Reisepässe sind Eintrittskarten in eine Weltordnung. Rankings wie der Global Passport Index verdeutlichen, wie ungleich die Macht zwischen den Ländern verteilt ist; wie zum Beispiel die Grenzen für Inhaber*innen eines deutschen Passes weltweit offen stehen, während sie für andere Staatsbürger*innen ausgiebige Kontrollen bedeuten oder ganz geschlossen bleiben.
Der deutsche Pass gilt seit Jahren als einer der mächtigsten: Deutsche Staatsbürger*innen können in 135 Länder einreisen, ohne extra ein Visum beantragen zu müssen. Dagegen steht der afghanische Pass mit nur 30 visumfreien Einreiseländern am Ende des Rankings.
Dabei identifizieren Pässe nicht nur die Inhaber*innen und ihre Reiseprivilegien, sondern auch die Staaten, die sie ausstellen: Die abgedruckten Symbole, Farben oder Wasserzeichen sind wichtiger Teil des „Nation Branding“. Ein Pass verrät also immer auch, wie ein Staat sich sieht – oder gern gesehen werden möchte. Hier sind sieben Beispiele dafür.
Taiwan (Rang 37 im Global Passport Index)
Als Mao Zedongs Kommunist*innen 1949 den chinesischen Bürgerkrieg gewonnen und die Volksrepublik China ausgerufen hatten, zogen sich die unterlegenen Nationalist*innen auf die Insel Taiwan zurück. Seitdem kämpft Taiwan (amtliche Eigenbezeichnung: Republik China) um die Anerkennung als souveräner Staat.
Von diesem Kampf erzählt auch Taiwans Pass. Erst 2002, also mehr als 50 Jahre nach der Gründung der Volksrepublik China, wurde er zum ersten Mal mit dem Namen Taiwan bedruckt. Ein Ausdruck für das gewachsene Selbstbewusstsein Taiwans. Die Regierung in Beijing, die stets betont, dass Taiwan zu Festlandchina gehöre, war entsprechend erbost über das neue Design.
2015 begannen Unabhängigkeitsaktivist*innen, die verbleibenden Symbole der Republik China auf dem Pass zu bestickern – meist mit typisch taiwanesischen Symbolen. China verhängte Einreiseverbote, was die taiwanesische Regierung nicht davon abhielt, die Sticker im Jahr darauf zu legalisieren. Ein Zeichen an Beijing, die Welt – und auch die eigene Bevölkerung. Die New Power Party rief einen Wettbewerb für eigene Passdesigns aus. Der wurde ein riesiger Erfolg, die eingereichten Entwürfe zeigten den taiwanesischen Schwarzbären, geschmortes Schweinefleisch auf Reis, Kirschblüten oder das Nationalgetränk Bubble Tea.
Dagegen nimmt sich der neue Pass, der seit Anfang des Jahres ausgegeben wird, recht nüchtern aus. Er gleicht den alten Pässen, mit einem bedeutenden Unterschied: Der Schriftzug „Taiwan“ dominiert erstmals den der „Republik China“.
Iran (Rang 75)
Pässe werden nicht nur lesbar und möglichst zeitlos designt, sondern vor allem: fälschungssicher. Je komplexer ein Design, desto sicherer; je neuer der Pass, desto mehr Sicherheitspapier, Sicherheitsfäden, UV-Lichtmuster, Chips, Mikrotexte, Wasserzeichen, Hologramme, komplexe Ornamente oder Kristallmuster sind verbaut.
Der iranische Pass verbindet solche Innovationen mit den Prinzipien der islamischen Theokratie, also dem Grundsatz, dass der Staat seine Herrschaft durch das Wort Gottes, den Koran, legitimiert: Die Wasserzeichen im Pass zeigen Imam Khomeini, den geistigen Führer und Gründer (1979) der Islamischen Republik. Die Visumsseiten des Passes zieren Hologramme von 14 religiösen und historischen Kulturstätten und -schätzen wie Damavand, dem höchsten Berg des Landes.
Stolz dürfte darauf nicht jede*r im Land sein: Der Iran ist zwar ein Vielvölkerstaat mit mehreren ethnischen Gruppen und Sprachen, der Pass reflektiert diese Vielfalt aber nur bedingt. Er ist auf Persisch, der Amtssprache, und Englisch ausgestellt; Azeri, Kurdisch, Belutschi, Arabisch und andere Minderheitensprachen fehlen komplett. Der iranische Pass ist ein Beispiel für die Sprachpolitik von Pässen – die oft illustriert, wie ernst ein Staat seine ethnischen und sprachlichen Minderheiten nimmt.
Norwegen (Rang 5)
Das Redesign des norwegischen Passes wurde 2014 weltweit besprochen: Der Pass ist minimalistisch und modern. Allein der Passdeckel sticht aus dem Einheitsbrei staatstragenden Weinrots heraus und könnte auch die Drinks einer mondänen Bar auflisten.
Der Pass wurde vom Osloer Designstudio Neue entworfen. Das war vor allem für seine Verpackungen und Webseiten bekannt, gewann aber 2014 den vom norwegischen Polizeidirektorat ausgeschriebenen Ideenwettbewerb.
In das Passinnere druckten die Designer*innen keine nationalen Held*innen, sondern Landschaftsbilder: Wald, Berge, Fjorde, allesamt in Pastellfarben gehalten. Hält man den Pass bei einer Kontrolle unter UV-Licht, erscheinen die Landschaften im Nachtpanorama, natürlich mit Vollmond und Polarlichtern.
