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Mangelerscheinungen

In Berlin wurde ein umstrittener Mietendeckel eingeführt. In San Francisco gibt es ähnliche Maßnahmen schon seit Jahren – mit unterschiedlichsten Folgen

San Francisco, Obdachlos, Wohnen

Aufgebrachte Menschen, die Busse blockieren, in denen Mitarbeiter großer Internetkonzerne wie Google oder Facebook morgens zu ihren Firmensitzen im Silicon Valley fahren, oder auch Zelte, in denen Menschen auf dem Bürgersteig kampieren: zwei Bilder, die beispielhaft für den starken Anstieg der Mieten in San Francisco stehen. Die einen fühlen sich von den gut verdienenden Mitarbeitern der IT-Branche aus ihren Wohnungen verdrängt, die anderen hat die Wohnungsknappheit in die Obdachlosigkeit getrieben.

Die kalifornische Metropole boomt wie kaum eine andere Stadt in den USA und ist noch vor New York die teuerste Stadt im Land. Für ein 2-Bedroom-Apartment mit 90 Quadratmetern (das entspricht in etwa einer deutschen 3-bis 4-Zimmer-Wohnung) in mittlerer Innenstadtlage zahlt man heute bei Neuvermietungen oft 4.000 Dollar monatlich oder mehr. Familien mit durchschnittlichem Einkommen können es sich kaum noch leisten, in dieser Stadt zu wohnen – dabei betrug das in San Francisco 2018 immerhin 104.552 Dollar pro Jahr.

Der kalifornische Mietendeckel macht es schwer, eine Wohnung zu finden, sagen die einen

Erstaunlich ist diese Entwicklung vor allem deshalb, weil San Francisco seit vielen Jahren ein strenges Mietkontrollgesetz hat – auch wenn der Mietendeckel, den der rot-rot-grüne Senat in Berlin kürzlich beschlossen hat, noch rigoroser ist, weil er sogar die Höhe der Mieten vorschreibt. Die Mietpreisbremse in San Francisco deckelt lediglich die Steigerungsraten und verschärft den Kündigungsschutz. Sie existiert hier seit Mitte der 1990er-Jahre.

63% 

der US-Amerikaner/-innen leben in ihrem Wohneigentum, Tendenz abnehmend. In Deutschland beträgt die Wohneigentumsquote bei 52%, Tendenz steigend.

Diskutiert wird über solche Eingriffe in den freien Markt freilich schon viel länger. Der liberale Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman kam bereits 1946 in seinem Text mit dem Titel „Roofs or Ceilings? The Current Housing Problem“ zu dem Schluss: „Mietenkontrolle ist ein Gesetz, das Leuten helfen soll, die eine Wohnung haben. Und das tut es auch für Leute, die jetzt gerade in einer Wohnung wohnen. Aber der Effekt von Mietenkontrolle ist, dass sie Knappheit produziert und es schwer macht für andere Leute, eine Wohnung zu finden.

Eingeführt wurde die Mietpreisbremse in San Francisco 1995 – als die Stadt erstmals die Auswirkungen des Technologiebooms im Silicon Valley und die dadurch rasant steigenden Mieten zu spüren bekam. Sie schützt vor allem solche Menschen, die in Wohnungen leben, die 1979 und früher errichtet wurden (was für etwa 72 Prozent des Mietwohnraums der Stadt, das sind etwa 172.000 Wohnungen, zutrifft). Für Wohnungen, die nach 1995 errichtet wurden, gilt die Regelung nicht. Außerdem wirkt sie nicht bei Neuvermietungen. Vermietet ein Eigentümer eine Wohnung nach dem Auszug eines Mieters neu, kann er eine Miete ansetzen, die er für marktgerecht hält. Danach darf er die Miete einmal im Jahr im Rahmen eines jährlich neu festgesetzten Preisindexes erhöhen, der sich an der Inflationsrate orientiert. Zugleich sieht das Gesetz einen ausgeprägten Kündigungsschutz für die Mieter vor.

