Thema – Klimawandel

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Bekenntnisse eines Klimaheuchlers

Im Freundeskreis unseres Autors ist das Thema Klimawandel der Dauerbrenner. Aber mit welchen Konsequenzen? Belügt er sich in Klimafragen womöglich selbst?

Foto: Arūnas Naujokas / Unsplashed

„Jetzt reicht’s!“, rief meine Mutter eines Abends. Fünf ihrer sechs Kinder saßen um den Esstisch, und wie ein Meteorit sauste ihre Faust hinab auf die Tischplatte, zerriss für einige Augenblicke den Familienfrieden. Gerade noch hatten mein 15-jähriger Bruder Johann und ich die Lösung des Klimaproblems diskutiert, jetzt guckten wir beschämt auf die Abendbrotkrümel am Boden. 

„Wenn wir die Notbremse ziehen wollen“, hatte Johann gesagt, „dann sollten wir keine Kinder kriegen: keine Kinder, kein CO₂, kein Klimawandel, so einfach.“ – Und ich hatte gerufen: „Make more people happy, not more happy people!“, ein Bonmot des deutsch-amerikanischen Philosophieprofessors Johann Frick. Er vertritt die These, dass Klimaschutz individuell am effektivsten funktioniert, wenn Industriestaatenbewohner weniger Nachkommen zeugen. Der Menschenfeindkritik entgegnet er, ein wahrer Menschenfreund kümmere sich erst einmal um die, die schon auf der Welt sind.

Zusammen sind wir die Generation Greta: die, für die der Klimawandel immer schon existiert hat, die, die nicht dran zweifeln, dass er menschengemacht ist

Nun schimpfte meine Mutter und fühlte sich anscheinend persönlich angegriffen durch die Forderung nach weniger Kindern. „Hab ich euch jahrelang die Mäuler gestopft, damit ihr eines Tages heimkommt und so einen Schmarrn redet’s?“

Wir können den Klimawandel noch eindämmen – und das kann sogar Spaß machen. Sagt zumindest die Ökonomin Claudia Kemfert

Anlass zur Diskussion über diesen Schmarrn hatte uns die damals ebenfalls 15-jährige Greta Thunberg gegeben. Kurz vor unserer Familienzusammenkunft hatte die schwedische Klimaaktivistin auf der UN-Klimakonferenz in Kattowitz die Chefs der Weltpolitik zusammengeputzt: „Ihr redet nur darüber, wie wir vorankommen mit denselben schlechten Ideen, die uns in dieses Chaos geführt haben, obwohl das einzig Richtige wäre, eine Notbremsung einzulegen!“

Sie sprach für mich, meinen Bruder, die Generationen Y und Z. Zusammen sind wir die Generation Greta: die, für die der Klimawandel immer schon existiert hat. Und bis auf ein paar merkwürdige Ausnahmen sogenannter Klimawandel-Leugner bezweifeln wir auch nicht, dass er menschengemacht ist. 

Wir sind aufgewachsen mit der Ahnung, dass sich unser Planet, wenn wir nicht bald etwas unternehmen, in wenigen Jahrzehnten bedrohlich erhitzen wird – und die Bilder, die mir von dieser düsteren Zukunft in den Kopf kommen, sehen aus wie die Wüstenödnis in den alten „Mad Max“-Filmen, in der die Menschen grausame Kriege um verbleibende Nahrung und Wasserquellen führen. Längst ist die Frage „Wie hältst du es mit dem Klimawandel?“ zu einem der Top-Small-Talk-Themen aufgestiegen.

In der heutigen Welt kann ich meine Haltung womöglich besser mit Kaufentscheidungen ausdrücken als mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel

Bei einem der interessanteren Gespräche dieser Art lehnte ich gemeinsam mit einem Unbekannten rauchend am Sims eines weit geöffneten Fensters einer Wiener Studi-WG. „Stell dir vor, jede Konsumentscheidung ist ein Urnengang, jeder Einkauf eine Wahl über unsere Zukunft“, sagte mein Gegenüber. Die Idee schien mir plausibel: In einer Welt, in der global operierende Konzerne und Lobbyisten stetig an Einfluss gewinnen, kann ich meine Haltung zum Klimawandel womöglich besser mit Kaufentscheidungen ausdrücken als mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch fasst es so zusammen: „Der Konsument hat über den Staatsbürger gesiegt.“

Im Kopf ging ich meine Urnengänge durch: Ich wählte vorzugsweise Bahn statt Auto. Kaufte rund ums Jahr deutsche Äpfel statt der eingeschifften aus Neuseeland und Klamotten secondhand bei Humana. Noch betrunken am Dönerstand entschied ich mich gegen die Fleischlust und für die Falafel, seit mir in der Netflix-Doku „Cowspiracy“ vorgerechnet worden war, dass die Produktion eines Kilos Rindfleisch 22 bis 27 Kilo CO₂-Äquivalent verursacht. Ich ging so weit, dass ich mir zum Flug nach Rio de Janeiro selbst geschmierte Stullen mitbrachte, damit ich nicht mit dreimal in Plastik verpacktem Flugzeugfraß die Weltmeere verschmutzte. Dass das Flugzeug, in dem ich saß, währenddessen viele Tonnen CO₂ in die Luft jagte? Der Gedanke kam mir erst viel später. 