Angola (Rang 63)
Erst 1975 endeten Jahrhunderte der portugiesischen Kolonialherrschaft in Angola. Nach brutalen Kämpfen und Hunderten Toten wurde Angola zunächst zu einem marxistisch-leninistischen Einparteienstaat. (Die ideologische Nähe zur DDR brachte unter anderem Tausende angolanische Vertragsarbeiter*innen nach Deutschland.)
Angolas Pass zeigt die leidvolle Kolonialgeschichte und ihr Ende im Sozialismus bis heute: Er ist schwarz. Was selten ist und vor allem in sozialistisch geprägten Staaten zu finden. Dazu ist der Pass in Englisch und der Amtssprache Portugiesisch gehalten, die nach der langen Kolonialisierung bis heute in den meisten angolanischen Haushalten gesprochen wird. Indigene Sprachen wie Umbundu sind zwar weit verbreitet im Land, finden sich aber nicht im Pass wieder. Das Passbuch und die Visumsseiten sind mit dem nationalen Wappen verziert. Macheten, Hacke und Zahnrad verweisen auf den langen Unabhängigkeitskampf gegen Portugal, in dem Arbeiter*innen in sozialistischer Tradition eine tragende Rolle zugemessen wurde. Mit der aufgehenden Sonne führt Angolas Passästhetik – wie so viele andere – die Vergangenheit mit dem Wunsch auf eine gerechtere Zukunft zusammen.
Großbritannien (Rang 6)
In keinem anderen Land wurde der Reisepass zuletzt so vehement diskutiert wie in Großbritannien. Mit dem EU-Austritt forderte das Pro-Brexit-Lager eine Rückkehr zu den alten britischen Pässen, den sogenannten „blauen Pässen“. Sie wurden 1988 durch die EU-Passcover in Burgunderrot ersetzt, die die Brexiteers schon während der Brexit-Abstimmung gern als Symbol für die „Fremdherrschaft“ über Großbritannien heranzitierten. Dabei war die Angleichung der Pässe innerhalb der EU damals nicht verpflichtend, die Regierung Margaret Thatchers entschied sich freiwillig dafür.
Das Beispiel Großbritannien verdeutlicht, dass die Farbe eines Passes ähnlich ideologisch aufgeladen sein kann wie die Farben einer Flagge (siehe Infokasten). So begeisterte sich für den britischen „blauen Pass“ vor allem das rechtskonservative Lager um die Brexit-Unterstützer*innen. Das schaute nostalgisch auf die frühere Rolle Großbritanniens in der Welt und sah die Souveränität der ehemaligen Kolonialmacht durch die EU beeinträchtigt. Nach dem Brexit werden mittlerweile wieder blaue Pässe ausgestellt. (Die zu allem Ärger wohl eher schwarz sind und im Ausland hergestellt werden.)
Neuseeland/Aotearoa (Rang 4)
Der aktuelle neuseeländische Pass wird seit Ende 2009 ausgegeben. Sein Design zeichnet sich vor allem durch die zentrale Rolle aus, die die indigene Maori-Kultur in ihm spielt, obwohl heute mehr als zwei Drittel der Bevölkerung europäischer Herkunft sind. Der Pass ist schwarz. In der Maori-Kultur symbolisiert die Farbe die Dunkelheit, aus der die Welt entstand. Seitlich ziert ihn ein Silberfarn, der auf die vielfältige Verwendung und Bedeutung des Silberfarns in der Maori-Kultur hindeutet. Beide Designelemente sind auch für die Flugzeuge der nationalen Fluglinie Air New Zealand oder die Rugbytrikots der neuseeländischen Nationalmannschaft visuell bestimmend. Das soll nicht nur die Maori anerkennen, sondern auch auf Neuseelands Aufarbeitung seiner gewaltvollen britischen Kolonialgeschichte hinweisen. Das unterscheidet den Inselstaat beispielsweise von seinem Nachbarn Australien, wo indigene Menschen bis heute weniger Anerkennung erhalten. Seit 1987 ist Maori in Neuseeland/Aotearoa neben Englisch auch offiziell Landessprache. Deshalb trägt der Pass nicht nur die (britische) Kolonialbezeichnung des Landes, sondern auch die indigene Bezeichnung für die Inselgruppe: Aotearoa.
Deutschland (Rang 1)
Der deutsche Pass ist weinrot, wie fast alle EU-Pässe. (Kneipenwissen: Die blaue Ausnahme macht Kroatien.) Und auch sonst – Brandenburger Tor, Quadriga, Bundesadler – keiner Innovation verdächtig. Diese Schlichtheit erscheint zunächst unkreativ, ist aber Absicht: Das Design entstammt der politischen Vision für ein Deutschland nach den Nazis und dem Holocaust.
Der unaufgeregte Stil soll der jüngeren deutschen Geschichte entgegentreten, die von Pomp, Größenwahn und Faschismus bestimmt war. Die Abkehr von dieser Ästhetik ist Ausdruck eines Selbstverständnisses, das nach 1945 in die Welt getragen werden sollte und sich bis heute auch in der schlichten Architektur der deutschen Regierungsgebäude zeigt.
Seit der Einführung des biometrischen Passes 2005 gab es nur minimale Veränderungen im deutschen Passdesign. 2017 wurde die aktuelle Version veröffentlicht, die einen Euro teurer ist (60 Euro) und deren Neuerungen auch sonst im Detail liegen: in den Sicherheitstechnologien und der Berücksichtigung von nichtbinären Identitäten. Letzteres ist ein wichtiger Schritt in Richtung institutioneller Anerkennung. Statt des üblichen „M“ für Mann oder „F“ für Frau können sich ab diesem Jahr Menschen, die sich außerhalb dieser beiden Geschlechter verorten, ein X eintragen lassen.