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Frauen, die sich gegenseitig nichts gönnen

… das war einmal? Leider nicht ganz, sagt die Autorin Caroline Rosales. Ein Gespräch über toxische Weiblichkeit

Toxische Weiblichkeit

fluter.de: Wir lesen inzwischen regelmäßig von toxischer Männlichkeit. Sie – als Journalistin und Autorin, die sich viel mit Sexismus und Feminismus beschäftigt – sagen, dass es auch toxische Weiblichkeit gibt. Worum geht es da?

Caroline Rosales: Unter dem Begriff verstehe ich kurz zusammengefasst Frauen, die gegeneinander arbeiten und sich gegenseitig nichts gönnen. Das fängt schon auf dem Schulhof an, wenn eine die andere hänselt, nicht einem vermeintlichen Schönheitsideal zu entsprechen. Oder dass sie nicht die „richtige“ Jeans oder Tasche trägt. Im Berufsleben geht es dann nach dem Krabbenkorb-Prinzip: Die eine Krabbe will hochsteigen, drückt die andere Krabbe aber wieder runter. So ziehen sich alle gegenseitig und stetig runter. Am Ende bleiben alle Krabben im Netz – und keine bekommt die Freiheit oder eben den Aufstieg.

„Bei vielen Frauen ist hängen geblieben: Es gibt nur eine gewisse Anzahl an Plätzen für Frauen, da muss ich mich durchkämpfen.“

Haben Sie so was selbst erlebt?

Ich der Schule haben mich Jungs und Mädchen gemobbt, weil ich pummelig war. Es gab Mädchencliquen, die bestimmt haben, ob du auf eine Party eingeladen wurdest oder nicht. Und es ging darum: Wer hat den dünnsten Bauch, die längsten Haare, die coolsten Klamotten? Vor allem aber: Wer kommt am besten bei den Jungs an?

Konkurrenz unter Frauen fängt also schon sehr früh an.

Ja, und es zieht sich durch das Leben einer Frau, von der Schule bis in die Chefetage. Ich glaube, dahinter steckt dieses alte Prinzip von „Es kann ja immer nur eine Frau geben“, die „Quotenfrau“.

Ganz schön toxisch

Toxische Männlichkeit bezeichnet traditionelle männliche Denk- und Verhaltensweisen, mit denen Jungen und Männer anderen und sich selbst schaden, wie etwa dominantes, aggressives, gewalttätiges und emotionsloses Verhalten.

Toxische Weiblichkeit ist ein vergleichsweise noch wenig verbreiteter Begriff und auch nicht wissenschaftlich definiert. 2011 thematisierte die US-amerikanische Bloggerin Tavi Gevinson toxische Verhaltensweisen unter Frauen erstmals unter dem Schlagwort „Girl Hate“. Anders als toxische Männlichkeit, die sich negativ auf alle Geschlechter auswirkt, schadet toxische Weiblichkeit, so die Vertreterinnen der Theorie, vor allem Frauen.

Kritikerinnen des Begriffs „toxische Weiblichkeit“ sehen darin hauptsächlich von Männern konstruierte Zuschreibungen und keine faktischen Verhaltensweisen von Frauen. Sie glauben, dass der Begriff „toxischen Weiblichkeit“ von Männern geprägte weibliche Stereotype nacherzählt.

Woher kommt diese Vorstellung?

Im Arbeitskontext wahrscheinlich daher, dass es früher die eine Sekretärin oder die eine Zahnarzthelferin gab, die nicht „nur“ Ehefrau war, sondern sich außerhalb ihrer vier Wände hochgearbeitet hat. Natürlich sind Frauen in den 1950er- und 1960er-Jahren auch mal Ärztin oder Anwältin geworden – aber das war eine Ausnahme. Männer haben den Arbeitsmarkt dominiert. Inzwischen gibt es zwar Quoten – zum Beispiel bei DAX-Vorständen oder in der Politik. Bei vielen Frauen aber ist hängen geblieben: Es gibt nur eine gewisse Anzahl an Plätzen, da muss ich mich durchkämpfen.

Man könnte als Frau auch sagen: Ich verbünde mich mit anderen Frauen.

Frauen müssen im Berufsleben gegen zahlreiche Widerstände kämpfen: Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung, den Karriereknick, wenn sie Kinder bekommen. Ich glaube, bei vielen existiert eine stete Angst, ihren Job oder ihre Stellung zu verlieren. Wenn dann noch eine Praktikantin frischen Wind in Sitzungen bringt und der Chef ihr ein eigenes Projekt zuteilt, hat man als ältere Kollegin womöglich das Gefühl, abgemeldet zu sein – und setzt sich gegen die andere Frau „zur Wehr“: mit Sticheleien oder abwertendem Verhalten. Aber die Frauen selbst sind nicht verantwortlich für dieses toxische Verhalten. Schuld ist ein System, das frauenfeindlich ist.

Was meinen Sie damit genau?