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Smartphone (Foto: Patrick Desbrosses)

Viel über den Klimawandel reden, aber dabei immer schön an alten Konsumgewohnheiten festhalten – so wie am Smartphone, das übrigens auch keine gute CO2-Bilanz hat

(Foto: Patrick Desbrosses)

Genau hier ist der Haken: Während ich wähle, fühle ich mich gut. Je mehr ich über die Wahl erfahre, desto übler wird mir. Zum Beispiel, dass Äpfel, wenn nicht gerade Saison ist, über Monate im Kühlhaus eingelagert werden und im Frühjahr eine schlechtere Klimabilanz erzielen als die importierten aus Neuseeland. Dass die Secondhandklamotten zum Sortieren von Deutschland nach Tunesien und zum Teil wieder zurück geschifft werden, bevor sie in der Auslage landen. Und dass ich mit einem Flug von Hamburg nach Madrid und zurück in etwa so viel CO₂ erzeuge, wie ich durch rund zwei Jahre Fleischverzicht einsparen könnte. Hinzu kommen Dinge, die ich für quasi alternativlos halte: Smartphone, Laptop, Boombox, Kosmetika und ab und zu eine Lieferpizza.

Die Radikalos fordern Gerechtigkeit statt Massenkonsum. Sie wollen, dass wir uns schnellstens entscheiden: Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz?

Mein Weltrettungsdeal ist ein scheinheiliger: Ich rede mir ein, das ginge auch ohne Abstriche beim Lebensstandard – einfach indem ich mir vor dem Einkauf ein paar oberflächliche Gedanken mache und so meine Ökobilanz auf dem WWF-CO₂-Rechner samt Gewissen aufpäpple. Dass ich dabei stets den Massenkonsum-Status-quo vertrete, der uns bis kurz vor die Wüste geführt hat? Will ich nicht sehen. Die meisten meiner Freunde wählen wie ich: konsequent inkonsequent. Wir sind die Heuchler.

Es gibt noch zwei andere Wählertypen. Die einen taufe ich schlicht „Pessimisten“. Sie hassen das Wirtschaftssystem, glauben aber nicht an einen Wandel. Das Ergebnis ist Apathie. Mein Freund Paul ist so einer. Er sieht nicht ein, warum er sich Gedanken um seinen CO₂-Fußabdruck machen soll, während der US-Präsident das Klimaabkommen von Paris aufkündigt und der neue brasilianische Staatschef den Weg frei macht für die Abholzung des Regenwaldes. Er ist nicht bereit, weniger zu konsumieren, solange Flüge so billig sind und Regierungen nicht endlich saftige CO₂-Steuern einführen. Solange in aufstrebenden Volkswirtschaften wie China und Indien die wohlhabende Mittelschicht wächst und mit ihr die klimaschädlichen Konsummuster nach westlichem Vorbild. Paul glaubt, dass die Tragödie des Allgemeinguts eine für alle Menschen gerechte Lösung des Klimaproblems verhindert: Solange es Nationalstaaten gibt, sagt er, würden nationale Interessen immer über den globalen stehen, die nationale Wirtschaft über dem Wohlergehen der Erdatmosphäre. Paul hat die Hoffnung längst aufgegeben. Immerhin: Er sagt es ehrlich.

Es ist nicht Hoffnung, vielmehr die Überzeugung, dass eine klimagerechtere Welt möglich ist, die die andere Wählerkategorie antreibt: die, die sich aus Protest darum bemühen, die ganze Konsumwahl zu boykottieren, weil sie ihren Idealen widerspricht. Die Radikalos, die Greta Thunbergs, die Sätze sagen wie: „Wenn es nicht möglich ist, Lösungen innerhalb des Systems zu finden, vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken, ob wir nicht das System ändern!“ Sie fordern Gerechtigkeit für alle statt Massenkonsum für die Welt. Sie fordern, dass wir uns schnellstens entscheiden müssen: Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz?

