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„Deniz schweigt nicht. Und darum geht es“

Seit einem Jahr sitzt der Journalist Deniz Yücel ohne Anklageschrift in türkischer Untersuchungshaft. Wir haben mit dem Autor Imran Ayata gesprochen – er ist ein Freund Yücels und Mitinitiator der Kampagne #freedeniz

#freedeniz


 

+++ Das Interview wurde am 13.2.2018, ein Tag vor dem Jahrestag der Inhaftierung, geführt. Am 16.2.2018 wurde Deniz Yücel aus der Untersuchungshaft entlassen. Die türkische Staatsanwaltschaft legte zugleich ihre Anklageschrift vor: Sie fordert bis zu 18 Jahre Haft. +++

fluter.de: Seit einem Jahr sitzt Deniz Yücel ohne Anklage in türkischer Untersuchungshaft. Wie hält er diese Situation aus?

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Imran Ayata (picture-alliance/dpa )

Imran Ayata ist Autor, Campaigner und DJ. Zuletzt erschien sein Roman "Ruhm und Ruin", Verbrecher Verlag, Berlin 2015

(picture-alliance/dpa )

Imran Ayata: Die Bedingungen sind extrem schwierig. Mein Eindruck ist, dass er trotzdem stark ist. Aber man kann sich ja vorstellen, dass das nicht wirklich ein gutes Leben ist, das man da führt. Ich habe ihn nicht von Angesicht zu Angesicht gesprochen. Seine Schwester, seine Ehefrau und seine Anwälte besuchen ihn. Sie sagen, dass er weiterhin sehr genau und sehr klug beobachtet, wie sich die Dinge entwickeln. Und dabei den Humor nicht verloren hat.

Haben Sie direkten Kontakt mit ihm gehabt?

Es ist kein direkter Kontakt möglich. Er sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis. Ich schicke ihm die Fußballzeitschrift „11 Freunde“. Manchmal bekommen wir über seine Anwälte voneinander mit. Ich schreibe ihm Briefe, weiß allerdings oft nicht, ob er die bekommt. Jedenfalls habe ich mich im letzten Jahr mehr mit Deniz Yücel beschäftigt als in den 20 Jahren, die ich ihn kenne. Und noch nie war ein Hashtag in meinem Leben so wichtig. 

Seit dem gescheiterten Militärputsch in der Nacht zum 16. Juli 2016 wurden in der Türkei über 100.000 Menschen verhaftet oder von ihrer Arbeit suspendiert – darunter zahlreiche Journalisten, Lehrer, Richter und Soldaten, aber auch Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen. Derzeit sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes sechs Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert. Im Rahmen der Antiterrorgesetzgebung klagt die türkische Regierung Journalisten wegen Terrorpropaganda an. 39 Journalisten sind laut Reporter ohne Grenzen derzeit in der Türkei inhaftiert. Deniz Yücel klagt am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil er ohne triftigen Grund und ohne Anklageschrift festgehalten werde, was seine Menschenrechte verletze. Anfang Februar 2018 hat die deutsche Bundesregierung eine Stellungnahme vor dem Gericht abgegeben. Sie sehe in der Inhaftierung einen möglichen Verstoß gegen Grundrechte und -freiheiten, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschrieben sind, und einen Angriff auf die Pressefreiheit. Eine Stellungnahme des Gerichtshofs wird im Sommer erwartet. 

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte heute gegenüber den Tagesthemen, dass Yücel zeitnah mit einem Prozess rechnen könne.

Weil Sie den Freundeskreis #freedeniz mitinitiiert haben. Was macht der?

Wir veranstalten Lesungen, Konzerte, Autokorsos. Wie haben einen kleinen Anteil daran, dass das Thema in der Öffentlichkeit präsent ist. Immer wieder weisen wir auf seine Situation und die der anderen Journalisten in der Türkei hin. Jetzt erscheint sein neues Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“. Darin stehen Texte, die überwiegend schon veröffentlicht wurden. Es gibt auch einen neuen Text, den er für das Buch schreiben konnte. Viele Themen werden behandelt: die Türkei, Fußball, Deutschland. Es ist aber auch ein wichtiges Symbol. Das Buch zeigt, dass man gute Journalisten nicht zum Schweigen bringen kann. 

