
So ist es, ich zu sein: Hebamme
Helena Kaim, 25, arbeitet als Hebamme. Zwischen Nachtschicht und schließenden Kreißsälen ist es anstrengend, Kinder zur Welt zu bringen – trotzdem will sie nichts lieber machen
Meine erste Geburt habe ich im ersten Praxisblock meiner Ausbildung erlebt. Alle haben türkisch miteinander gesprochen, also habe ich gar nicht so richtig verstanden, was gerade passiert. Aber als die Familie das Baby entgegennahm und der Vater ihm einen Segen ins Ohr geflüstert hat, war es um mich geschehen. Das war so eine schöne Atmosphäre, dass ich wusste, das will ich machen.
Seit drei Jahren arbeite ich nun selbst als Hebamme im St. Josefs Hospital in Dortmund. Wir Hebammen haben mehr Verantwortung als Krankenschwestern oder Krankenpfleger, aber nicht so viel wie Ärzt:innen. Sobald Frauen für die Geburt ins Krankenhaus kommen, begleite ich sie durch die Wehen hindurch, biete Schmerzmittel, Massagen oder die Badewanne an und bin an ihrer Seite, bis das Baby auf der Welt ist.
Für viele bin ich eine emotionale Stütze, halte Hände, nehme den Druck, leise gebären zu müssen, oder ermutige die Partner:innen, die Frau mal in den Arm zu nehmen oder ihr etwas zu trinken anzubieten. Sobald das Baby auf der Welt ist, kümmere ich mich um die Erstversorgung, untersuche, wiege und messe das Neugeborene. Im Notfall muss ich auch Neugeborene reanimieren können, das ist vor allem nötig, wenn der Atemreflex nicht sofort einsetzt. Erst letzte Woche war das nach einem Notkaiserschnitt der Fall. Wir führen dann Sauerstoff zu, müssen auch mal beatmen.
„Ich sehe meine Aufgabe ganz klar darin, der Bodyguard der schwangeren Frau zu sein. Wenn ich den Eindruck habe, dass sich zum Beispiel Ärzt:innen der Patientin gegenüber nicht richtig verhalten, dann schreite ich ein“
Schon vor der tatsächlichen Geburt habe ich viele organisatorische Aufgaben: Ich führe Beratungsgespräche und kläre über die Geburt auf, organisiere Familienzimmer, nehme Blut ab. Vor Dienstantritt weiß ich nie, was auf mich zukommt.
Auch Hebammen sind nur Menschen, natürlich können wir uns mal im Ton vergreifen. Aber eigentlich sehe ich meine Aufgabe ganz klar darin, der Bodyguard der schwangeren Frau zu sein. Im Krankenhaus geht es bei Geburten oft hektisch zu, das Personal ist im Zeitstress und muss schnell Entscheidungen treffen. Wenn ich den Eindruck habe, dass sich zum Beispiel Ärzt:innen der Patientin gegenüber nicht richtig verhalten, sich nicht vorstellen oder sie nicht fragen, ob sie vaginal untersucht werden möchte, dann schreite ich ein. Es ist ganz wichtig, dass wir Hebammen bei allen Untersuchungen und Interventionen anwesend sind und Abläufe noch mal erklären.
Die Geburtenbranche steht vor vielen Herausforderungen: Einerseits ist sie nicht wirtschaftlich genug und wird von anderen Abteilungen in den Krankenhäusern querfinanziert. Deshalb werden viele Entbindungskliniken und Kreißsäle geschlossen, und an anderer Stelle werden Geburtsstationen zentralisiert, um Kosten zu sparen. Das führt aber dazu, dass dann Leute weitere Wege zurücklegen müssen und keine enge Betreuung mehr möglich ist.
Gerade klappt es in unserem kleinen Krankenhaus noch, eine Eins-zu-eins-Betreuung anzubieten, das heißt, dass ich für eine Schwangere zuständig bin. Das macht Geburten leichter für Frauen und gibt ihnen Sicherheit. Studien haben gezeigt, dass Frauen so weniger Schmerzmittel brauchen, weil sie sich besser fallen lassen können. Bei der Geburt kommt es zu weniger Komplikationen. Schon jetzt können das immer weniger Krankenhäuser anbieten, in Zukunft könnten es noch weniger werden. Für Kolleginnen, die in größeren Krankenhäusern arbeiten, die anders als wir auch Hochrisikoschwangerschaften betreuen, ist die Arbeitsbelastung schon jetzt deutlich höher, eine Eins-zu-eins-Betreuung ist dort oft unmöglich.
„Seit 2020 muss man studieren, um als Hebamme zu arbeiten. Diese Akademisierung schreckt einige ab“
Ich habe noch die dreijährige Ausbildung gemacht, seit Januar 2020 muss man aber studieren, um als Hebamme zu arbeiten. Diese Akademisierung mit anderen Einstiegsvoraussetzungen schreckt einige ab. Seitdem ich meine Ausbildung abgeschlossen habe und examiniert bin, arbeite ich neben dem Krankenhaus zusätzlich freiberuflich in der Schwangerenvorsorge und Wochenbettbegleitung. Dazu fahre ich in kleine Städte und Dörfer, zu den Leuten nach Hause. Die Frauen werden von Gynäkolog:innen betreut, aber so ein Termin dauert vielleicht eine Viertelstunde. Man hat nicht wirklich Zeit, noch mal private Fragen oder Sorgen zu besprechen. Das kann ich als Hebamme auffangen.
Ich begleite freiberuflich jeden Monat zwei Frauen und kann meinen finanziellen Puffer damit ein bisschen auffüllen. Allein von der freiberuflichen Arbeit leben könnte ich aber nicht. Mit dem neuen Hebammenhilfevertrag ab November wird es für mich attraktiver, mehr frei zu arbeiten, weil ich jemand bin, der längere Hausbesuche macht, und es dafür dann mehr Geld gibt. Was viele kritisieren: Die Bezahlung für Beleghebammen, das sind Hebammen, die zwar im Kreißsaal arbeiten, aber freiberuflich sind, soll mit der neuen Regelung sinken, wenn sie mehrere Frauen gleichzeitig betreuen – wozu sie oft wegen des Personalmangels gezwungen sind.
Ein anderes Thema ist die Versicherungsfrage: Schon jetzt müssen alle freiberuflich arbeitenden Hebammen eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen. Die Beiträge für Kolleginnen, die auch außerklinische Geburtshilfe anbieten, sind aber sehr hoch. Viele entscheiden sich daher dagegen, Frauen bei Hausgeburten oder im Geburtshaus zu begleiten.
Berufspolitisch ist es gerade also ein schwieriger Moment, trotzdem arbeite ich gerne als Hebamme. Ich habe ein wahnsinnig tolles Team im Krankenhaus. Und beim Beginn des Lebens dabei zu sein, in den ersten emotionalen Momenten, wenn ein Paar zur Familie wird, ist etwas ganz Besonderes.
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Illustration: Raúl Soria