Meine Agentur befindet sich im Schanzenviertel, direkt am Schulterblatt, wo es zu den schlimmsten Randalen kam. Ich habe in den Tagen vorher beobachtet, wie sich die Gegend in eine Geisterstadt verwandelte. Manche Geschäftsleute haben ihre Läden mit Holzplatten verrammelt, was man schon mal verwunderlich finden konnte. Es waren irgendwann auf den Straßen kaum noch Autos unterwegs, dafür kreisten immerzu Polizeihelikopter am Himmel. Das Haus, in dem unsere Büros sind, hatte einen Wachdienst beauftragt und ab Mittwochabend das Eisentor verschlossen.
„Ich bin nicht einfach für oder gegen G20“
Vor dem Gipfel erklärte uns Stefanie Polster, wie Haltung.Hamburg Menschen dazu bringen möchte, über das Ereignis nachzudenken --> zum Artikel
Ich habe mit Vielem gerechnet, aber so eine Gewalt ist unglaublich und erschreckend. Das waren für mich keine Aktivisten. Das waren einfach nur Hooligans.
„Ich habe mich ernsthaft gefragt, was da eigentlich mit unserer Gesellschaft los ist“
Die Bilder habe ich am Freitagabend im Internet verfolgt, Freunde haben mir Nachrichten geschickt, was in anderen Stadtteilen so los ist. Einen Moment lang habe ich mir Sorgen gemacht, ob ich am Montag in eine völlig demolierte Agentur zurückkehren müsste, aber wir sind im Hinterhof, das ist einigermaßen sicher. Viel mehr haben mich dann die Bilder der Plünderungen erschreckt. Da steigen Menschen in einen kaputten Supermarkt und nehmen sich, was sie wollen. Und es waren längst nicht nur die Vermummten vom Schwarzen Block, sondern zum Teil auch ganz normale junge Leute. Gelegenheit macht Diebe, so sagt man ja.
Es ist unfassbar. Genau wie die vielen Schaulustigen, die sich ins Getümmel gemischt haben. Ich habe mich ernsthaft gefragt, was da eigentlich mit unserer Gesellschaft los ist.
„Die Schanze steht nicht für das, was da am Rande des Gipfels passiert ist“
Richtig erschreckend ist, wie sich Andreas Beuth, der Rechtsanwalt der „Roten Flora“, dem autonomen Zentrum hier im Schanzenviertel, vor einer Kamera des NDR dazu geäußert hat: Er habe ja Sympathie für solche Aktionen, aber doch bitte nicht im eigenen Viertel. Mit den Leuten, die da randaliert haben, identifiziert sich hoffentlich sonst keiner in Hamburg, auch nicht im Schanzenviertel. Das Schanzenviertel ist für mich zwar ein linker, aber ein offener und toleranter Stadtteil. Die Schanze steht nicht für das, was da am Rande des Gipfels passiert ist.
Es gab auch ermutigende Ereignisse an diesen Tagen, an denen Hamburg so gelitten hat. Ich hatte zum Beispiel das Glück, das „Global Citizen Festival“ besuchen zu können. Ein tolles Konzert, bei dem es nicht nur um Musik ging, sondern auch um Politik. Viele Menschen im Publikum haben Schilder hochgehalten, um ein Zeichen zu setzen im Kampf gegen Hunger und Krankheiten oder für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Ich weiß, diese Aktionen werden oft als seichter Pop-Aktivismus verschrien. Aber wer sagt denn, dass man mehr bewirkt, wenn man protestierend mit Bannern durch die Straße zieht?
„7.000 bis 8.000 Leute haben sich an der Aufräumaktion beteiligt, auch viele Familien mit Kindern“
Der schönste Moment war der Sonntag, als sich viele nach den Ausschreitungen per Facebook zum Aufräumen verabredet haben. Ich habe den Besen und Handschuhe von zu Hause mitgebracht und in der Schanze Scherben weggeräumt, andere haben Graffiti von den Geschäften geschrubbt. 7.000 bis 8.000 Leute haben sich an der Aufräumaktion beteiligt, auch viele Familien mit Kindern. Das ist der Spirit, der für Hamburg steht. Am Rande gab es noch drei, vier Leute, die im Kreis gelaufen sind und „Anticapitalista“ gerufen haben. Schon schräg in der Situation, aber das gehört eben zur Schanze dazu. Die Protestierenden mussten sich den einen oder anderen kritischen Kommentar gefallen lassen, wurden aber ansonsten eher belächelt.
Der Bäcker am Schulterblatt hatte am Montag übrigens wieder ganz normal geöffnet – obwohl der Laden keine Fensterscheiben hatte. Das Leben geht also weiter. Ich hoffe, dass Hamburg nicht als brennende Stadt in Erinnerung bleiben wird.
Fotos: Michael Kohls