Als 1982 in Warren County, North Carolina, eine Giftmülldeponie errichtet werden sollte, fiel der Begriff „Umweltrassismus“ zum ersten Mal – zumindest so, dass er ein mediales Echo erzeugte. Ein Protestierender, der afroamerikanische Bürgerrechtler Benjamin Chavis, soll ihn eingeführt haben. Warren County war zum damaligen Zeitpunkt einer der ärmsten Landkreise des Bundesstaates, zwei Drittel der Bevölkerung waren Afroamerikaner*innen. Viele von ihnen wehrten sich mit Demos, Sitzblockaden und Straßensperren gegen die Deponie, dabei wurden über 500 Protestierende festgenommen. Errichtet wurde die Anlage trotzdem. Kurz darauf wurde der dort deponierte Baustoff PCB weltweit verboten – weil er krebserregend und erbgutschädigend ist.
Wer wenig Geld hat, ist durchschnittlich stärker von Umweltrisiken betroffen
Seither haben verschiedene Studien nachgewiesen, dass People of Color (PoC) in den USA mehr Umweltrisiken ausgesetzt sind als weiße Personen – unter anderem, weil dreckige Industrien öfter in Regionen platziert werden, in denen hauptsächlich PoC leben. 2018 stellte eine Studie der Environmental Protection Agency fest, dass Schwarze in den USA durchschnittlich 1,5-mal so viel Feinstaub ausgesetzt sind wie Weiße – Hispanics 1,2-mal so viel.
Auch Einkommensschwache sind stärker von Umweltrisiken betroffen: Sie sind beispielsweise 1,3-mal so viel Feinstaub ausgesetzt wie Menschen oberhalb der Armutsgrenze. Wenn also von Umweltrassismus die Rede ist, sind meist Klassenunterschiede mitgemeint. Die Phänomene gehen Hand in Hand – und das nicht nur in den USA: Auch in Deutschland zeigen aktuelle Studien, dass ein niedriger sozialer Stand mit einer höheren Umweltbelastung einhergeht.
Während Greta Thunberg in aller Munde ist, wird jungen Aktivist*innen of Color von den Medien kaum Aufmerksamkeit geschenkt – dabei gäbe es da so einige. Die zwölfjährige Amariyanna Copeny zum Beispiel, Spitzname „Little Miss Flint“. Das Trinkwasser ihrer Heimatstadt Flint in Michigan wurde durch Blei verunreinigt. Seit 2014 wurden 100.000 Menschen Giftstoffen ausgesetzt, mehr als die Hälfte von ihnen sind PoC. In deutschsprachige Medien hat es „Little Miss Flint“ aber bisher noch nicht geschafft.
Die globale Wirtschaft schafft soziale Ungleichheiten, die oft entlang ehemals kolonialer Linien verlaufen: Westliche Firmen produzieren billig in Ländern, die früher kolonialistisch ausgebeutet wurden und heute fragile staatliche Strukturen haben. Sie nutzen die dort oft niedrigeren Umweltschutzstandards, verunreinigen mitunter die Natur und ignorieren dabei nicht selten die Bedürfnisse der Betroffenen. So war es zum Beispiel in einer Thermometerfabrik von Unilever im Süden Indiens. Dort wurden von 1984 bis 2001 giftige Quecksilberabfälle in den Boden abgegeben. 45 Fabrikarbeiter*innen sollen an den Folgen der Gifte gestorben sein. Andere litten unter Nierenbeschwerden, Gedächtnisverlust und Fehlgeburten. Es dauerte 15 Jahre, bis der Konzern den Forderungen der 591 Betroffenen nachkam und sie entschädigte; die genaue Summe ist nicht bekannt
Ursprünglich ging es bei der Diskussion um Umweltrassismus um die Frage, welche Menschen in ihrer direkten Umgebung Umweltrisiken ausgesetzt werden und welche nicht. Der Klimawandel hat dem Ganzen nun eine neue Dimension verliehen, weil seine Ursachen und Folgen ungleich über den Planeten verteilt sind: Manche Länder, zum Beispiel Honduras, Haiti oder Myanmar sind viel stärker von den Auswirkungen des Klimawandels – Naturkatastrophen, Wasserknappheit, Ernteausfälle, dem steigenden Meeresspiegel etc. – betroffen, obwohl sie nur einen Bruchteil der weltweiten CO2-Emissionen erzeugen.
Viele Länder des sogenannten globalen Südens sind besonders stark von der Landwirtschaft abhängig und verfügen oft über eine vergleichsweise schlechte Infrastruktur. Das macht sie verwundbar, wenn es um drohende Klimafolgen geht. Außerdem gibt es dort wenig Geld, um den Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Die Folge: Sie müssen fliehen.
Schon jetzt fliehen mehr Menschen vor dem Klimawandel als vor Kriegen
Schon 2017 gab es schätzungsweise rund dreimal mehr Klima- als Kriegsgeflüchtete. Die Zahlen variieren, weil das Problem komplex ist und es noch keine einheitlichen Erhebungsverfahren gibt. Die Hilfsorganisation Oxfam zum Beispiel rechnet mit jährlich 20 Millionen Flüchtenden, das Flüchtlingshilfswerk der UN (UNHCR) mit 25 Millionen. In einem aber stimmen alle Schätzungen überein: In den nächsten 20, 30 Jahren werden sich die Zahlen vervielfachen.
Natürlich profitieren nicht alle Menschen in hochindustrialisierten Ländern gleichermaßen von der Ausbeutung von Ressourcen. Und in weniger gut entwickelten Ländern sind nicht alle automatisch Leidtragende der Klimakrise. Grundsätzlich aber gilt: Je höher das Einkommen, desto höher sind laut Umweltbundesamt auch die verursachten Umweltbelastungen – zum Beispiel durch häufigere Flugreisen oder eigene Pkw. Spricht man also von Klimarassismus, meint man genauso wie beim Umweltrassismus eine ungerechte Verteilung von Risiken: Diejenigen, die für sie verantwortlich sind, leiden am wenigsten unter den Folgen – jetzt eben auch in einem globalen Rahmen.
Fotos: Andrea Frazzetta/INSTITUTE