Nachrichten aus Nordkorea haben meistens mit Reichweiten von Interkontinentalraketen, Atomsprengköpfen oder sonstigen militärischen Drohgebärden zu tun. Auch Hungersnöte, aktuell etwa in einem Bericht der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO), sind ein Thema. Wie es dagegen im Inneren des abgeschotteten Landes aussieht, jenseits der staatlichen Medienkontrolle, davon weiß man im Westen nur wenig.

Die Aufnahmen, die es gibt, ergötzen sich meist an einem Paradenporno, haben darüber hinaus aber wenig Aussagekraft – außer, dass der Fotograf offenbar nicht viel mehr zu sehen bekam, als er sehen sollte. Damit reproduzieren die Bilder die totale Inszenierung des Regimes.

Ganz ohne Militärparaden und Monumente kommt der Bildband „The North Koreans: Glimpses of Daily Life in the DPRK“ aus, der in dem niederländischen Verlag Primavera Pers erschienen ist. Nur einer der Beteiligten ist ein professioneller Fotograf, die anderen sind Touristen, Diplomaten und Wirtschaftsreisende, die teils länger in Nordkorea lebten und somit seltene Einblicke in das Alltagsleben der Nordkoreaner gewinnen konnten. Wie es ist, als westliche Besucherin in Nordkorea zu reisen und zu fotografieren und wie der Band zustande kam, erzählt die Herausgeberin Evelyn de Regt.

Die Idee zu Ihrem Bildband kam Ihnen, nachdem Sie selbst nach Nordkorea gereist waren. Wie einfach oder schwierig war es, dort als Touristin Fotos vom Alltagsleben zu machen?

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Lautsprecher an einem Feld (Foto:  Martin Tutsch ca. 2007)

Mit Beschallung aus mobilen Lautsprechern sollen Feldarbeiter motiviert werden

(Foto: Martin Tutsch ca. 2007)

Es ist schon ziemlich schwierig. Als das Regime vor ein paar Jahren anfing, Touristen ins Land zu lassen, war es noch ein bisschen leichter. Heute gibt es eine sehr professionelle Tour ohne Überraschungen. Unserer Reisegruppe passierte nur eine ungewöhnliche Situation: Der Busfahrer hatte sich verfahren. Und da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass die Propaganda nicht nur in Pjöngjang allgegenwärtig ist, sondern auch auf dem Land. Aber das war nachts, wir konnten es nicht fotografieren.

Was passiert denn, wenn man Fotos vom Alltagsleben macht? Ist das überhaupt erlaubt? Man wird als Tourist ja ständig von Kontrollpersonen begleitet.

Die lassen einen schon mal nicht in die Gegenden, wo man Sachen fotografieren könnte, die unangenehm für das Regime wären. Wenn man ein Foto macht, das man nicht machen darf, dann löschen sie das. Man ist ja immer von einem Guide begleitet, der aufpasst. Aber mit einer Software kriegt man sie wieder zurück. Das passiert manchmal. Wenn man im Zug über die Grenze fährt, gibt es einen Beamten, der die Kameras kontrolliert. Das ist ein bisschen albern: Jeder kann eine SD-Karte verschwinden lassen. Bei meiner Reise hat der Beamte interessanterweise nur die Männer kontrolliert. Vielleicht dachte er, Frauen könnten keine Fotos machen.

„Man soll etwa keine Ochsenkarren fotografieren – weil das nicht dem Bild des reichen Landes entspricht, das man vorgaukeln will“

Im Vorwort schreiben Sie, es sei unter den Nordkorea-Reisenden ein regelrechter Sport, verbotene Aufnahmen zu machen.

Das stimmt. Man soll etwa keine Ochsenkarren fotografieren – weil das nicht dem Bild des reichen Landes entspricht, das man vorgaukeln will. Wir hatten deshalb einen Wettbewerb, wer das beste Foto eines Ochsenkarrens schießt. Das ist gar nicht so einfach, weil die Busse sehr schnell fahren; aus dem Zug geht es besser. Das ist natürlich ein bisschen kindisch. Es fühlt sich wie ein Spiel an.