1949 hat Deutschland ein Grundgesetz bekommen. In Artikel 3 heißt es zwar seitdem: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes (...) (…) benachteiligt werden“ – aber die Rolle der Mutter und die Rolle der Frau wurde meiner Meinung nach trotzdem noch nicht genug angefasst. Bis 1958 durften Frauen in der BRD kein eigenes Bankkonto haben, nicht über ihr Vermögen verfügen oder ohne Zustimmung ihres Mannes arbeiten gehen. Frauen waren also lange von dem Mann abhängig, der wiederum das Leben seiner Frau kontrolliert hat. Im Umkehrschluss war es für Frauen oft überlebenswichtig, dass sie sich langfristig an einen Mann binden. Obwohl wir inzwischen mehr Gleichstellung in der Gesellschaft haben, sind das Prinzipien, die sich über Generationen weitervererbt haben. Ich glaube, es würde viele Frauen ermutigen, auch in ihrem Verhältnis zueinander, wenn es gleiche Bezahlung und paritätische Besetzung im Beruf gäbe.

Welchen Einfluss haben diese Relikte von früher auf Mädchen und junge Frauen heute?

Ich habe das Gefühl, dass Mädchen schon im Kindergarten erzählt bekommen, wie sie sich als Frau zu verhalten haben: immer freundlich, dienstleistungsorientiert, höflich. Und dass sie zu Hause für das Heim und die Harmonie zu sorgen hat. Im Erwachsenenalter sollen Frauen möglichst sexy auftreten, um einen Mann abzubekommen. Auch ältere Frauen in der Verwandtschaft vermitteln das oft. Meine eigene Mutter hat mal zu mir gesagt: „Ich weiß, das ist deine Freundin. Aber pass auf, die macht dir noch deinen Mann streitig.“ Hört man so etwas immer wieder, prägt es das eigene toxische Verhalten gegenüber Frauen. Eine Frau sieht dann in einer anderen automatisch eine Konkurrentin.

Wie äußert sich das?

Aus meiner persönlichen Erfahrung, aber auch vielen Gesprächen mit anderen Frauen kann ich sagen, dass Frauen früh lernen, einander nicht direkt zu kritisieren. Konflikte werden eher unterschwellig ausgetragen. Frauen mobben weniger offen, sondern oft verdeckt.

„Ich erlebe leider häufig eine Art von Feminismus, bei dem Frauen predigen, dass man aus Prinzip zusammenhalten müsse und sich nicht kritisieren dürfe. Solch eine vermeintlich uneingeschränkte Solidarität halte ich aber ebenfalls für gefährlich“

Hat sich das in den letzten Jahrzehnten nicht etwas verändert?

Ich erlebe leider häufig eine Art von Feminismus, bei dem Frauen predigen, dass man aus Prinzip zusammenhalten müsse und sich nicht kritisieren dürfe. Solch eine vermeintlich uneingeschränkte Solidarität halte ich aber ebenfalls für gefährlich. Denn ich kritisiere ja nur jemanden, den ich auf Augenhöhe sehe und ernst nehme. Manche verstehen diese Kritik aber als Verrat an der feministischen Sache. Das ist meiner Meinung nach ebenfalls toxisch.

Sie sind Mutter von vier Kindern. Verhalten sich Frauen untereinander anders, wenn sie Mutter werden?

Ich beobachte sehr viel Konkurrenz unter Müttern. Manchmal wenn du auf einem Spielplatz sitzt, merkst du, wie die anderen dich abchecken: Ist das der richtige Kinderwagen? Trägt das Kind die richtigen Schuhe? Spreche ich die jetzt an oder nicht? Auch da bilden sich Cliquen. Und auch ich selbst merke, wie ich einst Gelerntes unbewusst weitergebe, ohne es zu wollen. Dabei will es ich ja eigentlich anders machen als die Generationen vor mir.

Wie lässt sich dieses Verhalten ablegen?

Ich glaube ans Netzwerken. Sich zum Beispiel mit einer Kollegin zu treffen, wenn man einen Rat braucht, ob jetzt für eine Bewerbung oder ein Projekt, an dem man arbeitet. Und man sollte sich aussprechen, wenn man ein starkes Konkurrenzgefühl spürt. Oft hilft schon, einfach mal die Karten auf den Tisch zu legen. Mir hat es außerdem geholfen, andere Frauen direkt zu fördern. Derzeit gibt es zwei junge Frauen, die ich mit Rat und Tat unterstütze. Und auch sonst arbeite ich inzwischen hauptsächlich mit Frauen zusammen und muss sagen: Ich empfinde das als sehr beglückend und befriedigend.

Caroline Rosales arbeitet als Autorin und Journalistin in Berlin. Ihr autobiografisches Sachbuch „Sexuell verfügbar“ wurde von der ARD als fünfteilige Miniserie adaptiert. Rosales’ zweiter Roman, „Die Ungelebten“, erschien im März dieses Jahres.

Portrait: Annette Hauschild / Ostkreuz

Titelbild: Marie Häfner / Connected Archives

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