Dominik Fröde, 26, Elektroniker in Ausbildung aus Mülheim an der Ruhr (NRW), und Carolin Kresse, 28, freiberufliche Texterin aus Crimmitschau (Sachsen), sind seit 2011 ein Paar. Sie haben sich online kennengelernt und ein halbes Jahr eine Fernbeziehung geführt, bevor Dominik zu Carolin nach Dresden gezogen ist. Heute leben sie gemeinsam in Delmenhorst in der Nähe von Bremen.
Dominik: Mein Großvater väterlicherseits kommt ursprünglich aus Sachsen, aber meine Eltern haben darüber nie geredet. Als ich Caro kennengelernt habe, wurde ich das erste Mal mit den extremen Vorurteilen meiner Eltern konfrontiert: „Die Leute im Osten sind alle dumm und ungebildet, die hatten ein indoktriniertes Schulsystem“ oder „Die sind alle nicht familiär, weil die Mutter nicht zu Hause ist, um sich um die Kinder zu kümmern“. Dass war dann auch das Erste, was mir aufgefallen ist, als ich bei Caros Eltern zu Besuch war: dass ihre Mutter arbeiten ging. Das kannte ich vorher nicht.
Carolin: Ja, bei mir waren beide Eltern im Schichtbetrieb. Ich hatte anfangs immer das Gefühl, dass Dominik sehr unselbstständig war, und habe das auch darauf geschoben, dass seine Mutti immer zu Hause war.
Dominik: Du warst damals schon zu 150 Prozent selbstständig. Davon war ich sogar ein bisschen eingeschüchtert. Von deinen Eltern hast du auch diese bodenständige Denk- und Lebensweise.
„Meine Eltern haben oft gesagt, dass die Wessis immer nur reden und dass sie ein 13. Schuljahr haben, um besser schauspielern zu lernen.“
Carolin: Ja, das ist etwas, was ich an mir sehr ostdeutsch finde: meinen Pragmatismus. Ich rede nicht lange über Sachen, sondern mache einfach. Was aber auch auf einem Vorurteil basiert: Meine Eltern haben oft gesagt, dass „die Wessis immer nur reden“ und dass sie das 13. Schuljahr dafür haben, um besser schauspielern zu lernen. So dumme Witze halt, die man als Kind gehört hat und die sich im Gedächtnis eingebrannt haben.
fluter.de: Wie hat euer Umfeld auf eure Beziehung reagiert?
Carolin: Meine Eltern waren, glaube ich, relativ froh, als ich mit Dominik zusammenkam, weil ich vorher mit zwei sächsischen Jungs zusammen war, die beide eher aus dem Bildungsbürgertum kamen. Dominik kommt wie ich aus einer Arbeiterfamilie. Ich glaube, das war ihnen näher.
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Dominik: Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich meiner damals besten Freundin erzählt habe: „Ich bin jetzt mit einer aus Dresden zusammen“ und ihre erste Reaktion war: „Die ist aber hoffentlich kein Nazi!“ Meine Kollegen oder Mitschüler an der Berufsschule machen da auch heute manchmal noch dumme Witze drüber. Da herrscht immer noch Schubladendenken.
Ihr habt erst gemeinsam im Osten gewohnt, jetzt gemeinsam im Westen. Welche Unterschiede sind euch aufgefallen?
Dominik: Ich war anfangs massiv irritiert, wie wenig Menschen ich in Dresden gesehen habe, die dem Aussehen nach vielleicht einer anderen Kultur angehören. In Mülheim an der Ruhr bin ich mit vielen Kindern aufgewachsen, die aus türkischen Gastarbeiterfamilien kamen, aus Russland, Kasachstan, dem ehemaligen Jugoslawien.
Carolin: Die Entscheidung, wieder aus Dresden wegzuziehen, war zum Teil … na ja, „politisch bedingt“ ist zu viel gesagt, aber es war eben genau zu der Zeit, als Pegida sehr stark war. Ich war damals in der linken Szene unterwegs, und da herrschte die Meinung, dass man diesen Leuten die Stadt überlässt, wenn man wegzieht. Es war schwer für mich, einen Umgang damit zu finden. Ich habe auch immer noch den Impuls, den Osten verteidigen zu wollen, gerade wenn es um die ganze Neonazi-Sache geht. Ich kenne einfach sehr viele Leute, die vor Ort viele gute Sachen machen. Denen gegenüber ist das Schimpfen auf den Osten sehr unfair – aber andererseits sehe ich auch, dass viele Vorurteile nicht unbegründet sind …
Wollt ihr in Zukunft eher im Westen oder im Osten leben?
Carolin: Wir überlegen gerade, welche Regionen wir uns noch angucken wollen, bevor wir uns irgendwann permanent niederlassen. Ich finde es schön, dass wir beide kein „festes Nest“ haben, in das wir unbedingt zurückwollen, und dass ich mit jemandem zusammen bin, der nicht aus derselben Region kommt wie ich.
