Thema – Essen

Suchen Newsletter ABO Mediathek

Fiese Freunde

Früher weißes Gold, heute ungesunde Sünde – über die politische Karriere von Salz und Zucker

  • 6 Min.
Salz

Der Schokopudding einer großen Supermarktkette hat nun 30 Prozent weniger Zucker. Die Brötchen weniger Salz. Es ist kein Zufall, dass die Lebensmittelindustrie Zucker und Salz in manchen Fertigprodukten reduziert. Gemeinsam mit Fett gelten sie als das Dreigespann der ungesunden Ernährung, das dick und krank macht. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD auf eine „Nationale Reduktionsstrategie für Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten“ verständigt. Dabei handelt es sich um eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller, die nur dann Konsequenzen spüren, wenn die Unternehmen keine „ausreichende Bereitschaft“ signalisieren.

Frauen essen hierzulande im Schnitt 8,4 Gramm Salz pro Tag, Männer zehn Gramm. Die WHO empfiehlt fünf

Nach Ansicht vieler Expertinnen und Experten ist es dringend nötig, sich Gedanken um die Stoffe zu machen. Jeder Deutsche nimmt täglich durchschnittlich 90 Gramm Zucker zu sich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt höchstens 25 Gramm. Das wären etwa sechs Teelöffel. Frauen essen hierzulande im Schnitt 8,4 Gramm Salz pro Tag, Männer zehn Gramm. Die WHO empfiehlt fünf. So misstrauisch wie heute wurden Zucker und Salz allerdings nicht immer beäugt – im Gegenteil. Bis in das Zeitalter der Industrialisierung hinein galten sie als Luxusprodukt, als weißes Gold. Sie waren ein Symbol von Reichtum und Macht.

Die ersten Exportweltmeister

Die Lust auf Süßes wurde uns wortwörtlich in die Wiege gelegt. Schon Muttermilch schmeckt süß, sie enthält Laktose, also Milchzucker. In der Steinzeit war die Süße einer Frucht ein Hinweis darauf, dass sie genießbar ist. Schmeckte sie sauer oder bitter, ließen die Menschen lieber die Finger davon. Denn das konnte bedeuten, dass sie unreif, verdorben oder giftig ist. Der natürliche Fruchtzucker war also nichts anderes als ein Qualitätssiegel.

Anders verhält es sich mit dem Salz. Das war lange Zeit kein Bestandteil des menschlichen Speiseplans, weil es in der Nahrung von Steinzeitmenschen praktisch nicht vorkam. Allerdings entdeckten die Menschen schon vor etwa 5.000 Jahren, dass Lebensmittel mithilfe von Salz haltbar gemacht werden können. Und sie gewöhnten sich an den Geschmack. Schon die Ägypter nutzten es als Gewürz und um Speisen haltbar zu machen. Die Römer haben in einem aufwendigen Verfahren in eigens angelegten Salzgärten Meerwasser verdunsten lassen und so Salz gewonnen. Es war damals so wertvoll, dass sie sogar Soldaten mit Salz bezahlten.

Die ältesten Zeugnisse raffinierten Zuckers stammen aus dem Jahr 500 vor Christus

Der Salzhandel war seitdem Synonym von Wohlstand und Macht. Rom, die Ewige Stadt, entstand dort, wo sich ein Handelsweg mit dem Lauf des Tibers kreuzte. Bereits die Kelten hatten erste Salzbergwerke. Auch im Mittelalter galt Salz noch als Luxusgut, entlang der wichtigsten Handelswege entstanden blühende Städte. Erst im 19. und 20. Jahrhundert machte wissenschaftlicher Fortschritt die Erschließung bis dahin unbekannter Salzlagerstätten möglich und die starke Förderung des Abbaus Salz zu einem Massenprodukt.

Motor von Sklaverei und Kolonialismus

Ganz ähnlich war es mit dem Zucker. Schon in der Steinzeit fingen Menschen in den Subtropen an, Zuckerrohr zu kauen. Die ältesten Zeugnisse raffinierten Zuckers stammen aus dem Jahr 500 vor Christus, sie wurden in Nordindien gefunden. In Europa süßten die Menschen lange mit Honig oder Sirup. 

Zuckerschock

Einen Zuckerflash kann man nicht nur von Schokolade, Marmelade und Baiser bekommen – auch Ketchup, Wurst oder Tütensuppe werden ordentlich gesüßt

 

Der Unterschied zu diesen alten Süßungsmitteln ist, dass raffinierter Zucker keinen Eigengeschmack hat. In der Antike und im Mittelalter galt der weiße Zucker wegen seiner Reinheit als Medizin. Später war er Symbol des Überflusses und des feinen Lebens, in Form von Kuchen, Gebäck und Süßigkeiten. Manchen galt er gar als potenzsteigernd.
Bis in die Neuzeit hinein war er in Europa allerdings nur für viel Geld zu haben. Erst mit der Kolonialisierung begann der massenhafte Anbau von Zuckerrohr für den europäischen Markt. Schätzungen zufolge ist der Zuckerkonsum zwischen 1650 und 1800 allein in England um 2.500 Prozent gestiegen.

