„Allahu akbar“ tönt es am 5. Januar 2020 durch den Festsaal in Beverly Hills, in dem an diesem Abend die Golden Globes verliehen werden. Dass ein US-amerikanischer Schauspieler bei einer Preisverleihung neben seiner Familie und seiner Agentin auch seinem Gott dankt, gehört längst zu den Gepflogenheiten der US-Filmindustrie. Dass er dabei die arabische Formel für „Gott ist groß“ benutzt, eher nicht. Ramy Youssef, der hier gerade den Preis als bester Schauspieler in einer Comedyserie für seine Leistung in „Ramy“ entgegennimmt, ist aber nun mal Muslim. Das macht ihn zu einer Seltenheit in Hollywood, das noch immer mehrheitlich von weißen Menschen christlichen Glaubens geprägt ist. „Jeder hier“, schiebt Youssef deshalb scherzend seinem „Allahu akbar“-Ruf hinterher, „fragt sich wohl gerade: Ist das da ein Cutter auf der Bühne?“
Als die erste Staffel von „Ramy“ 2019 erschien, füllte sie eine seit langem klaffende Lücke: Endlich gab es in der US-amerikanischen Serienlandschaft muslimische Figuren zu sehen, die weder Terroristen noch Taxifahrer waren. „Ramy“ erzählt die Geschichte eines ziemlich durchschnittlichen US-amerikanischen Endzwanzigers, der nicht weiß, was er mit seinem Leben anstellen soll. Eine klassische Coming-of-Age-Erzählung also, nur dass der Antiheld hier eben ein gläubiger Muslim ist und sich zusätzlich zu den Fragen, wie man arbeiten und wen man lieben soll, auch noch fragt, was das heißt: ein guter Muslim zu sein. Inspiriert ist die Serie von Youssefs eigener Geschichte. Wie der fiktive Ramy ist Youssef als Kind ägyptischer Einwanderer in New Jersey aufgewachsen.
„Ich habe das Gefühl, als wäre da eine Leere in mir und ich habe immer versucht, sie mit irgendetwas zu füllen“
Am Ende der ersten Staffel war der Serien-Ramy im Zuge seiner spirituellen Suche zu seiner Verwandtschaft nach Ägypten gereist. Der Beginn der zweiten macht schnell klar, dass ihn das nicht sonderlich weitergebracht hat. Lethargisch liegt er tagein, tagaus in seinem Jugendzimmer (er wohnt noch bei seinen Eltern), seine einzigen Interessen sind der Konsum von Weingummi und Pornos, gerne in Kombination. Was sein Problem ist, merkt er selbst erst, als er sich dem charismatischen Scheich einer Sufi-Gemeinde anvertraut, die ihm ein Freund empfohlen hat. „Ich habe das Gefühl“, gesteht er dem geistigen Mentor, „als wäre da eine Leere in mir und ich habe immer versucht, sie mit irgendetwas zu füllen – Sex oder Pornos zum Beispiel. Ich habe auch versucht, sie mit Gott zu füllen, aber ich weiß einfach nicht, wie.“
Einen Moment scheint es so, als könne der genauso weise wie liberale Scheich, den Mahershala Ali mit stoischer Eleganz spielt, der perfekte Lehrmeister für Ramy sein. Schließlich sind die Tugenden, die er lehrt – Ehrlichkeit, Selbstlosigkeit und Disziplin –, Eigenschaften, die dem verpeilten Egomanen Ramy wohl ganz guttäten. Doch natürlich kommt es anders. Als enthusiastischer Sufi-Schüler gestartet, scheitert Ramy bald an seinen viel zu hohen moralischen Ansprüchen und seinem unbedingten Willen zu gefallen.
Ihm bei diesem Scheitern zuzuschauen ist, wie in der ersten Staffel, gleichzeitig wahnsinnig witzig und ungemein verstörend. In der Tradition von Comedyserien wie „Lass es, Larry!“ oder „Louie“ bringt Youssef sein Alter Ego in Situationen, die das Publikum vor Fremdscham zusammenzucken lassen.
Die Serie als Ganzes schafft, woran die Figur Ramy scheitert: Das Ego hinter sich zu lassen
Anders aber als in der ersten Staffel nehmen nun die Nebenfiguren deutlich mehr Raum ein. Das ist ein gelungener Kunstgriff. Denn so führt die Serie als Ganzes das vor, woran die Figur Ramy kontinuierlich scheitert: das Ego hinter sich zu lassen. In einigen Folgen taucht Ramy kein einziges Mal auf, stattdessen erfährt man etwa, welches Geheimnis Ramys Onkel zu dem klischeehaften Macho machte, als den man ihn bisher kennengelernt hat. In der vielleicht besten Episode sieht man Ramys Mutter dabei zu, wie sie sich auf den US-Einbürgerungstest vorbereitet. Sie tut das vor allem, um die Migrationspolitik der Trump-Administration, die sie als diskriminierend empfindet, bei den nächsten Wahlen abzustrafen. Dass sie bei einem zufälligen Zusammentreffen mit einer Transperson selbst diskriminierend handelt, weil sie sich weigert, das Pronomen „es“ für die Person zu benutzen, merkt sie erst viel zu spät.
Menschen, die versuchen, sich zu bessern, und dabei oft alles nur viel schlimmer machen, das ist das Thema der zweiten „Ramy“-Staffel. Damit gesteht Youssef seinem Protagonisten mit noch mehr Konsequenz als zuvor genau die Vielschichtigkeit zu, die muslimischen Figuren im US-Fernsehen bisher fehlte. Dass der Serien-Ramy weiter denn je davon entfernt ist, ein vorbildlicher Muslim, ein vorbildlicher Mensch zu sein, macht das Ende der zweiten Staffel schmerzhaft klar. Seine Mutter immerhin zeigt deutlich mehr Veränderungspotenzial. Als sie sich nach ihren Erfahrungen mit der Transperson das nächste Mal in einer Runde vorstellen muss, sagt sie mit der größten vorstellbaren Ernsthaftigkeit: „Mein Name ist Maysa, meine Pronomina sind ihr/sie.“
„Ramy“ läuft bei Starzplay.
Titelbild: Neue Gemeinde, neuer Mensch? Ramy Youssef in „Ramy“(Foto: Hulu/Starzplay)