
Darf das?
Eine Lehrerin äußert sich politisch. Auf Instagram wird sie gefeiert, in der Schule gerät sie unter Druck
Outfitchecks, Produktempfehlungen, Videos aus dem Nagelstudio: Erst mal wirkt der Instagram-Auftritt von @frau_waibel wie andere Lifestyle-Accounts. Ausgeleuchtet und durchgestylt spricht die 35-Jährige („Hi, ihr Lieben!“) zu ihren gut 32.000 Followern. Allerdings nicht über Make-up oder Rabattcodes: Gina Waibel ist Lehrerin. Sie spricht über antirassistische Bildung und muslimische Kultur. Ihre Videos haben Titel wie „Das B in AfD steht für Bildung“ oder „Rojava in der Schule thematisieren“. In einem spricht Waibel darüber, wer nicht ihr Kanzler werden soll, unter ein anderes kommentiert jemand: „Wann wird diese Frau eigentlich gekündigt?“
Waibel unterrichtet an einer Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg. Vor zwei Jahren ging sie mit einem Video viral, ihrer Antwort auf den CDU-Politiker Friedrich Merz: In einer Talkshow sprach Merz von arabischstämmigen Schülern als „kleinen Paschas“ und vielen Respektlosigkeiten, die sich gerade Lehrerinnen täglich gefallen lassen müssten. Im Video läuft Waibel mit dem Smartphone durch die Schulgänge. „Guten Tag, Frau Waibel“, „Schönen Tag noch“, „Bis morgen, Frau Waibel“ hört man ihre Schüler aus dem Off. „Mein schrecklicher Alltag mit den Paschas. 😢“, kommentiert sie. Das Video bekommt fast drei Millionen Klicks. Und Waibel jede Menge Stress.
„Viele Lehrkräfte finden, wir sollten generell nichts auf Social Media posten“, sagt Waibel. Die Kritik aus dem Kollegium: Sie kritisiere öffentlich demokratisch gewählte Parteien, was gegen die Grundsätze des Berufs verstoße.
Es gibt mehrere Gebote, die regeln, was Lehrkräfte im Unterricht dürfen und was nicht. Sie stehen im Schulrecht, im Beamtenrecht und im Beutelsbacher Konsens. Dort ist etwa das Überwältigungsverbot festgehalten, das Lehrkräften verbietet, den Schülerinnen und Schülern eine Meinung aufzuzwingen. Oder das Kontroversitätsgebot. Das besagt, dass Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, auch im Unterricht in ihrer Widersprüchlichkeit behandelt werden müssen. Dazu hält Artikel 21 des Grundgesetzes das Recht der Parteien auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb fest. Dass eine Lehrkraft auf Social Media nur bestimmte Parteien kritisch bis provokativ-ironisch kommentiert, kann deshalb zu Diskussionen führen.
Neutralität heißt nicht Schweigepflicht
„Da herrscht seit Langem große Unsicherheit“, sagt Dr. Hendrik Cremer. Am Deutschen Institut für Menschenrechte publiziert er regelmäßig zum Neutralitätsgebot. Neutralität, sagt Cremer, bedeute keinesfalls, dass sich Lehrkräfte nicht zu Politik äußern dürfen. Im Gegenteil: Sie seien verpflichtet, die Werte des Grundgesetzes zu vertreten und „zuwiderlaufende verfassungsfeindliche Bestrebungen“ klar zu benennen, „auch außerhalb ihrer dienstlichen Tätigkeit“. Die Unsicherheit werde gerade von der AfD genutzt, um Stimmung gegen demokratische Bildungsarbeit zu machen, sagt Cremer. Viele Lehrkräfte zögern, ob sie sich im Unterricht kritisch mit der AfD auseinandersetzen sollten: Die Partei ist demokratisch gewählt, aber vom Verfassungsschutz in Teilen als rechtsextrem eingestuft worden. Darauf verweist auch Gina Waibel online immer wieder.
Sie äußert sich dort aber auch zu einzelnen Politikerinnen und Politikern anderer Parteien. Julia Klöckner von der CDU bezeichnete Waibel als geschmacklos, weil diese ein Video aus Gaza mit heroischem US-Hip-Hop unterlegt, um zu zeigen, dass Israel Hilfslieferungen nach Gaza durchlässt.
Der Post sei Teil einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen sie, sagt Waibel: Jemand habe anonym einen zehnseitigen Brief bei der Schulleitung abgegeben, mit Screenshots von ihren Kommentaren, Storys und Posts. Zu sehen sei auch, wie sie auf Lehrmaterial zum muslimischen Fastenmonat Ramadan und zum rassistischen Anschlag in Hanau hinweist, das sie selbst erstellt hat. „Manche finden, solche Themen gehören nicht in den Unterricht“, sagt Waibel.
Ob die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Waibel berechtigt ist, kann Hendrik Cremer nicht sagen. Für sie gelte ein Mäßigungsgebot, also: Zurückhaltung bei politischen Äußerungen. „Aber das bedeutet nicht, dass sie sich nicht politisch äußern darf.“ Ob sie das in aller Öffentlichkeit tun sollte? Wie viel Polemik solche Aussagen auf TikTok und Instagram vertragen? Das liegt im Ermessen der jeweiligen Schulämter, die über eine Beschwerde entscheiden.
Die Angriffe machen müde, erzählt Waibel. An manchen Tagen führe sie nur der Gedanke in die Schule, dass sie junge Erwachsene begleitet, die die Gesellschaft besser machen, „und wenn auch nur ein bisschen“. Neulich hat Waibel eine Sprachnachricht von einer ehemaligen Schülerin bekommen: Sie sei wütend, weil ihr ein AfDler in der Fußgängerzone einen „M.-Kopf“ angeboten habe, also einen Schokokuss. „Sie hat ihm dann gesagt, er soll sich verpissen“, erzählt Waibel. Und klingt ein bisschen stolz dabei.
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