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Wie hoch sind deine #Klarnaschulden?

Online-Bezahldienste mit Laterpay-Angebot werden immer beliebter. Gerade Jüngere verprassen damit häufig Geld, das sie eigentlich gar nicht haben

  • 8 Min.
Klarna Schulden

Bekannterweise sind auf TikTok ja insbesondere sehr kurze Videos bis maximal 34 Sekunden beliebt. Doch Userin @mhoolan hat es geschafft, dass sich mehr als 500.000 User auch ihren über fünfminütigen Clip angeschaut haben. Darin erzählt die junge Frau in cremefarbenem Hoodie, wie sie mit Anfang 20 in die Schuldenfalle getappt ist. Wie sie sich Dinge gekauft hat, die sie sich eigentlich nicht leisten konnte. Wie sie plötzlich keine Rechnungen mehr bezahlen konnte und am Ende deshalb fast auf der Straße gelandet wäre.

„Bringt euch nicht in diese Situation“, fleht sie am Ende des Videos. Doch wie die etlichen Kommentare unter ihrem Post zeigen, kommt die Warnung für viele zu spät. Eine Userin berichtet von Schulden in Höhe von 14.000 Euro. Ein anderer schreibt, er stehe gerade mit 36.000 Euro in der Kreide. Und immer wieder fällt dabei der Name Klarna.

Jetzt kaufen, später bezahlen – klingt verlockend

 

Kein Wunder. Der schwedische Finanzdienstleister macht das Onlineshopping schnell und einfach. Waren von mehr als 500.000 Händlern weltweit lassen sich bequem per App bestellen. Egal ob nagelneues Smartphone oder Secondhand-Designermode-Fundstück: Bezahlen muss man die Sachen erst später oder in Raten. Buy Now, Pay Later (BNPL) heißt das Modell. Jetzt kaufen, später bezahlen. Auch PayPal, Affirm oder Apple bieten es an. Dabei strecken Klarna & Co. das Geld für die bestellte Ware beim Händler vor und holen es sich dann vom Kunden zurück. Für diesen Service verlangen die BNPL-Anbieter Gebühren bei den Händlern. Das Schöne für die Kunden: Sie kaufen ihre Ware auf Pump – ohne dafür zur Bank rennen zu müssen. Zudem können sie die Produkte erst in Ruhe zu Hause testen, bevor sie sich endgültig für den Kauf entscheiden.

Die Bezahlmethode ist vor allem bei Jüngeren beliebt. Bei den 20- bis 24-Jährigen ist die Zahl der Kleinkredite, also Kredite unter 1.000 Euro, in Deutschland laut Schufa wegen Klarna & Co. zuletzt um fast 60 Prozent angestiegen – so stark wie in keiner anderen Altersgruppe. Laut einer bundesweiten Umfrage des Vergleichsportals Verivox hat inzwischen jeder Dritte zwischen 18 und 39 Jahren seine Einkäufe schon mindestens einmal über einem BNPL-Anbieter getätigt.

Von den Folgen hörte Josefa Fernandez in zahlreichen Gesprächen. Seit mehr als 20 Jahren berät die Sozialarbeiterin im Auftrag der Caritas Menschen, die sich verschuldet haben. In ihrem Büro in Berlin-Mitte suchen mehrere Tausend Menschen im Jahr Hilfe, auch viele junge. Fernandez beobachtet, dass Anbieter wie Klarna bei Verschuldungen eine immer größere Rolle spielen.

Raten, Mahngebühren und Inkassokosten summieren sich schnell zum Schuldenberg

„Diese Dienste können eine Falle werden“, sagt Fernandez. Vielen Kunden sei gar nicht bewusst, dass sie über einen BNPL-Anbieter einen richtigen Kredit aufnehmen. Einen, der bei Problemen mit der Rückzahlung ganz schnell teuer wird und auch einen Schufa-Eintrag zur Folge haben kann. Damit gelten die Kunden in Zukunft als weniger kreditwürdig. „Der Aha-Effekt kommt dann oft sehr spät.“ Manche kämen in die Beratung, weil sie wegen ihres niedrigen Schufa-Scores keine neue Wohnung bekommen. Die meisten kommen aber, weil ihnen die Schulden über den Kopf wachsen.

Nach Fernandez’ Erfahrung können auch kleinere Beträge schnell zu einem Schuldenberg führen. „Wir machen die Erfahrung, dass manche Kundinnen und Kunden schnell den Überblick verlieren. Sie haben vielleicht vier, fünf Produkte auf Raten gekauft, und wenn sie die Forderungen nicht rechtzeitig bedienen, kommen schnell Mahngebühren oder Kosten durch ein Inkassounternehmen drauf.“ Dann seien in ein paar Monaten auch Schulden über mehrere Tausend Euro möglich.

Um da wieder rauszukommen, müssten die Betroffenen erst mal alle Forderungen sortieren und einen Plan erstellen, was sie in welcher Reihenfolge zurückzahlen können. In ihrer Sprechstunde sei das gemeinsame Sortieren von Briefen oft der erste Schritt. Mit der Unterstützung von Fernandez und ihrem Team schaffen es viele Betroffene, ihre Schulden langsam, aber sicher zu begleichen. Wer seine Finanzen nicht wieder in den Griff bekommt, dem droht ein Insolvenzverfahren und letztlich die Pfändung von Einkommen, Vermögen und Wertgegenständen.