Dominik: Ja, dadurch sind wir sehr flexibel. Und ich attestiere es ein bisschen dem Osten und der Entscheidung, zu Caro gezogen zu sein, dass ich mich so entwickelt habe, wie ich mich entwickelt habe.
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Anna-Lena Hoffmann, 32, Juristin aus der Nähe von Koblenz (RLP), und Hannes Fromm, 29, Industriedesigner aus der Nähe von Chemnitz (Sachsen), sind seit fünf Jahren ein Paar. Sie kennen sich aus Halle/Saale, wo sie beide studiert haben, und leben heute gemeinsam in Aachen.
Hannes: Ich weiß nicht, was an mir typisch „ostdeutsch“ sein soll. Ich denke nicht in solchen Kategorien, für mich war das also auch kein Thema, als ich Lena kennengelernt habe. Aber ich glaube, bei einigen unserer Freunde ist das anders. Wenn ich erzählt habe, woher meine Freundin kommt, haben ein paar gesagt: „Ah, aus dem Westen!“
Anna-Lena: Manche haben auch mit Unverständnis darauf reagiert, als wir „in den Westen“ gezogen sind. Andersrum war es für manche meiner Verwandten ein größeres Ding, als ich nach der Schule nach Halle gezogen bin. Und an der Jura-Fakultät in Halle waren dann auch kaum Leute aus den alten Bundesländern, das war schon etwas Besonderes.
Hannes: Ich fand es schon immer normal, dass jemand für den Job oder das Studium woanders hinzieht. Die Mobilität in meiner Familie ist größer als in deiner. Wir sind überall verteilt.
Anna-Lena: Ja, ich glaube, das ist auch ein regionaler und historischer Unterschied. Bei uns fehlt diese Mobilität, weil es nicht notwendig war: Es war immer eine Selbstverständlichkeit, dass man im Umkreis von maximal einer Stunde Arbeit findet.
Wenn ihr euer Aufwachsen vergleicht: Seht ihr Unterschiede, die mit „Ost“ und „West“ zu tun haben?
Anna-Lena: Ja, Hannes’ Mutter hat mit Kind studiert.
Hannes: Wir haben damals in einem Mutter-Kind-Internat gewohnt, und später war ich immer lange im Kindergarten, weil meine Mutter gearbeitet hat. Das war ganz normal. Als meine Mutter noch mal geheiratet und zwei Kinder bekommen hat, hat sich das ein bisschen geändert, da war sie mehr zu Hause. Aber sie hat dann irgendwann wieder angefangen, Teilzeit zu arbeiten.
„Mit einer berufstätigen Mutter war ich in meinem ‚westdeutschen‘ Freundeskreis eher die Ausnahme.“
Anna-Lena: Meine Mutter hat auch immer gearbeitet. Aber mit einer berufstätigen Mutter war ich in meinem „westdeutschen“ Freundeskreis eher die Ausnahme.
Du, Anna-Lena, warst auf einem katholischen Gymnasium, während Hannes konfessionslos ist – findet ihr das typisch?
Anna-Lena: Ja, als Hannes zum Beispiel zu Hochzeiten oder zu einer Kommunion mit in Gottesdienste musste, war das schon ein größeres Thema.
Hannes: Es ist jetzt nicht so, dass ich vorher noch nie was von Religion gehört habe und nie in der Kirche war aber die Kinderkommunion hat mich schon geschockt. Dass die Kleinen da gefragt werden: „Entsagt ihr dem Teufel?“ und sie antworten: „Ja, wir entsagen dem Teufel.“
Habt ihr durch eure unterschiedliche Herkunft irgendwas Bestimmtes voneinander gelernt?
Anna-Lena: Wenn ich darüber nachdenken würde, würde ich bloß anfangen, Klischees auf Hannes zu übertragen.
Hannes: Ich glaube, dass Ossis von Haus aus ein bisschen erfinderischer sind. Die basteln sich einfach irgendwas.
Anna-Lena: (lacht) Stimmt, das ist ein krasses Grundvertrauen, das ich in dich habe. Dass du einfach immer Probleme lösen kannst, weil du so praktisch veranlagt bist.
Hannes: Master of Improvisation.
Anna-Lena: Ich habe neulich übrigens gelesen, dass zum 20-jährigen Einheitsjubiläum hundert Ost-West-Paare von Wolfgang Tiefensee (SPD, damals Beauftragter für die neuen Bundesländer und Bundesverkehrsminister, Anm. d. Red.) nach Berlin eingeladen wurden. Er hat gesagt, dass sie ein Vorbild für das zusammenwachsende Deutschland seien. Diese großen Worte fand ich irgendwie lustig. Natürlich ist mir bewusst, dass wir ohne die Wiedervereinigung keine Beziehung führen würden, und klar sind wir ein Ost-West-Paar, aber …
Hannes: … wir sind vor allem Menschen, die sich gerne mögen.
Titelbild: Jan Q. Maschinski