Mit meinem Namen geht es schon mal los. Das L von Lena, da komme ich manchmal nicht ins Wort hinein. L-L-L-L-L-Lena, so klingt das dann.
Die Leute irritiert das. Auf sie muss es wirken, als wüsste ich meinen eigenen Namen nicht. Das deprimiert mich, ich will mich flüssig vorstellen, weil doch der erste Eindruck zählt. Mit der L-L-L-L-L-Lena kommt es dann oft gar nicht mehr zu einem Gespräch. Beim Feierngehen habe ich deshalb schon mal einen anderen Namen gesagt.
Dieser Text ist im fluter Nr. 90 „Barrieren“ erschienen
Das Ding ist: Ich weiß immer, was ich sagen möchte. Es stört mich, dass ich es oft nicht sagen kann, wie ich möchte.
Wann und bei welchen Lauten ich stottere, hat sich über die Jahre verändert. Grundsätzlich sind es öfter Konsonanten als Vokale, manchmal blockiere ich ganz und komme gar nicht in den Satz hinein. Dann traue ich mich kaum in Bars oder auf den Markt, wo ich angesprochen werden könnte. Und dann gibt es wieder Wochen, da macht Sprechen richtig Spaß.
Ein Prozent der Menschen in Deutschland soll stottern. Ich bin in einem Dorf in Oberbayern aufgewachsen, da gab es niemanden wie mich. Vielleicht habe ich deshalb als Kind kaum gesprochen.
Richtig zum Problem wurde mein Stottern erst als Jugendliche, so mit 13. Wenn ich mich wohlfühle, spreche ich flüssiger. Deshalb haben meine Eltern und Freunde das nie so mitbekommen. Dann kam eine neue Schule und mit ihr die Referate. Wenn ich Stottergefühle hatte, so eine Art Vorahnung, dass es gleich wieder l-l-l-l-losgeht, habe ich mich nicht gemeldet. Damals bin ich das erste Mal zur Stottertherapie. Die hat nichts gebracht: Ich wollte meinen Sprachfehler verdrängen. Ich war noch nicht so weit.
Ich habe versucht, das Stottern zu umgehen, Telefonate vermieden, Füllwörter verwendet, drum herumgeredet, bis ich das Gefühl hatte, ich kann das Wort oder den Buchstaben endlich rauspressen. Oft bin ich durch die Sätze gerast, um schnell fertig zu werden. Viele Stotternde machen es ähnlich. Andere merken das oft gar nicht. Gespräche mit mehreren sind trotzdem schwierig für mich. Wenn man in einer Runde zusammensitzt, jeder redet, und dann kommt einer dieser lustigen Einwürfe. Diese Spontaneität habe ich nicht. Und dann ist da dieser Augenblick, in dem jemand realisiert, dass ich stottere. Man sieht in den Augen, wie überrascht die Leute sind. Die meinen es nicht böse, man sieht’s mir ja nicht an. Aber das ist wie ein Stich.
Lange hat mich das psychisch fertiggemacht. Da war die Angst vor dem Scheitern. Die Angst, anderen die Zeit zu stehlen. Und Stottern ist körperlich schnell anstrengend. Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zur Krankenpflegerin gemacht. Damals bin ich über jedes zweite Wort gestolpert. Der ganze Körper spannt sich dann an, in dieser Phase habe ich drei Kilo abgenommen.
„Lange hat mich das Stottern psychisch fertiggemacht. Da war die Angst vor dem Scheitern. Die Angst, anderen die Zeit zu stehlen“
Am meisten stört mich die Unterstellung, dass stotternde Menschen weniger intelligent sind. Das ist Blödsinn. Die Klinik, in der ich arbeite, ist sehr hellhörig. Einmal hatte ich gerade einer Dame den Verband gewechselt, da habe ich sie durch die Tür sagen hören, dass ich das doch ganz gut gemacht hätte, obwohl ich stottere.
Als ich zum Berufseinstieg so stark gestottert habe, bin ich in die zweite Therapie. Die hat geholfen, weil ich es diesmal von mir aus gemacht habe. Dort hat mir jemand von einer Selbsthilfegruppe erzählt. Ich bin hin und hab mich zum ersten Mal richtig mit anderen Stotternden ausgetauscht. Wir sitzen da nicht nur im Stuhlkreis, wir unternehmen viel zusammen, ich fühle mich verstanden. Über die Jahre hat mir die Gruppe viel Selbstvertrauen gegeben, die ist ein richtiger Safe Space geworden.
Ich gehe heute offener mit meinem Stottern um. Das gehört halt zu mir. Beim ersten Date mit meinem Freund – wir haben uns auf Tinder gematcht, da schreibt man ja erst mal nur – habe ich sofort gesagt, dass ich stottere. Er hat nicht groß nachgefragt. Wenn ich zu Patienten ins Zimmer gehe und ein Stottergefühl kriege, informiere ich sie darüber. Und seit ein paar Monaten mache ich wieder eine Stottertherapie. In der lernen wir, wie wir die „Unflüssigkeiten“ reduzieren. Wir sprechen fremde Leute an oder stottern absichtlich am Telefon, stellen uns also unseren Ängsten.
Heute weiß ich: Viele dieser Ängste sind unbegründet – mich stört mein Stottern meist mehr als andere. Damit geht es mir gerade sehr gut.
Illustration: Nadine Redlich