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Fette Beute

Lootboxen bringen der Gaming-Industrie Milliarden ein. Doch das Geschäftsmodell ist umstritten – und hat verdächtige Ähnlichkeiten mit dem Glücksspiel. Zeit, das Phänomen auszulo(o)ten

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Lootbox

„Dopamin is a bitch“, weiß Rafaell. Trotzdem gelingt es ihm nach acht Stunden Arbeit nur manchmal, gute Vorsätze zu erfüllen, ein Buch zu lesen oder Italienisch zu lernen. Der lange und glanzlose Arbeitstag verlangt nach etwas, worauf er sich freuen kann, einer Tätigkeit, die sein Belohnungssystem stimuliert. Also setzt er, der Softwareentwickler Anfang 30, sich am Abend auf die andere Seite des Interface und zockt Videospiele, zuletzt „Clash of Clans“ (CoC).

Bei dem Handyspiel geht es darum, mit dem eigenen Clan andere Dörfer zu überfallen und zu erobern. Obwohl das Spiel free2play ist, also kostenlos, hat Rafaell schon über 100 Euro dafür ausgegeben, mehr als für den Kauf kostenpflichtiger Spiele üblich. Auf Reddit behaupten manche, schon über 20.000 Dollar ausgegeben zu haben. „Im Schnitt musst du 500 Dollar zahlen, wenn du ‚CoC‘ halbwegs ernsthaft spielen willst“, schreibt ein User.

Diese Summen gehen für sogenannte In-Game-Käufe drauf. Wer schneller Fortschritte machen will, muss während des Spiels Geld lockermachen, indem er notwendige Ressourcen kauft, anstatt sie zeitaufwendig zu „farmen“. Pay2Progress oder auch Pay2Win nennt man dieses Geschäftsmodell. „Mich frustriert es, zu viel Zeit für Videospiele zu verwenden. Deshalb zahle ich lieber für die Ressourcen und konzentriere mich auf den strategischen Teil des Spiels“, begründet Rafaell seine Käufe.

Manchmal sind die benötigten Ressourcen oder die Ausstattung aber gar nicht direkt kaufbar, sondern befinden sich in Lootboxen, also in Schatztruhen beziehungsweise digitalen Paketen, die vermeintlich per Zufallsgenerator mit virtuellen Gegenständen gefüllt sind. Man muss sie erst kaufen und öffnen, bevor man erfährt, ob der benötigte Gegenstand tatsächlich drin ist. Das ist vor allem beim „CoC“-Schwesterspiel „Clash Royale“ der Fall. Andere bekannte Spiele, die Lootboxen enthalten, sind „Call of Duty“, „FIFA“, „Fortnite“* oder „NBA 2K“.

Belgien hat Lootboxen verboten

Die Diskussion um Lootboxen flammt in Deutschland häufig dann auf, wenn ein neuer bekannter Titel auf das umstrittene Geschäftsmodell setzt. Im März dieses Jahres sorgte ein österreichisches Gerichtsurteil für neuen Schwung in der Debatte. Lootboxen, wie sie bei „FIFA“ vorkommen, seien als Glücksspiel einzustufen und in der Form illegal, entschied das Bezirksgericht Hermagor. Aus dem gleichen Grund hatte bereits Belgien Lootboxen verboten, und im Januar forderte auch das EU-Parlament die Kommission auf, eine strengere Regulierung von Lootboxen und Pay2Win-Modellen zu prüfen.

Dieser Text ist in fluter Nr. 87 „Spiele” erschienen. Das Heft findet ihr hier.

„Glücksspiel unterliegt zwar der nationalen Gesetzgebung, doch das Urteil in Österreich könnte auch in Deutschland, wo die Gesetze zum Glücksspiel ähnlich sind, einiges bewegen“, glaubt Sabrina Wagner, die für den Verbraucherzentrale Bundesverband den digitalen Markt beobachtet.

Wagner kann die Argumentation des Gerichts gegen „FIFA“ nachvollziehen. User können dort mit Spielewährungen, die sie erspielen oder aber auch mit echtem Geld kaufen können, sogenannte „FIFA“-Packs erstehen, deren genauen Inhalt sie vor dem Kauf nicht kennen und die laut Gerichtsurteil dem Zufall unterliegen und entsprechend mit unterschiedlich guten Spielern gefüllt sind. Diese werden in die eigene Mannschaft integriert, die wiederum gegen Geld auf dem Zweitmarkt weiterverkauft werden kann.