Fast die gesamte Weltzuckerproduktion wurde in Europa und Nordamerika konsumiert. Unter schrecklichen Bedingungen verschleppten Europäer über Jahrhunderte hinweg Menschen aus Westafrika in die Karibik und versklavten sie dort auf Zuckerplantagen. Die ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse waren jedoch nicht die einzige dramatische Folge des Zuckeranbaus in diesen Regionen. Die Wirtschaft vor Ort wurde allein auf die Zuckerproduktion getrimmt, andere Waren und Nahrungsmittel mussten importiert werden. 

Die Inkarnation des Bösen: Cola. Aber was ist mit Fruchtjoghurt?

Heute ist der Zucker in nahezu allen Weltregionen allgegenwärtig und für wenig Geld zu haben. In einem Liter Cola stecken 36 Stück Würfelzucker. Gut, dass Cola eine Zucker-Limo ist, weiß eigentlich jeder. Aber wie ist es zum Beispiel mit Fruchtjoghurt? 100 Gramm enthalten zuweilen an die 14 Gramm Zucker.

Wie viel das bei einem größeren Becher, mit 200, 300 Gramm ist, kann sich jeder ausrechnen. Viel Zucker steckt auch in Tomatenketchup und fertigen Salatsoßen. Sogar eindeutig herzhafte Lebensmittel wie Wurst oder Tütensuppen enthalten Zucker. 

Eine sehr erfolgreiche Marketingkampagne

Ist das nun ein Problem? Ja, finden viele Experten. Vor einigen Jahren kam ein großer Skandal ans Licht. Es tauchten Dokumente auf, die belegten, dass die Zuckerindustrie bereits in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts den Plan gefasst hatte, der Bevölkerung Fett als das größte Ernährungslaster überhaupt zu vermitteln. Und das nicht nur, weil dies von den Gefahren des Zuckers ablenken sollte. Sondern auch, weil Low-Fat-Produkten häufig Zucker hinzugefügt wird, um das Fett zu ersetzen. Die Lobbyisten beauftragten Studien, starteten riesige Marketingkampagnen. Mit Erfolg. 

Großbritanniens Getränkehersteller müssen auf allzu zuckrige Getränke eine Steuer entrichten

Inzwischen gibt es Studien, die belegen wollen, dass Zucker ungesünder ist als Fett. Er sorgt demnach dafür, dass der Insulinspiegel im Blut ständig zu hoch ist, verklebt die Blutgefäße, das Risiko für einen Herzinfarkt steigt. Es gibt allerdings auch Forscher, die davor warnen, allein den Zucker zur Ernährungssünde zu erklären. Es komme eben in der Ernährung immer auf die Ausgewogenheit und das richtige Maß an. Die Politik reagiert, jedenfalls in einigen Ländern. Großbritanniens Getränkehersteller müssen auf allzu zuckrige Getränke eine Steuer entrichten. 

Mehr als die Hälfte der britischen Erwachsenen und ein Drittel der Kinder sind übergewichtig. Inzwischen haben erste Getränkehersteller bereits ihre Rezeptur geändert. Mexiko führte eine solche Steuer schon 2014 ein, ein Peso für einen Liter. Seitdem sinkt der Verbrauch von gezuckerter Limonade. 

Ähnlich misstrauisch beäugt wird inzwischen das Salz. Nur dass sich hier die Experten noch viel weniger einig sind, wie viel davon eigentlich gesund ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal sechs Gramm Salz am Tag, etwas mehr als die WHO. Einige Studien bringen Salz mit erhöhtem Blutdruck und einem höheren Herzinfarktrisiko in Verbindung. Andere Studien hingegen warnen im Gegensatz dazu vor zu wenig Salz, sprechen von einer idealen Menge von 7,5 bis 15 Gramm. Und irgendwo dazwischen: der deutsche Durchschnittsesser. 

Einig sind sich die Expertinnen und Experten immerhin in einem: Dass so viele Menschen überhaupt nicht wissen, wie viel Salz und Zucker in den Nahrungsmitteln steckt, die sie täglich im Supermarkt kaufen, ist ein Problem. Denn so können sie gar nicht offenen Auges entscheiden, ob ihr Zucker- und Salzkonsum eigentlich okay ist. Oder ob es doch lieber etwas weniger sein soll.

Fotos: Jan Q. Maschinski

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.