In Bristol können sie aus Scheiße Gold machen beziehungsweise Kerosin. Das ist die gute Nachricht, aber dazu später mehr. Denn die schlechte Nachricht lautet: Ein Langstreckenflug von Deutschland nach Amerika oder Südostasien hat pro Person eine Klimawirkung, die gut 1,5 Tonnen CO₂-Emissionen entspricht. Also schon auf dem Hinflug mehr, als jedem Menschen im Jahr zustünde auf einer Erde, die die globale Erwärmung auf 1,5 °C begrenzen will.
Mehr als 3,5 Prozent der deutschen CO₂-Emissionen verursacht der Luftverkehr von, nach und in Deutschland. Weltweit gesehen liegt der Wert bei drei Prozent, berücksichtigt man alle Klimaeffekte, sogar bei rund fünf Prozent – noch: In vielen Ländern wie Indien oder Vietnam bildet sich eine Mittelschicht, die sich Flüge leisten kann, gerade erst heraus. Es muss etwas passieren.
So viele Bäume kann man gar nicht pflanzen
Einige Airlines und Anbieter versprechen, das schlechte Gewissen ließe sich mit einer Spende für Klimaschutzprojekte ausgleichen. Leider funktionieren solche CO₂-Kompensationen nur bedingt. Vor allem aber: So viele Bäume kann man gar nicht pflanzen oder nicht abholzen, damit alle Fluggäste gleichzeitig kompensieren können.
Eine andere Möglichkeit: Das Fliegen selbst sollte mehr kosten, durch Energiesteuern auf Kerosin zum Beispiel. Während in Deutschland pro Liter Autobenzin 65 Cent Energiesteuern erhoben werden, sind es beim Flugbenzin: null. Diese Steuerpolitik gilt in der gesamten EU und auf internationalen Flügen. Sie ist ein Relikt des „Chicagoer Abkommens“ von 1944, das die damals winzige internationale Luftfahrt fördern sollte. Hebt man die Steuern und den Flugpreis allerdings in einem Maße an, dass das Klima weniger belastet wird, könnten sich nur noch Reiche Flüge leisten. Die Menschheit müsste sich also von etwas verabschieden, das wortwörtlich den Horizont erweitert und die Welt zusammenbringt. Gibt es keine klimaneutralen Lösungen fürs Fliegen?
An denen sitzen Forschende seit Jahren. Die technischen Möglichkeiten haben sie bereits entdeckt. Bis die flächendeckend umgesetzt werden können, wird es aber lange dauern. Aktuell gibt es vier realistische Wege, irgendwann klimaneutral zu fliegen.
Elektrizität
Die DHL hat bereits zwölf E-Frachtflugzeuge bestellt, von denen die ersten 2027 geliefert werden sollen. Und ab 2028 will Air Canada 30 kleinere Elektro-Hybrid-Flugzeuge einsetzen. Weit kommt man mit denen nicht – irgendwie logisch, wenn schon E-Autos Probleme mit der Akkulaufzeit haben. Das Zauberwort lautet „Energiedichte“, also im konkreten Fall Flugkilometer pro Gewicht. Da ist Benzin (und somit auch Kerosin) beinahe unschlagbar. Es bringt einen mehr als 50-mal weiter als eine gleich schwere Batterie. Die Akkus, die ein Mittel- oder Langstreckenflug verlangt, würden einfach zu viel wiegen.
Wasserstoff
Der erlebt einen Hype, manche sehen ihn als Allzweckwaffe für den klimaneutralen Umbau von Industrie und Gesellschaft. Flüssiger Wasserstoff ist sogar energieeffizienter als Kerosin – das ist gut zum Fliegen. Damit er flüssig ist, muss er aber auf minus 253 Grad gekühlt werden, in Flugzeugen bräuchte es dafür große und schwere Spezialtanks – das ist nicht gut zum Fliegen. Außerdem ist die Herstellung (Wasser wird mithilfe von Elektrizität in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten) aufwendig. Solange das so bleibt, wird Wasserstoff wegen seiner hohen Energiedichte in anderen Bereichen dringender gebraucht, etwa bei der Stahlherstellung.
