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Fällt ein Tiefseekabel aus, können ganze Länder vom Internet abgeschnitten werden. Das macht sie zu einem Ziel für Angriffe

Tiefseekabel

Die Hände zittern, die Zange rutscht der Protagonistin fast aus den Händen. „Rot oder grün?“, presst sie zwischen den Lippen hervor. Schnitt in die Kommandozentrale, gehetzte Techniker zeigen auf Bildschirme, Spezialistinnen eilen mit Bauplänen herbei – „Rot oder grün? ROT ODER GRÜN?“

So sehen Szenen in Thrillern aus, in denen eine Bombe entschärft wird. Kabel, die über Leben und Tod entscheiden, haben ihren festen Platz in der Popkultur. Weniger bekannt ist, dass sich auch um Datenkabel Thriller abspielen.

Datenkabel, das sind zum Beispiel die LAN-Kabel, die Computer mit Routern verbinden, oder die Kabel, die unter den Straßen verlaufen und Häuser mit Telefon- und Internetverbindungen versorgen. Wann immer irgendwo eine E-Mail geschrieben oder ein Handyvideo angesehen wird, flitzen Daten durch diese Kabel. Und mit großer Sicherheit durch die Weltmeere: Schätzungen zufolge laufen rund 98 Prozent des weltweiten Datenverkehrs durch Tiefseekabel.

98 Prozent des weltweiten Datenverkehrs laufen durch rund 1,5 Millionen Kilometer Tiefseekabel

Rund 1,5 Millionen Kilometer Datenkabel liegen auf den Meeresböden. Die meisten sind kaum dicker als ein Gartenschlauch, die eingefassten Glasfasern sind haarfein. Sie verbinden die großen Datenzentren in den USA, China oder Japan mit der Handyantenne oder dem Router; über den Grund des Mittelmeers, im Suezkanal, im Golf von Bengalen, im Südchinesischen Meer und entlang der Küsten, etwa von Europa nach Westafrika. Im Juli 2024 zählte Lane Burdette vom Informationsdienst TeleGeography weltweit 534 Tiefseedatenkabel, 74 weitere seien in Planung (eine interaktive Karte aller Tiefseekabel findet sich auf submarinecablemap.com).

Betrieben werden die Kabel von Telekommunikationsfirmen und IT-Konzernen. Die investieren jährlich rund zwei Milliarden US-Dollar in Tiefseekabel, rechnet Burdette vor. Bald sollen es mindestens 3,5 Milliarden sein: Google will Japan und andere Inselstaaten mit zwei neuen Kabeln an die US-Westküste anschließen. Die USA finanzieren das Projekt mit, um ihren Einfluss auf den pazifischen Raum gegen China zu verteidigen.

Werden Kabel gekappt, können ganze Staaten zeitweise offline sein. Abgelegene und wirtschaftlich schwächere Regionen sind ungleich stärker betroffen. Mitte März waren Dutzende westafrikanische Länder von einem Tag auf den anderen vom Internet abgeschnitten, weil gleich mehrere Tiefseekabel beschädigt waren. Im Juli hatten große Teile der südpazifischen Insel Tonga über zwei Wochen kein Internet, weil ein Erdbeben ein Kabel beschädigt hatte. Reparaturen sind logistisch aufwendig und teuer, die Übertragung über Satelliten ist keine Alternative, weil die Datenübertragung viel langsamer und fehleranfälliger ist.

Seebeben, Schleppnetze, Schiffsanker setzen den Kabeln zu – und Spione

Jährlich werden zwischen 100 und 200 Schäden an Tiefseekabeln registriert, die meisten werden durch Seebeben, verhedderte Schleppnetze oder Schiffsanker verursacht. Glücklich, wer gleich durch mehrere Dutzend Tiefseekabel mit den USA verbunden ist wie die europäischen Länder. Sie sind nahezu vollkommen abhängig von ausländischen Kabelanbietern, die Nutzer hier merken von einem Schaden aber nicht viel: Die Daten suchen sich einfach den schnellsten Weg durch andere Kabel.

Und wenn jemandem in den Sinn käme, Kabel absichtlich zu beschädigen?

Dieser Text ist im fluter Nr. 92 „Verkehr“ erschienen

Das ist schwer zu belegen: Die meisten Kabel liegen in internationalen Gewässern, also außerhalb staatlicher Hoheitsgebiete. Mit der richtigen Ausrüstung kann man hier fast unbemerkt sabotieren. Abhörskandale mit Tiefseekabeln kommen trotzdem immer wieder ans Licht.

Den bisher größten Fall enthüllte 2013 Edward Snowden: Unter dem Decknamen „Tempora“ hatte der britische Geheimdienst GCHQ seit 2011 Datenkabel an der Südwestküste Englands angezapft. Weil die britischen Inseln eine Drehscheibe des globalen Datenverkehrs sind, konnten der GCHQ und der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst NSA praktisch den kompletten Internetverkehr mitlesen. 2018 entschied der Europäische Gerichtshof, dass solche Massenüberwachungen nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind.

Nachdem im Herbst 2023 ein chinesisches Schiff ein Unterseekabel in der Ostsee sabotiert hatte, legte die EU-Kommission im Frühjahr Empfehlungen für ein Seekabelsystem vor, das die Daten konsequent verschlüsselt, um sie vor Abhörangriffen zu schützen. Experten rechnen damit, dass sich solche „Seabed Warfares“, Kriegshandlungen am Meeresgrund, künftig häufen. Der Oberbefehlshaber der britischen Armee beispielsweise warnte unlängst vor den Tiefseeunternehmungen Russlands: Die Aktivitäten russischer U-Boote und Unterwasserdrohnen hätten „enorm zugenommen“, die Sabotage von Tiefseekabeln sei dabei als Kriegshandlung zu verstehen. Das war im Januar 2022, wenige Wochen vor dem Überfall auf die Ukraine.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.