„Die wichtigsten Kriterien von Glücksspiel – die Zahlung eines Geldbetrags für die Möglichkeit zufälliger Gewinne, die wiederum monetarisiert werden können – sind erfüllt“, sagt Wagner. Da Sony, über dessen PlayStation Store die Kaufverträge abgeschlossen wurden, keine Glücksspielkonzession besitzt, wurde das Unternehmen von dem österreichischen Gericht zur Rückerstattung von 338,26 Euro verurteilt, die ein Kunde für die „FIFA“-Packs aufgewendet hatte. Ein Präzedenzfall für künftige Klagen.

Wenn Geld statt Fähigkeit gewinnt

Während für das Gericht die fehlende Konzession im Vordergrund steht, treibt Eltern und Jugendschützer eine andere Frage um: Findet unter dem Deckmantel eines harmlosen Videospiels Glücksspiel seinen Weg in die Kinderzimmer? Gewinne im Glücksspiel – oder eben der richtige Gegenstand in der Lootbox – lösen im Gehirn einen Dopaminrausch aus. Dopamin ist der Botenstoff, der das Belohnungssystem aktiviert. Durch die erwartete Belohnung, die in Wirklichkeit aber ungewiss bleibt, wird irgendwann das Spielen an sich „belohnt“. So kann eine Glücksspielsucht beginnen. In den vergangenen Jahren haben Studien eine Korrelation zwischen dem Gebrauch von Lootboxen und Problemen mit Glücksspiel bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen festgestellt.

Alexander Wahl, Jurist beim Europäischen Verbraucherzentrum Deutschland, warnt jedoch davor, die Problematik von Lootboxen und In-Game-Käufen allein an der rechtlichen Einstufung als Glücksspiel festzumachen. Pay2Win-Mechaniken und virtuelle In-Game-Währungen, die die tatsächlichen Kosten von Lootboxen verschleiern sollen und häufig sehr aufdringlich im Spiel eingebunden – und auch für junge Spielerinnen und Spieler mühelos bedienbar – sind, seien an sich zweifelhaft und erwiesen sich oft als Kostenfalle. „Uns erreichen immer wieder Anfragen von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die hohe vier- bis fünfstellige Beträge ausgegeben haben“, berichtet Wahl.

So schützt du dich besser vor unübersichtlichen Spielkosten:

• Prüfe vor dem Kauf oder der Installation, ob ein Spiel mit Pay2Win-Modellen arbeitet. Dabei helfen die Alterskennzeichnung oder Kundenbewertungen.

• Je nach Betriebssystem oder Spielgerät gibt es die Möglichkeit, In-Game-Käufe einzuschränken oder komplett zu blockieren.

• Nutze für Game-Shops möglichst Prepaidkarten. So behältst du leichter den Überblick über die Kosten.

Eine positive Entwicklung ist für ihn deshalb, dass die bekannten Alterskennzeichen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), die in Deutschland für die gesetzliche Altersfreigabe zuständig ist, seit Januar 2023 nicht mehr nur vor jugendschutzrelevanten Inhalten warnen, sondern bei neu eingereichten Spielen auch vor anderen Onlinerisiken wie eben In-Game-Käufen, Lootboxen oder Chatfunktionen, über die Hass verbreitet werden kann. Ob Spiele wie „FIFA“ wie bisher ohne Altersbeschränkung freigegeben würden, ist fraglich.

Für die Hersteller lohnt sich das Geschäftsmodell allemal. Mit In-Game-Käufen wurden in Deutschland 2022 insgesamt 4,5 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dagegen nimmt sich der Umsatz von 1,1 Milliarden Euro aus reinen Spiele-Einzelverkäufen mickrig aus. „Clash of Clans“, das scheinbar kostenlose Handyspiel, generierte 2022 weltweit einen In-Game-Umsatz von nahezu einer halben Milliarde Dollar.

Auch bei den Gamerinnen und Gamern sorgen Lootboxen für Unmut – allerdings weniger wegen ihres Glücksspielcharakters: „Wenn du weißt, du kannst nur mit Geld, aber nicht mit deinen Fähigkeiten gewinnen, zerstört das den Spaß am Spiel“, sagt Aria, der seit Jahren „FIFA“ spielt. EA Sports verteidigt das Pay2Win-Konzept: „Die Fans lieben es, dass das Spiel die realen Herausforderungen und die Strategien, ein Team aufzubauen und zu managen, widerspiegelt.“ Zumindest in diesem Punkt gibt Aria den Herstellern recht. „Es ist wie im echten Fußball. Du musst Geld haben, um ganz oben mitzuspielen.“

* Hinweis, 28. Juni: Wir wurden nach Erscheinen des Artikels darauf hingewiesen, dass die Lootboxen in „Fortnite“ seit einer Weile transparent sind. Heißt: Spielerinnen und Spieler können die Inhalte der sogenannten „X-Ray-Lamas“ vor dem Kauf einsehen.

Illustration: Frank Höhne

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.