Thema – Ukraine

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Exil unter Palmen

Auf der indonesischen Insel leben und arbeiten immer mehr russische und ukrainische Menschen zusammen. Dabei herrscht nicht nur Friede, Freude, Yogastimmung

Russische Touristen auf Bali

Vlada sitzt unter dem schattigen Vordach eines Cafés im Strandort Canggu auf Bali. An den Tischen arbeiten junge Menschen mit kalten Getränken vor aufgeklappten Laptops. Die Mittagshitze flimmert über den Asphalt, Mopeds rattern vorbei, und Lärm schallt von der Baustelle auf der anderen Straßenseite herüber. Anders als die meisten hier ist Vlada aber nicht zum Urlaub oder für „Workation“ nach Bali gekommen. Die 29-Jährige ist kurz nach Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen.

Zusammen mit ihr kamen viele weitere Ukrainer*innen – und noch fast zehnmal so viele Russ*innen. Viele von ihnen flohen vor dem Krieg, einige auch vor der Einberufung zum Kriegsdienst. Wieder andere verloren in ihrem Heimatland ihre Arbeit und versuchen nun, sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Sie wählten Bali unter anderem, weil die indonesischen Einreisebestimmungen einfach sind und sie dort, im Gegensatz zu anderen Ländern, leicht ein Visum erhalten und damit auch von dort aus arbeiten können. 

Vlada meidet Orte, an denen sich viele Russ*innen aufhalten. „Sie lachen und feiern, und alles scheint bei ihnen in Ordnung zu sein, während ich nachts wach liege, die Nachrichten verfolge und mir Sorgen mache.“ Sie hat drei Freunde bei Bombardierungen in der Ukraine verloren. Dennoch teilt sich Vlada seit mehreren Monaten ein Haus mit Russ*innen und Ukrainer*innen. In wechselnder Besetzung leben sie zu acht zusammen. Als Hauptmieterin entscheidet Vlada, wer einzieht: „Nur wer gegen den Krieg, gegen Putin und die Besetzung der Krim ist, ist bei uns willkommen.“ 

Der Krieg stärkt das ukrainische Community-Gefühl

Ähnlich wie Vlada handhabt es auch Dmitri, der Gründer des Tennisclubs Liga.Tennis. Der Ukrainer kam 2010 nach Bali – erst verliebte er sich in die Insel, erzählt er, dann in seine spätere Frau. Seitdem lebt und arbeitet Dmitri hier. „Ich war nie in einer ukrainischen Gemeinschaft, so was gab es hier nicht und hätte mich auch nicht interessiert. Als der Krieg begann, hat sich das geändert“, sagt der 39-Jährige. Die Ukrainer*innen, die schon vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf Bali waren, hätten sich am Tag des Einmarsches zusammengetan und würden seitdem eine solide Gemeinschaft bilden. „Über Social-Media-Gruppen tauschen wir uns aus und treffen uns an ukrainischen Feiertagen, kochen traditionelle Gerichte und sammeln Geld für unsere Leute zu Hause.“ 

Dmitri kennt viele Menschen, die flüchten mussten, darunter auch seine Schwester, die im achten Monat schwanger nachts nach Polen floh. Zwei seiner Schulfreunde starben beim Beschuss ihrer Wohnhäuser. Das Zusammenleben mit Russ*innen auf Bali hat sich für Dmitri seither geändert. „Wenn Menschen aus Russland mit mir Tennis spielen wollen oder sich bei mir im Club bewerben, frage ich erst mal: ‚Wie stehst du zum Krieg?‘ Es gibt für mich nur eine richtige Antwort: dagegen sein. Wenn jemand meint, neutral zu sein, weil Sport nichts mit Politik zu tun habe, sage ich direkt: ‚Ciao.‘“ Tatsächlich, diesen Eindruck bekommt man bei Gesprächen immer wieder, lehnen viele der Russ*innen auf Bali den Krieg strikt ab. Eindeutige Zahlen dazu gibt es allerdings nicht.

Dafür sind Russ*innen aus anderen Gründen auf der Insel in Verruf geraten: Es gebe Besäufnisse, vermehrten Drogenmissbrauch, aggressives Verhalten im Straßenverkehr und unhöflichen Umgang mit den Einheimischen, berichten internationale Medien. Viele arbeiten ohne Erlaubnis – als Surflehrer*innen, Tourguide oder Mopedvermieter*innen, ohne Gewerbeanmeldung und ohne Steuern zu zahlen. Influencer*innen drehen in der Öffentlichkeit freizügige Videos oder posieren für Fotos nackt an heiligen Orten – was im religiösen Indonesien eigentlich verboten ist.

