Wenn Jana Hofman „professionell“ und „erfolgreich“ sagt, deutet sie mit Zeige- und Mittelfingern beider Hände Anführungszeichen an. Jana ist 26 Jahre alt und eine „Influencerin“: jemand, der mit den eigenen Social-Media-Accounts viele Menschen erreicht und womöglich beeinflussen kann. Jana selbst würde sich so nicht nennen: Sie ist keine von den ganz Großen. Klein ist ihre Follower-Zahl aber auch nicht: Jana hat als @vonkopfbisfuss_ mehr als 40.000 Follower auf Instagram und ist in den Karteien mehrerer Agenturen, die regelmäßig Angebote von Unternehmen an sie weiterleiten: Dann soll Jana zum Beispiel Schminkzeug von Mac oder ein Dove-Deo vor ihre Handy-Kamera halten und die Bilder – Filter drauf und weichgezeichnet – auf ihrem Profil bei Instagram hochladen.
Wie sieht es bei Instagrammern zu Hause wirklich aus?
Ein Tag im Juni, eine Altbauwohnung in Krefeld. Jana öffnet in längsgestreifter Hose und weißem Oversize-Shirt die Tür. Dass ausgerechnet sie das tut, ist kein Zufall. Jana ist, das sagt sie selbst, ernüchtert vom Influencer-Business. Die, die noch nicht ernüchtert oder schon richtig dick im Geschäft sind, öffnen Journalisten meist keine Türen. Ich wolle mal sehen, wie man so lebt als Influencer und wie das alles in echt aussähe, hatte ich geschrieben. Die häufigsten Reaktionen auf meine Anfragen: zu beschäftigt, zu wenig Nutzen („Wie viele Klicks hat fluter.de?“, dann keine Antwort mehr), einfach gar keine Antwort, „Wende dich an mein Management“, keine Antwort vom Management.
Andererseits ist es kein Wunder, dass die Angefragten alle so busy sind: Influencer-Marketing ist inzwischen wirksamer als Fernsehwerbung. Das besagt die jährlich erhobene Marktforschungsstudie „Social-Media-Atlas“. 13 Prozent aller Internetnutzer gaben an, sie hätten innerhalb eines Jahres ein Produkt gekauft oder eine Dienstleistung in Anspruch genommen, weil sie ein Youtuber empfohlen hat. Das ist sogar ein Prozent mehr als bei der Fernsehwerbung. Bei jungen Leuten zwischen 14 und 19 Jahren war der Anteil noch deutlich höher: Jeder Zweite gab an, auf Empfehlung eines Influencers etwas gekauft zu haben.
In der Pfanne brutzeln Bratwürste statt Seitan, auf dem Schrank stehen Ordner statt Blumen
Aber Jana hat geantwortet. Sie will sprechen. „Ich kann dir einiges erzählen“, schrieb sie. Dass ihre Geschichte die einer großen Enttäuschung ist, weiß ich da noch nicht. Jetzt zeigt sie mir erst mal die Wohnung: Auf knapp 60 Quadratmetern wohnt sie mit ihrem Freund. „Alles ganz normal hier“, sagt sie. In der Küche steht eine Pfanne mit Bratwürsten auf einem Ikea-Herd. „Benno macht die beste Currywurst“, sagt Jana. Benno, der eigentlich Benjamin heißt, sitzt nebenan in einem Zimmer, das er „sein Büro“ und Jana „unser Kabuff“ nennt. An der Wand hängt ein Poster von Muhammad Ali, darunter steht eine Hantelbank, daneben ein funktionell aussehender Schrank mit vielen Ordnern drauf. Ganz normal.
