende Frage, die ein leider inzwischen verstorbener Kollege von mir untersucht hat, Christie Davies. Manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass Humor in der Geschichte immer Teil des Widerstands war und Leute zu Fall gebracht hat. Davies war da anderer Meinung. Er hat Archive von Diktaturen angeschaut und bemerkt, dass die Herrschenden, über die Witze gemacht wurden, stolz darauf waren. Sie haben die Witze regelrecht gesammelt! Davies kam zu dem Schluss, dass man mit Humor kein Regime stürzen kann.
Na ja, vielleicht nicht gleich stürzen, aber dazu beitragen?
Klar beantworten lässt sich das natürlich nicht. Humor hat schon etwas Subversives. Passiert während der flammenden Rede eines Demagogen etwas, das die Zusehenden zum Lachen bringt, dann kann es ihn schon ein Stück weit entzaubern. Außerdem erlaubt Humor, Einstellungen zu kommunizieren und sich dabei gleichzeitig die Option zu lassen, sie zurückzuziehen. So von wegen: War ja nicht ernst gemeint! Fragt ein Widerstandskämpfer einen anderen Menschen direkt „Bist du auch gegen unseren Diktator?“, kann das gefährlich werden.
Hat die lindernde Funktion von Humor eigentlich einen Abnutzungseffekt? Am Anfang der Pandemie war das Internet gefühlt so lustig wie nie, langsam scheint den Memes aber irgendwie der Witz auszugehen.
Ich kenne keine Daten mit wissenschaftlichem Anspruch dazu. Aber es gibt eine Gewöhnung an fast alle Dinge. Wenn sich der Gegenstand selber nicht ändert, ist es schwierig, noch neue Seiten zu finden. Anders gesagt: Irgendwann gehen die Pointen aus. Humor kann eine Situation erträglicher machen, aber in Sachen Covid ist er nicht die eigentliche Lösung. Die Pandemie muss man anders überstehen und bearbeiten. Allerdings ist die Frage: Was ist die Alternative? Man muss schauen, ob das, was im Rahmen des Möglichen ist, nicht sowieso schon getan wurde und ob es dann nicht besser ist, über den Rest zu lachen. Zu lachen, anstelle zu handeln, ist sicher schlecht. Aber nicht zu lachen und sich das Leben zu nehmen ist auch nicht gut.
Willibald Ruch ist Professor für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Zürich. Ruch forscht seit über 40 Jahren zu Humor, war zweimal Präsident der International Society for Humor Studies (ISHS) und hat – kein Scherz – mindestens 200 wissenschaftliche Arbeiten zum Thema veröffentlicht.
Fotos: Jan Maschinski