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Eine Frau verkauft Eiscreme (Foto: Eric Lafforgue)

Diese Frau verkauft am Straßenrand Eiscreme

(Foto: Eric Lafforgue)

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Strassenarbeiten (Foto: Martin Tutsch 2010)

Straßenarbeiter in der Region Unjon. Solche Arbeiten werden in Nordkorea oft von Zwangsarbeitern ausgeführt, die müde und demotiviert auf der Baustelle herumhängen

(Foto: Martin Tutsch 2010)

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Bus in Pyongyang (Foto: Benjamin Jakabek 2013)

Rush-Hour in der Hauptstadt Pjöngjang

(Foto: Benjamin Jakabek 2013)

Die Bilder für Ihr Buch haben Sie über die Bilddatenbank Flickr gefunden. Wie lange haben Sie recherchiert?

So ein halbes Jahr. Wenn man ein Bild findet, muss man die Leute ja anschreiben und das Konzept erklären. Ich wollte kein Buch machen, das die Nordkoreaner bloßstellt, sondern etwas aus ihrem Leben zeigen, das uns das Regime nicht sehen lassen will.

„Man weiß nicht, was die Menschen denken. Aber vielleicht denken sie, der Tourist wird Ärger bekommen“

Wenn man die Gesichter der Fotografierten schaut, sieht man meist einen abweisenden Blick. Zufall?

Nein. Das sieht man tatsächlich auf fast allen Fotos aus Nordkorea. Man weiß nicht, was die Menschen denken. Aber vielleicht denken sie, der Tourist wird Ärger bekommen. Oder vielleicht: Die verachten uns dafür, dass wir einfache Arbeiten ausüben. Da kann man sich viele Theorien ausdenken, aber dieser skeptische Blick ist immer da. Als sich China in den 1970er-Jahren dem Tourismus öffnete, schauten die Leute auf den Fotos nicht so aggressiv: Die hatten einen anderen Blick, eher entspannt, erstaunt.

Schlafende Leute scheinen ein relativ alltäglicher Anblick. Warum?

Oft sind sie schlecht ernährt und haben lange, lange Arbeitstage. Es gibt ja immer wieder Kampagnen, dass man 150 Tage lang zwei Stunden mehr arbeiten muss. Angeblich spielen auch Alkoholprobleme eine Rolle.

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Soldaten schlafen (Foto: Bryan Hughes 2007)

Zwei müde Krieger am Bahnhof Wonsan: Dass die Menschen am hellichten Tage irgendwo in der Öffentlichkeit schlafen, ist in Nordkorea nicht ungewöhnlich. Mangelernährung und stupide Arbeiten tragen ihren Teil dazu bei

(Foto: Bryan Hughes 2007)

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Strassenarbeiter (Foto: Michael Connolly 2007)

Bei Straßenarbeiten in der Provinz

(Foto: Michael Connolly 2007)

Auf den Straßen ist zwar überall Propaganda zu sehen, aber kaum eine Bank oder ein Stuhl.

Das stimmt. Oft sieht man die Leute auf dem Boden sitzen. Es gibt da eine Erklärung, ich weiß nicht, ob sie stimmt. Aber sie klingt plausibel. Wenn man Orte schaffen würde, an denen die Menschen gemeinsam Zeit verbringen, dann könnten sie sich über die nicht so angenehmen Dinge in ihrem Leben austauschen. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Was ich aber gehört habe, ist, dass die Nordkoreaner gerne mit dem Zug fahren, weil man da gut miteinander sprechen kann.

Es gibt in diesem Buch keine einzige Parade zu sehen. Eine programmatische Entscheidung?

Ja. Ich finde Paraden auch ein bisschen langweilig. Die sehen immer gleich aus. Monumente haben wir auch nicht drin.

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Rostiges Fischerboot (Foto: Raymond K. Cuningham Jr. 2013)

Ein Fischerboot nahe der Ostküste bei Rason

(Foto: Raymond K. Cuningham Jr. 2013)

Weil das die Bühne ist, die das Regime uns sehen lassen will?

Ja, natürlich, aber auch, weil ich sie sehr hässlich finde. Allerdings sind viele Fotografen davon fasziniert.

Welche Fotos aus Ihrem Bildband hätten die Zensur überstanden?

Wahrscheinlich nicht viele. Dabei zeigen die Bilder ja nicht nur die negativen Seiten – die mit lachenden Kindern etwa. Verboten sind Bilder, auf denen man Menschen arbeiten sieht. Weil die Umstände hart und oft gefährlich sind. Diese Bilder wären sicher verboten, andere würden sie einfach nicht mögen.

The North Koreans. Glimpses of Daily Life in the DPRK. Fotos von Martin Tutsch, Eric Lafforgue, Raymond K. Cunningham Jr. und anderen. Leiden 2017, 350 Farbfotos, 39,50 Euro