Das alles war noch nie auf Janas Instagram-Account zu sehen. Da inszeniert sich Jana im Wohnzimmer vor schwarzem Ledersofa auf weißem Teppich und dunklem Holzboden. Ihre Outfits sind oft gestreift oder kariert in Rot, Weiß und Schwarz. Dazu die braune Ledertasche von #chloé und ein Paar #vans. Die Haare glatt, braun, lang, die Augenbrauen perfekt aufgemalt, Lippenstiftfarbe Honeylove. Statt Currywurst gibt’s Insta-Einheitsbrei: Zerealien mit bunten Beeren. Dazwischen verstecken sich auf Janas Profil Lebensweisheiten wie: „If you’re not doing what you love, you’re wasting your time.“ Und: „Never give up, great things take time.“
Jana ist seit knapp fünf Jahren auf Instagram. Nach großer Liebe für die Plattform hört sich das, was sie erzählt, nicht an. Zumindest nicht mehr. Eigentlich ist Jana ausgebildete Krankenschwester, für sie ein Brotjob. Als sie aus ihrer Heimat Coburg nach Krefeld ging, weil ihr Freund Benjamin dort als Lehrer arbeitet, fing sie in einer Boutique in Köln als Verkäuferin an. Die 60 Kilometer am Tag pendelte sie. Hauptsache nah dran sein an der Mode, der Rest vom Bloggerleben kommt dann sicher, dachte sie. Ein Kleiderbügel-Tattoo ziert ihren Nacken. Das war vor vier Jahren. Inzwischen arbeitet sie wieder 30 Stunden die Woche als ambulante Pflegerin, denn von Instagram alleine kann sie nicht leben. In der Boutique hat es mit der Chefin nicht geklappt, und das Pendeln wurde auf Dauer auch zu anstrengend.
Bisschen posen, bisschen Mascara testen – ist doch keine Hexerei…
Influencer schießen gerade aus dem Boden wie Pilze im Wald nach einem Regen. Die Kölner Agentur für mobiles Marketing „We love to share“ vermittelt zwischen ihnen und Unternehmen, die mit ihnen werben wollen. Sie nimmt im Schnitt einen neuen Instagrammer oder eine neue Instagrammerin pro Tag in ihre Kartei auf, schätzt Community-Managerin Farina Fontaine. Für viele ist damit wie für Jana der Traum vom Blogger-Dasein verbunden: Reisen, Shoppen, Essen – und dafür auch noch Geld bekommen. Von den Produkten, die man testen oder einfach nur ins Bild halten soll, mal ganz abgesehen. Das sieht verdammt einfach aus. Doch das Business hat ein Problem: Es lebt von Authentizität. Und die zu verkaufen ist schwierig. Wie empfiehlt man ein Produkt, dessen Hersteller einen bezahlt, und bleibt dabei glaubwürdig? Die Community scheint eine Lösung gefunden zu haben: einfach nicht darüber sprechen, wie es wirklich läuft. Erst recht nicht, wenn es ums Geld geht.
Jana bekam die ersten Angebote, als sie mehr als 2.000 Follower hatte. Einen Jutebeutel sollte sie tragen. Vergütung: der Jutebeutel. Die erste Bezahlung für einen Post erhielt Jana mit etwa 10.000 Followern von einem Online-Versandhandel für Kleidung. Outfit plus 150 Euro für ein Bild. Das war vor etwa zwei Jahren. Drei- bis viermal die Woche kommen inzwischen Angebote von verschiedenen Unternehmen rein, sagt Jana. Über die Agenturen oder direkt per Mail. Aber sie sei vorsichtig geworden. Erst vor Kurzem warb sie mit einem Gewinnspiel für einen Deodorant-Hersteller. Sie hatte ein gutes Gefühl dabei, sagt sie. Das Produkt benutze sie auch privat. Die Reaktion ihrer Anhänger: „Das hat meine Follower total irritiert. Die haben sich gefragt, warum ich jetzt auf einmal mit einem Gewinnspiel um die Ecke komme.“ Die große Reichweite, die Janas Posts sonst erreichen, die sich in Likes und Kommentaren misst, blieb aus. Für die zukünftige Zusammenarbeit ist das schlecht. Im schlimmsten Fall verliert Jana auch noch Follower, weil die davon genervt sind, dass sie sich für so was hergibt. Wie machen die anderen das nur?