Würden sich alle 7,6 Milliarden Menschen unseren Lifestyle gönnen, stünden wir nicht kurz vor der Wüste, sondern mittendrin

Einer dieser Ansätze ist das Konzept der „imperialen Lebensweise“ von Ulrich Brand und Markus Wissen. Für die Politikwissenschaftler ist die Klimafrage in erster Linie eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Die imperiale Lebensweise ist eine exklusive, die überhaupt nur von einer kleinen Gruppe der Weltbevölkerung – den Menschen im globalen Norden und der Ober- und Mittelschicht in den Schwellenländern – praktiziert werden kann. Würden sich alle 7,6 Milliarden Menschen einen Lifestyle gönnen wie wir, stünden wir nicht kurz vor der Wüste, sondern schon mittendrin. In Zahlen: Der Durchschnittsdeutsche stößt gut zehnmal mehr CO₂ aus als ein Mensch aus Subsahara-Afrika (Stand 2014). Die knapp 50 Prozent der Weltbevölkerung mit hohen und besseren mittleren Einkommen sind für 86 Prozent des CO₂-Ausstoßes verantwortlich, während die Folgen davon vor allem die Menschen im globalen Süden zu spüren bekommen – in Form von Überflutungen, erodierten Böden, Dürren, Wasserknappheit und einem steigenden Meeresspiegel.

Wollen wir die imperiale Lebensweise in eine solidarische verwandeln, so die These, brauchen wir radikalen Verzicht. Wissenschaftler der Universität Lund in Schweden haben 2017 eine Studie veröffentlicht, in der sie die vier effektivsten individuellen Maßnahmen beschreiben, um den eigenen CO₂-Ausstoß zu verringern: der Verzicht auf Tierprodukte, der Verzicht aufs Fliegen, der Verzicht aufs Autofahren. Und sogar der Verzicht auf ein Kind – also zumindest eins weniger.

Zum reinen Ferienvergnügen ins Flugzeug setzen – bei allem, was wir über den Klimawandel wissen? Geht das noch? Wir streiten

Pessimisten wie Paul würden jetzt sagen: Das ist doch utopisch! Da sind 3,8 Milliarden Menschen, die man umerziehen müsste. Unmöglich in einer Zeit, in der die Weltpolitik nicht mal einen Minimalkonsens in Sachen Klimaschutz zustande bringt! Ich würde entgegnen: Veränderungen passieren nicht einfach so, schnipp, schnapp. Veränderungen gehen von kleinen Gruppen aus, die anfangs oft als radikal gelten, und brauchen Zeit. Nehmt die Veganer! Mit jedem Jahr wächst ihre Zahl. Tim Barford, Manager von Europas größter Vegan-Event-Firma, sagte der britischen Zeitung „The Guardian“ im April 2018, dass man gerade bei den Millennials einen „echten kulturellen Wandel “ beobachten könne, „der sehr stark auf Gerechtigkeit basiert“. 

Das sieht man auch an dem Hashtag „Flygskam“ (Flugscham). Darunter formierten sich vor einigen Monaten schwedische Aktivisten und riefen dazu auf, Bahnen statt Flieger zu benutzen. Auch die Autos stehen unter Beschuss: In Berlin hat es die kleine Initiative „Volksentscheid Fahrrad“ geschafft, dass der Senat das erste deutsche Fahrradgesetz verabschiedet hat, das mit vielen Hundert Kilometern neuer, sicherer Radwege den Angriff auf die urbane Vormachtstellung des Autos wagt. In vielen weiteren Städten formieren sich solche Bewegungen.

Bleibt noch die Kinderkriegen-Sache und der Streit mit meiner Mutter. Zwei Wochen sind vergangen seit dem besagten Abendessen. Wir haben uns in der Zwischenzeit versöhnt, und ich habe diesen Artikel verfasst, als sie mich anruft: „Ich steh zu meinen sechs Kindern“, sagt sie unvermittelt. „Weil Kinder sind’s doch, die das Leben lebenswert machen – und für wen würden wir sonst das Klima retten?“ „Aber …“ – ich hätte jetzt noch einen klimaaktivistischen Einwand gehabt, verstumme aber. Denn ich muss an meine eigenen Inkonsequenzen denken – und den ganz wunderbaren Sandstrand an der Copacabana.      

Du hast deine Daten in der Cloud? Dann liegen sie in Wirklichkeit auf Servern, und die brauchen Strom, viel Strom, allein für die Kühlung. Wäre das Internet ein Land, läge es mit einem Stromverbrauch von mehr als 1.000 Terawattstunden pro Jahr unter den Top Fünf der Welt. So produziert laut Selbstauskunft von Google eine Suchanfrage etwa 0,2 Gramm CO² – bei rund 4,4 Millionen Suchanfragen pro Minute summiert sich das. Die großen Internetkonzerne arbeiten an Lösungen: Intelligentere Serverinfrastrukturen und eine bessere Kühlung – etwa mit Wasser statt Luft – bieten Einsparpotenziale.

Titelbild: Arūnas Naujokas / Unsplash

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