Wann hat Deniz Yücel Ihnen – als Freund, Journalist, Fußballfan – in den letzten 365 Tagen am meisten gefehlt? 

Wir kennen uns schon seit den 90er-Jahren und haben uns begleitet und unterstützt bei dem, was wir tun. Über Fußball haben wir uns nicht so viel ausgetauscht, weil wir nicht zu den gleichen Clubs halten (lacht). Dadurch, dass ich mich jetzt so viel mit ihm und der Initiative #freedeniz beschäftige, ist eine größere Nähe und Freundschaft entstanden, obwohl wir uns ja nicht sprechen können. Das, was mir am meisten fehlt, sind aber seine Berichte, Reportagen und Einschätzungen. Ich weiß noch, wie er in die Türkei gegangen ist und die Gezi-Proteste begleitet hat. Er war für mich ein tolles Fenster in die Türkei. 

Welche Texte würde er jetzt schreiben, welche Themen hervorheben? 

Er würde wahrscheinlich nach Afrin runterfahren und sich den Einsatz vor Ort anschauen. Er liebt seinen Job über alles. Ich kenne kaum jemanden, der so für den Journalismus lebt. Er hat einen Text aus dem Gefängnis geschrieben: „Türkei-Journalist müsste man jetzt sein“. Weil in diesem Land gerade so wahnsinnig viel passiert. Dass er das nicht tun kann, ist tragisch. Nicht nur, was in Afrin passiert, auch, wie sich das Land gerade verändert.

Militäroffensive in Afrin

Am 20. Januar 2018 startete die türkische Regierung die „Offensive Olivenzweig“. In der Region Afrin, im Norden Syriens, geht das Militär gegen die Kurdenmiliz YPG vor. Die türkische Regierung sieht in der YPG wegen Verbindungen zur – auch in der EU und Deutschland – verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) eine terroristische Vereinigung, die die nationale Sicherheit gefährdet. Die kurdische YPG ist Verbündete der USA im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“. Die „Operation Olivenzweig“ hat Hunderte Todesopfer gefordert, darunter UN-Angaben zufolge auch Zivilisten; Ende Januar gab die UNHCR an, dass etwa 15.000 Menschen seit Beginn der Operation aus der Region Afrin geflohen sind. Besonders in der Stadt Afrin, die bisher als sicher galt, haben viele Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg Zuflucht gefunden. Der Einsatz ist international und völkerrechtlich umstritten.

 Deniz Yücel sagte auf die Frage, was er als Erstes machen würde, wenn er freigelassen wird: „Meine Frau umarmen. Noch mal umarmen. Alle anderen umarmen, die gekommen sind, um mich abzuholen. Zigarette anzünden. Durchatmen.“ Haben Sie oder der Freundeskreis #freedeniz konkrete Hoffnungen, wann diese Szene Wirklichkeit wird? 

Es ist eine sehr unübersichtliche und komplizierte politische Situation, wo ja gar nichts abschätzbar ist. Wir machen weiter, damit Deniz und seine inhaftierten Kollegen in der Türkei wissen, dass sie nicht alleine sind. Wir tun das, weil uns das Thema Meinungsfreiheit und Journalismus wichtig ist. Er ist immer noch ohne Anklage in Untersuchungshaft. Was soll man noch dazu sagen? Wir wollen einen fairen Prozess mit Anklageschrift. Auch für die vielen anderen Journalisten, die aus politischen Gründen in der Türkei verhaftet wurden. Ich kann nicht abschätzen, wann die Anklageschrift kommt, was darin steht, was das juristisch bedeutet. Ich weiß nicht, wann er freikommt. Aber die Hoffnung habe ich natürlich.

Titelbild: Christian Mang / imago 

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