…nur heißt das noch lange nicht, dass sich auch jemand dafür interessiert
„Vielleicht fehlt mir das gewisse Etwas“, sagt sie. „Ich bin halt keine Farina.“ Sie schiebt die verspiegelte Sonnenbrille ins Haar. Auf der Nase bleiben zwei Make-up-freie Stellen zurück. Wir sitzen inzwischen beim Mittagessen in der Sonne. Jana meint die erfolgreiche Bloggerin „Nova Lana Love“, die mit echtem Namen Farina Opoku heißt. Follower auf Instagram: 713.000. Farina hat’s geschafft, glaubt Jana. Genau wie Caroline Daur. Die hat’s – in Zahlen gemessen – sogar noch ein bisschen mehr geschafft: 1,1 Millionen Follower. Aber auf dem Boden sei sie geblieben. „Die ist zu Hause immer noch die kleine Caro. Das sieht man ja auch“, sagt Jana. Auf den Fotos ihres Profils jettet Daur in Designerkleidung mit anderen Top-Influencerinnen durch die Welt. Von Zuhause keine Spur.
Anruf bei Nadine Menz. Sie hat immerhin fast 200.000 Follower auf Instagram. Ihre Bekanntheit verdankt sie einer Rolle in „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Da spielte sie bis Ende vergangenen Jahres die Ayla Höfer. Ob ihr Management geantwortet hätte? Der Kontakt zu Menz kam über eine gemeinsame Bekannte zustande. Im Mai war Menz bei den „Influencer Awards“ des Online-Versandhandels „About You“ eingeladen, wo Blogger aus dem Modebereich ausgezeichnet werden. Unter den Gewinnern übrigens: Nova Lana Love und Caro Daur. Menz sagt, was die Fans auf Instagram zu sehen bekommen, sei nur ein kleiner Teil ihres Lebens. „Mein Privatleben halte ich aus Instagram komplett raus.“ Ihr Freund, ihre Schwester, Eltern und unprominente Freunde tauchen da nicht auf. „Das hat für mich nichts mit meinem Profil zu tun“, sagt sie. Die entscheidende Frage, wie viel sie für Kooperationen zum Beispiel mit „About You“ erhält, will sie nicht beantworten.
„Jetzt sag doch mal: Wie viel haste denn so verdient mit dem Kram?“
Community-Managerin Farina Fontaine von „We love to share“ hat Anfang des Jahres eine Zahl genannt: Was kann man für ein Posting verlangen? Sie hat es sofort bereut. Damals sagte die Agentur dem WDR, ein Influencer mit etwa 40.000 Followern könne zwischen 150 und 300 Euro pro Bild bekommen. Bei 800.000 Followern sei man im vierstelligen Bereich. Jetzt will Fontaine keine Aussage mehr darüber machen. Die Beträge seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Und: Nach dem Beitrag haben sich Influencer gemeldet, die von der Agentur vertreten werden. Sie hätten sich beschwert, weil sie weniger bekommen. Denn wer wie viel für ein Bild bekommt, ist Verhandlungssache.
„Jetzt sag doch mal: Wie viel haste denn so verdient mit dem Kram?“, frage ich Jana. Auch wenn ich mir keine großen Hoffnungen auf eine Antwort mache.
Sie überlegt: „Vielleicht 1.500 Euro.“
„Im Monat?“
„Nee. Insgesamt.“
Tanja Mokosch (bescheidene 187 Instagram-Follower) musste nach ihrer Recherche über Influencer erst einmal sämtlichen Accounts wieder entfolgen, um nicht täglich stundenlang in Insta-Storys hängen zu bleiben. Jetzt muss sie sich daran gewöhnen, dass der erste Satz, den sie morgens hört, nicht mehr: „Hallo, ihr Lieben“ ist, sondern einfach wieder ein müdes „Naaaaa“ in der WG-Küche.
Fotos: Jana Hofmann