Synthetisches Kerosin
Das ist chemisch fast wie herkömmliches Kerosin, wird aber nicht aus fossilem Öl gewonnen, sondern mit chemischen Prozessen aus Wasser und bereits vorhandenem CO₂. Mindestens 144 Projekte, 20 davon in Deutschland, forschen weltweit an solchen „E-Fuels“. Es braucht viel Strom, um sie herzustellen. Hier gilt, wie beim Wasserstoff: Wenn der Strom nicht aus erneuerbaren Energien stammt, ist der Klimaeffekt schon verpufft. Berechnungen aus 2021 zeigten, dass alle Solar- und Windkraftanlagen zusammen nur ein Drittel des damaligen globalen Kerosinbedarfs decken konnten. Und grüner Strom wird in vielen Bereichen benötigt, um sie klimaneutral zu machen, in Autos, Zügen, Wärmepumpen, Rechenzentren, im Bausektor und, und, und ...
Biokerosin
Womit wir in Bristol wären. Dort haben sie einen Weg gefunden, um aus Klärschlamm – der in den meisten Fällen ohnehin verbrannt werden muss – Kerosin herzustellen. Altes Speiseöl geht auch. Die Biomasse wird dabei so stark verdichtet, dass in kürzester Zeit der Prozess abläuft, der sonst Millionen Jahre braucht. Nur gibt es leider gar nicht so viel Bioabfall, wie man für den weltweiten Flugverkehr bräuchte. Und extra dafür Pflanzen anbauen? Diese Flächen brauchen wir dringender für Nahrungsmittel oder als Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Stichwort Biodiversität, Stichwort Artensterben.
Unter diesen vier Technologien haben E- und Biokerosin einen großen Vorteil: Sie funktionieren in den heutigen Flugzeugmotoren, könnten dem herkömmlichen Treibstoff also einfach beigemischt werden. Ein fliegender Technologiewechsel, der bereits begonnen hat. Die EU hat entschieden, dass ab 2025 mindestens zwei Prozent des in Europa getankten Kerosins nachhaltig sein sollen. Selbst dieser geringe Wert wird, Stand jetzt, wohl verfehlt.
Kondensstreifen verstärken den Treibhauseffekt
Ein Nachteil des E- und zum Teil auch des Biokerosins: Es gäbe weiterhin die Kondensstreifen am Himmel. Sie entstehen, wenn sich Eiskristalle an den winzigen Rußpartikeln aus den Abgasen bilden. Und sie tragen zur Erderwärmung bei. Die Streifen bleiben mehrere Stunden bestehen oder werden zu Wolken und verhindern so, dass Wärme zurück ins Weltall strahlt. Das verstärkt den Treibhauseffekt.
Weitere Forschung gibt es im Kleinen. Von der aerodynamischen Form der Flugzeuge über glattere Oberflächen bis zu gebogenen Flügelspitzen finden sich einige Wege, den Kerosinverbrauch zu reduzieren. Klappen wird es nur, wenn man alle Ansätze kombiniert: effizienterer Flugzeugbau, ausgebaute Bio- und E-Kerosinherstellung, Wasserstoffantriebe für Langstreckenflüge, Elektroflugzeuge wiederum eher für kurze Verbindungen, auf denen Züge keine Option sind, etwa in Inselstaaten.
Dieser Text ist im fluter Nr. 92 „Verkehr“ erschienen
Bis 2050 will die Flugindustrie klimaneutral sein. Dass sie das schafft, ist unwahrscheinlich. Das zeigt auch der jüngste Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag. Außer es kommt noch eine revolutionäre Idee in der Batterietechnik oder beim Synthetisieren von Wasserstoff. Ungünstig, dass viele Länder wenig Geld für Grundlagenforschung ausgeben. Deutschland hat die Fördermittel für nachhaltige Antriebstechnologien in der Luftfahrt für die kommenden Jahre sogar gekürzt – von 3,3 Milliarden Euro auf recht bodenständige 505 Millionen.
Titelbild: Luciana L. Schütz – Ira Grünberger/Connected Archives