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Grüne Daumen hoch

Weil in der Corona-Krise alle Einnahmen wegbrechen, stellt eine kolumbianische Bauernfamilie Videos ins Netz – und hat weltweit Erfolg

Nubia e hijos, Columbien, Corona

Von YouTube hatte Nubia Gaona noch nie gehört. Zusammen mit ihren Söhnen David (14) und Alejandro (9) lebt sie umgeben von grünen Bergen. Die Familie hat kein Internet, Handyempfang ist Glückssache. Wenn man ihr Zuhause sieht, glaubt man nicht, dass die Hauptstadt Bogotá nur anderthalb Stunden entfernt ist. Aber Alejandro hatte einen Traum: YouTuber werden.

Ende April veröffentlichten die Gaonas ihr erstes Video, das mittlerweile 1,3 Millionen Mal angeschaut wurde. Seitdem konnten ihre 434.000 Abonnent*innen im Kanal „Nubia und Söhne“ (Nubia e hijos) lernen, wie sie aus Gemüseresten neue Pflanzen ziehen, was beim Quarantäne-Unterricht auf dem Land schiefläuft oder wie man unten im Dorf ein Schwein kauft – und (Spoiler!) mit zweien wieder zurück nach Hause kommt.

Gutes Geschäft: ein Pflanzset für Stadtbewohner

„Nubia und Söhne“ ist ein Social-Media-Phänomen, das es wohl nur in Corona-Zeiten geben kann. Die Pandemie hat die Situation der Kleinbauernfamilien in Kolumbien dramatisch verschlechtert. Zwar durften die Landwirte trotz der landesweiten Quarantäne in den meisten Gegenden weiter produzieren, aber sie haben es sehr viel schwerer als vorher: Ausgerechnet jetzt plagen Dürren und Stürme manche Regionen, der steigende Dollarkurs hat die Kosten für importierte Betriebsmittel wie Dünger in die Höhe getrieben; Großabnehmer wie Restaurants, Imbisse und Mensen sind geschlossen. Während in der Stadt die Preise für Lebensmittel wegen Corona immer weiter steigen, lassen Kleinbauern die Ernte auf Feldern und Obstbäumen verrotten: Der Gewinn wäre so gering, dass es sich nicht lohnt, Erntehelfer zu beschäftigen. Die staatlichen Essenspakete für Notleidende bestückt die Regierung hauptsächlich mit Industrieware, statt den Kleinbauern die Ware abzukaufen. Also mussten sich die Gaonas eine neue Einnahmequelle suchen.

 
Nubia e hijos, Kolumbien, Corona, YouTube

„Solche YouTuber sollen die sozialen Netzwerke erobern,“ kommentiert ein Zuschauer. Ihre Fanbase erstreckt sich mittlerweile von Kolumbien, über die USA bis nach Saudi-Arabien

Sie haben eine gefunden. In ihren Tutorials erklären sie Städter*innen, wie man richtig gärtnert, und werben für ein von ihnen zusammengestelltes Pflanzset für umgerechnet 4,50 Euro. „Viele Menschen brauchen gerade jetzt etwas Gesundes zu essen“, sagt Nubia. Ohne Romantisierung und große Inszenierung filmt die Familie ihren Alltag und macht damit deutlich, welche Folgen das Wirtschaftssystem hat. „Wir wollten den Leuten zeigen, wie das Leben der Menschen auf dem Land ist, wie schwer sie es haben und was sie Schönes erleben“, sagt David, Nubias ältester Sohn.

In vielen Regionen Kolumbiens ist staatliche Unterstützung bis heute Mangelware, selbst in den Armenvierteln von Bogotá kommt kaum staatliche Hilfe an. Fast die Hälfte der Kolumbianer*innen hat keinerlei Absicherung und arbeitet „informell“, verkauft ihre Waren also zum Beispiel auf der Straße. Während der Pandemie, in der einige Branchen Arbeitsverbote verhängt haben, haben viele weitere ihre Jobs verloren. 

Die Videos laufen so gut, dass viele auf YouTube oder Instagram vorgeben, die Familie Gaona zu sein

Umso begeisterter sind die Kolumbianer*innen, dass Familie Gaona nicht auf Hilfe wartet, sondern aktiv wird. Auf YouTube überschütten ihre Fans sie – aus Kolumbien, den USA oder Saudi-Arabien – mit Liebe und Likes. „Solche YouTuber sollen die sozialen Netzwerke erobern, aufrechte Leute mit viel Schwung und Kraft!“, kommentiert ein Zuschauer. Warum ihr erstes Video rasend schnell viral ging, erklären Expert*innen mit der Erfolgsformel aus Gefühl, Fröhlichkeit, Bescheidenheit – und dass es eine konkrete Lösung für ein Problem bietet. 

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Nubia e hijos, Kolumbien, Corona, YouTube

Kleingärtnerei Nubia & Söhne: 1.500 Pflanzsets haben Alejandro, Nubia und David schon verkauft

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Nubia e hijos, Kolumbien, Corona, YouTube

Nubias Mann starb vor zwei Jahren, seither muss sie sich und ihre Söhne selbst versorgen

Ein Sozialunternehmen, das ehemalige Nachbarn der Gaonas gegründet haben, hilft der Familie. Sonst gibt es Kleinbauern in der Region Kredite oder sucht für sie Direktabnehmer, um Zwischenhändler zu vermeiden und stabile Preise zu garantieren. Jetzt managt der Chef Sigifredo Moreno die Anfragen aus aller Welt und die Logistik; seine Frau Juliana Zapata macht Kamera und Schnitt und lädt daheim in Bogotá die Videos hoch.

In den ersten drei Tagen gingen 6.000 Anfragen auf der angegebenen WhatsApp-Nummer ein. Die Internetseite des Sozialunternehmens brach zusammen. Mittlerweile unterstützt sie ein Team. 1.500 Pflanzsets haben sie schon verkauft, der angepriesene Käse und die Karamellcreme des Nachbarbauern sind aus. Wenn sie wüssten, wie sie die Sets gut ins Ausland verschicken, hätten sie schon viel mehr verkauft. Der Erfolg ist so groß, dass auf YouTube, Twitter, Facebook und Instagram ständig Fake-Accounts eröffnen, die suggerieren, die Gaonas zu sein.

Wie viel Geld und Spenden sie eingenommen haben, wollen sie nicht sagen. Einen Computer hat die Familie allerdings schon kaufen können. Fans haben sich gemeldet, um den Jungs Englischunterricht zu geben. Und als Alejandro in seinen löchrigen Stiefeln Zwiebeln pflanzte, meldete sich ein Gummstiefel-Hersteller als Sponsor. Vor ein paar Tagen bekam die Familie sogar Strom – nach über zehn Jahren Wartezeit. Gut möglich, dass das mit ihrer neuen Bekanntheit zu tun hat, sagt Nubia. In den alten Videos sieht man sie noch, wie sie abends Kerzen anzündet.

Fotos: Fabiola Ferrero

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.