 
Rollerfahrer auf Bali
Unangemessene Kleidung und ruppiges Verhalten im Straßenverkehr sind häufige Klagen der Einheimischen über europäische Dauergäste auf Bali

Wer sich nicht an Gesetze hält, dem drohen Verhaftung und Abschiebung. So erging es zum Beispiel einem russischen Fotografen und drei russischen Sexarbeiterinnen, die auf Bali ihre Dienste anboten. Laut Anggiat Napitupulu, dem Leiter der Einwanderungsbehörde, wurden 2023 in den ersten vier Monaten 101 Ausländer*innen des Landes verwiesen, beinahe die Hälfte Zahl seien Russ*innen. Auch Menschen aus anderen Ländern verhalten sich nicht regelkonform oder sitzen im Gefängnis. Doch es scheint, als liege der Fokus derzeit stark auf Menschen aus Russland. Ein Polizist sagte zu CNN: „Wenn wir Beschwerden über Ausländer bekommen, sind es fast immer welche über Russen.“ Darüber, dass die meisten von ihnen sich nicht nur gesetzeskonform verhalten, sondern auch sehr freundlich sind, berichten die Medien derzeit eher weniger. Doch auch das gehört zur Wahrheit dazu. 

Sasha schüttelt über die Russ*innen, die sich unangemessen benehmen, den Kopf. „Viele Russen hier bleiben unter sich, weil sie keine andere Sprache sprechen. Ich schäme mich manchmal, wenn ich meine Landsleute hier beobachte“, sagt sie. Bis Februar 2022 arbeitete sie in der russischen Filmbranche, doch diese brach zusammen, als der Krieg begann. Innerhalb einer Woche löste Sasha ihr Leben in Moskau auf. Während die 39-Jährige von ihrer Flucht erzählt, zittern ihre Hände. Mit zwei Koffern kam sie auf Bali an – ihr Konto eingefroren, Geld musste sie sich leihen. Ob sie jemals zurückgeht, weiß Sasha nicht und hatte sich erst mal einen neuen Plan überlegt: Sie gründete ein Label und stellt nun Schmuck her. „Beim letzten Fotoshooting waren zwei der Models Ukrainerinnen“, sagt Sasha, „wir haben keine Ressentiments untereinander. Zwar auf eine andere Weise, aber der Krieg hat auch mich entwurzelt.“

Der Ausverkauf von Bali

Im Januar 2023 war Russland hinter Australien das Land, aus dem die meisten Menschen nach Bali kamen. Es gibt Orte auf der Insel, an denen heute fast ausschließlich Russisch gesprochen wird. Wie Parq Ubud. „Dort würde ich nie hingehen“, sagt Vlada. In dem riesigen Komplex aus Villen, Apartments, Restaurants, Wellnesscenter und Co-Working-Büro leben und arbeiten bis zu 90 Prozent Russ*innen, wie Kristina, die Sales-Managerin von Parq Ubud, berichtet. Kristina selbst kommt aus Sibirien und lebt seit drei Jahren auf Bali. Sie verkauft hier Immobilien, hauptsächlich an russische Kund*innen.

Aber nicht alle kaufen, um hier zu leben: Immobilien auf Bali sind ein günstiges Investment. Eine Fundgrube für Investor*innen aus aller Welt, die schnell Geld machen wollen – oft ohne Rücksicht auf Bauregeln und Ausbeutung. Die extreme Bebauung von landwirtschaftlichen Flächen, insbesondere von Reisfeldern, kann zu Naturkatastrophen wie Überschwemmungen führen, beklagen Umweltgruppen. Sie befürchten, dass Lebensgrundlagen auf dem Land zerstört und die Ernährungssicherheit verringert wird. Schon heute leidet die Natur auf der Insel durch Abholzung, Vermüllung und Versiegelung des Bodens. 

Das, was Tourist*innen aller Länder nach Bali zieht – Traumstrände, Reisfelder, Stille und Harmonie –, scheint bedroht. Auch Vlada beobachtet, dass sich der Tourismus auf Bali wandelt. Während früher Urlauber*innen kamen und gingen, bleiben nun immer mehr Menschen – nicht nur aus der Ukraine und Russland. Während Vlada in dem belebten Straßencafé ihren Tee trinkt, erzählt sie, dass sie die friedliche Stimmung abseits von Balis Hotspots findet, „weit weg von den vielen Menschen hier in Canggu“. Und sie hofft, dass sie eines Tages zurück in ihre Heimat kann, in Frieden. 

Fotos: Nyimas Laula/NYT/Redux/laif

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