Sie halten Händchen, fast die ganze Zeit. Sie lachen und kichern, als sie über die verregneten Straßen der Kölner Innenstadt schlendern. Und vor dem Kölner Dom posiert sie für Selfies, während er ein paar Meter von ihr entfernt mit dem Kopf im Nacken die Größe der Kathedrale bewundert. Lama hatte sich über das Wahrzeichen der Stadt informiert und dabei etwas Lustiges festgestellt. Ihrem Mann Aziz erzählt sie: „Der Kölner Dom ist in Metern so hoch wie ich in Zentimetern.“ Die beiden finden das zum Totlachen. Beide sind zum allerersten Mal in Köln.
Das wäre ein möglicher Anfang einer x-beliebigen Geschichte zweier junger Touristen. Es ist aber so etwas wie das Happy End einer langen Reise, die auch einen ganz anderen, weniger glücklichen Ausgang hätte nehmen können.
Noch vor einigen Monaten arbeitete Lama als frisch diplomierte Zahnärztin in der Privatklinik der Eltern in ihrer Heimatstadt Salamiyya in Syrien. Dorthin ist sie nach ihrem Studium in der Ukraine erst mal wieder zurückgekehrt. Auch in Salamiyya ist alles nicht mehr so friedlich, wie es mal war. Doch es sei nicht zu vergleichen mit der Hölle von Aleppo oder Damaskus. „Dort müssen die Menschen nicht unbedingt Angst haben, dass sie getötet werden“, sagt Aziz. „Höchstens, ob es am nächsten Tag Strom und genug zum Essen gibt.“ Für seine Frau Lama war Bleiben trotzdem keine Option.
Denn Aziz war da schon längst in Deutschland. Als er damals ihre gemeinsame Heimat Syrien verließ, büffelte Lama weit entfernt von Ehemann und Familie in der Ukraine für ihr Diplom. Dieses schlechte Timing und viele verschiedene Umstände standen ihrem Wiedersehen lange im Weg – mehr als drei Jahre lang, um genau zu sein. Als Aziz noch für eine Rebellengruppe in Syrien aktiv war, wollten sich die beiden einmal in der Türkei treffen. Doch der Plan scheiterte dramatisch. Türkische Soldaten erwischten ihn, nachdem er über die Grenze gegangen war. „Normalerweise lassen sie dich nach einem Tag wieder gehen“, erzählt Aziz. Diesmal war es aber anders, da die Sicherheitsbehörden wegen befürchteter Anschläge des Daesh härter gegen illegale Grenzgänger aus Syrien vorgingen. Eine ganze Woche verbrachte Aziz in einem Gefängnis, während Lama auf ihn wartete und nicht wusste, was mit ihrem Mann geschehen ist. Schließlich flog sie nach einigen Tagen wieder zurück in die Ukraine.
Ende des vergangenen Jahres wurde aber alles gut. Am 28. November hat Aziz seine Frau Lama mit dem Fernbus vom Frankfurter Flughafen abgeholt und dann in ihre nun gemeinsame Wohnung in Osnabrück gebracht. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich hier bin“, sagt sie. Bei einem Kölner Italiener kämpft die 25-Jährige mit einer zu groß geratenen Pizza mit Thunfisch und Zwiebeln und erinnert sich an ihre Ankunft. Die ersten zehn Tage in Deutschland sei sie wie unter Schock gewesen – wegen der Erleichterung. Monatelang mussten die beiden auf die Erlaubnis der deutschen Behörden warten, damit Lama auf dem Weg des Familiennachzugs ebenfalls nach Deutschland kommen konnte. Um die bürokratischen Hürden zu bewältigen und ein Visum für Lama zu bekommen, hatte Aziz sogar einen Anwalt eingeschaltet.
Vor einigen Monaten noch ließ Aziz durchblicken, wie sehr er nach all seinen Erlebnissen im Bürgerkrieg in Syrien und auf seiner Flucht unter der Einsamkeit leidet. Er hat in einem Aufnahmelager im Osten der Republik erfahren, wie es ist, völlig machtlos einer neuen Umgebung in einem fremden Land ausgeliefert zu sein. „Ich hatte kurz nach meiner Ankunft keine Chance, hier Fuß zu fassen“, sagt der 28-Jährige. Das ist inzwischen ganz anders.