Wie groß die Gefahr ist, sich beim Onlineshopping zu verschulden, zeigt ein TikTok-Trend: Unter dem Hashtag #Klarnaschulden posten junge Menschen einen Screenshot von ihrem Kontostand und prahlen mit ihren Schulden. Eine Userin, die behauptet, fast 60.000 Euro im Minus zu sein, bemerkt sarkastisch: „Ich zahle einfach nach 30 Tagen mit Klarna, was soll schon passieren?“ Die Antwort darauf findet sich auch im aktuellen „SchuldnerAtlas Deutschland 2023“ des Finanzdienstleisters Creditreform: Erstmals seit 2013 haben in der jüngsten Alterskohorte bis 29 Jahre die Überschuldungsfälle wieder zugenommen. Das deckt sich mit einer Studie aus den USA. Demnach geraten Millennials oder die Gen Z beim Einkauf mit BNPL-Anbietern fünfmal häufiger in Zahlungsverzug als Boomer.

Zinsen von mehr als 10 Prozent sind üblich

Verbraucherzentralen warnen vor den versteckten Kosten solcher Angebote. Allen voran bei der Option, in Raten zu bezahlen. Denn da verlangen PayPal & Co. im Gegensatz zu einer einmaligen späteren Zahlung oft hohe Zinsen. Bei Klarna beispielsweise liegt der effektive Jahreszins bei Ratenzahlungen bei fast 13 Prozent und damit zum Teil deutlich höher als bei einer Hausbank. Durch weitere Gebühren kann die Zinslast sogar noch höher ausfallen.

PayPal verlangt bei Ratenzahlungen je nach Laufzeit zwischen 11 und 12 Prozent Zinsen. Testkäufe im Netz zeigen, wie teuer die bequeme Ratenzahlung den Kunden kommt: Wer einen Laptop für 2.236 Euro in einer Laufzeit von zwei Jahren abstottert, musste bei Klarna zum Zeitpunkt des Tests im November 2023 309 Euro an Zinsen berappen, bei PayPal immerhin noch 251 Euro.

Marco Rauter empfiehlt deshalb, die Ratenzahlung nach Möglichkeit ganz zu meiden. Der Jurist leitet die Schuldner- und Insolvenzberatung im Berliner Stadtteil Neukölln. Er und sein Team von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) beobachten schon lange: Wer nicht zu Hause lernt, mit Geld umzugehen, geht auch schnell Kostenfallen wie Klarna & Co. auf den Leim.

Dass die Apps trotzdem immer beliebter werden, sieht er aber auch als gesellschaftliches Versäumnis. „Wir müssen Jugendliche schon in der Schule viel stärker auf solche Risiken vorbereiten.“ Vor allem, weil in der Altersgruppe ohnehin häufig so eine Art Gruppenzwang bestehe. „Wenn alle anderen in der Clique mit dieser einen App zahlen, macht man das natürlich auch“, sagt Rauter. Das sei so ähnlich wie bei Modetrends oder Musikgeschmack: Die Peergroup ist entscheidend. 

Neue EU-Vorgaben könnten die Kunden schützen

Rauter empfiehlt, in den Fächern Wirtschaft oder Sozialkunde stärker über die Vor- und Nachteile verschiedener Kreditformen aufzuklären. Er sieht jedoch auch die Politik in der Pflicht. „Wir hören oft, dass auch Jugendliche Klarna nutzen, obwohl sie eigentlich volljährig sein müssen.“ Da könnte die Politik vorschreiben, dass die entsprechenden Anbieter von ihren Usern einen verlässlichen Altersnachweis erhalten müssen.

Positiv bewertet er jedoch die neuen Vorgaben der Europäischen Union. Künftig müssen Klarna & Co. auch bei Bestellwerten unter 200 Euro eine Bonitätsprüfung durchführen. Ist ein Kunde unzuverlässig bei Rückzahlungen, kann ihm der Kauf auf Pump verweigert werden. Damit, so Rauter, würde sich die Branche aber möglicherweise ins eigene Fleisch schneiden. Er vermutet, dass die Anbieter es nicht so genau mit der Kundenprüfung nehmen, solange das Geschäftsmodell insgesamt aufgeht: „Wie sonst lässt sich erklären, dass ein einzelner Kunde Schulden im fünfstelligen Bereich anhäufen kann?“ Das Geschäftsmodell jedenfalls boomt. Klarna beispielsweise hat seinen Bruttogewinn im Jahr 2023 um 60 Prozent gesteigert und ein Plus von 11,7 Milliarden schwedischen Kronen eingefahren – rund eine Milliarde Euro.

Von dem fetten Kuchen wollen auch andere was abhaben. Inzwischen bieten auch Visa oder Mastercard an, Einkäufe in flexiblen Raten zu bezahlen.

Illustration: Yann Bastard

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