Wenn Aziz davon erzählt, was er gerade so macht, klingt es, als würde er inzwischen halb Osnabrück kennen – auch die wichtigen Leute. Mit einem Professor für Geschichte, den er als Gasthörer an der Uni kennengelernt hat, arbeitet er gerade an einer Chronik der Stadt. Die soll bald als App auf Arabisch erscheinen, damit auch die anderen Flüchtlinge erfahren können, wo sie eigentlich leben. Und als Bundesfreiwilligendienstler (Bufdi) ist er seit Januar sogar selbst in der Flüchtlingshilfe Osnabrücks tätig. Für den gemeinsamen Ausflug nach Köln hat er einen Tag freibekommen.
Aufgrund seiner Herkunft und seiner Erfahrungen weiß er um die vielen kulturellen Unterschiede, die ganz selbstverständlich zwischen der Bevölkerung in Deutschland und den Zuwanderern bestehen. Nun will er mit seiner Perspektive als Flüchtling dabei helfen, die Menschen besser zu integrieren.
„Wir sind nun Teil der Gesellschaft“
Wenn Aziz davon erzählt, was er gerade so macht, klingt es, als würde er inzwischen halb Osnabrück kennen – auch die wichtigen Leute. Mit einem Professor für Geschichte, den er als Gasthörer an der Uni kennengelernt hat, arbeitet er gerade an einer Chronik der Stadt. Die soll bald als App auf Arabisch erscheinen, damit auch die anderen Flüchtlinge erfahren können, wo sie eigentlich leben. Und als Bundesfreiwilligendienstler (Bufdi) ist er seit Januar sogar selbst in der Flüchtlingshilfe Osnabrücks tätig. Für den gemeinsamen Ausflug nach Köln hat er einen Tag freibekommen.
Von sich und seiner Frau kann er mittlerweile selbstbewusst behaupten: „Wir sind nun ein Teil der Gesellschaft.“ Sie hoffen, dass die Verlängerung ihrer zunächst dreijährigen Aufenthaltserlaubnis in nicht allzu ferner Zukunft nur noch Formsache sein wird und sie für immer in Deutschland bleiben können. Die Frage an Lama, welche beruflichen Ziele sie hat, fängt er ab. Dabei ist unklar, ob die Rollenverteilung es so vorsieht, dass Aziz viel mehr redet, oder ob das mit seinem flüssigeren Englisch zu tun hat. „Nach ihren Sprachkursen wird Lama eine Zusatzqualifikation als Zahnärztin ablegen, damit ihr Abschluss anerkannt wird“, sagt Aziz, als die beiden die berühmte Hohenzollernbrücke überqueren. Man hört ein wenig Stolz in seiner Stimme, der keinen Zweifel daran lässt, dass Lama tatsächlich auch hier bald als Zahnärztin arbeiten wird. Ob Lama auch gerne ein Schloss neben den Tausenden anderen am Geländer anbringen möchte, mit denen Pärchen ihre Treue zueinander bezeugen? „Ich finde das schön“, sagt Lama. Aber eigentlich glaube sie nicht daran.
Noch immer beginnt Aziz jeden Tag damit, die neuesten Nachrichten aus dem Krieg in Syrien zu verfolgen. Schreckliche Dinge haben sich in sein Gedächtnis eingebrannt, und die ersten Monate in Deutschland waren hart für ihn. Jetzt, da er und Lama wieder vereint sind, ist aber vieles leichter, sagt Aziz. Auch die kleinen Dinge im Alltag. „Du willst einfach alles essen, was sie macht“, schwärmt er von ihren Kochkünsten. Endlich nicht nur Fast Food zum Abendessen. Endlich keine Angst mehr, dass die deutsche Botschaft oder die Ausländerbehörde die Einreiseerlaubnis verweigert. Endlich eine Zukunft in den eigenen Händen. Endlich zusammen.
Titelbild: Christian Protte