San Francisco, Obdachlos, Wohnen

Als Jana Sophia Nolle nach San Francisco kam, war sie geschockt von den vielen Obdachlosen, aber gleichzeitig fasziniert vom kreativen Überlebenswillen. So kam sie auf die Idee, die Hütten und Verschläge der ganz Armen in den Wohnungen reicher Leute aufzubauen

Einem Mieter kann nun nur wegen sogenannter „berechtigter Gründe“ gekündigt werden, unter anderem wenn der Besitzer Eigenbedarf nachweisen kann. In dem Fall steht den Mietern eine Entschädigung zu.

Im Frühjahr 2019 veröffentlichten die Ökonomen Rebecca Diamond, Tim McQuade und Franklin Qian von der Universität Stanford eine Studie, in der sie die langfristigen Auswirkungen des Mietkontrollgesetzes in San Francisco untersuchten. Ihr Fazit war zweischneidig: Einerseits habe der Mietendeckel die Gentrifizierung in der Stadt sogar beschleunigt, andererseits habe er gerade viele einkommensschwache Mieter davor bewahrt, ihre Wohnung verlassen zu müssen. Die Mietpreisbindung habe sich vor allem für Geringverdiener in durchschnittlich attraktiven Wohnlagen vorteilhaft ausgewirkt. Die Mieter mit diesen günstigen und stabilen Mieten wohnten länger an einer Adresse, als dies in Gegenden ohne Mietpreisbindung der Fall sei.

Er ist verantwortlich für die Zunahme der Eigentumswohnungen, sagen die anderen

Doch in attraktiveren Gegenden machte sich ein gegenteiliger Effektbemerkbar: Gerade in den teuersten Wohngegenden, so fanden die Wissenschaftler heraus, sei die Mieterfluktuation sogar bei angezogener Mietpreisbremse höher als ohne. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Mietpreisbremse Eigentümer dazu treibe, die Regelung zu unterlaufen – indem sie Wohnungen dem Mietmarkt entzögen und etwa in Eigentumswohnungen umwandelten und verkauften – oder aber gleich alte Gebäude abrissen und neue errichten ließen, die dann nach dem Gesetz keiner Preiskontrolle mehr unterlägen. Rund 15 Prozent der verfügbaren Mietwohnungen seien dem Markt so seit 1995 entzogen worden, und das treibt die Preise nach oben. Die Mieten stiegen seither durchschnittlich um sieben Prozent im Jahr. Die Mietpreisbindung machen die Autoren der Studie also verantwortlich für die Zunahme an Eigentumswohnungen und das Wachstum im Bereich des Neubaus von Luxusimmobilien, die nicht unter die Mietpreisbindung fallen.

Die Mietregulierung in San Francisco hat für einige sozial eher schwache Gruppen, die bereits eine Wohnung hatten, durchaus bezahlbare Mieten gesichert, doch die Zahl derjenigen, die durch diese Regelung langfristig Nachteile haben, überwiege, so die Autoren der Studie. Der Plan, die Mietendeckelung auf ganz Kalifornien auszudehnen, war im Herbst 2018 bei einer Volksabstimmung gescheitert. Gut 59 Prozent der Kalifornier waren nicht überzeugt davon, dass eine stärkere Regulierung zu einer Linderung der „Housing Crisis“ führen könne.

Und wieder andere meinen: Zumindest schützt er die bestehenden Mieten

Die San Francisco Tenants Union (SFTU), eine Art Mieterschutzbund, in deren Logo eine geballte linke Faust einen Haustürschlüssel in die Luft reckt, verteidigt die Mietenkontrolle dennoch und hält deren Gegner –Bauunternehmer, Immobilienfirmen, kommerzielle Vermieter – für „ideologisch motiviert“. Langzeitstudien zeigten, dass die Mieten schon seit den 1950er-Jahren um jährlich knapp sieben Prozent gestiegen seien, daran habe der Mietendeckel wenig geändert. Doch zumindest der Schutz der Bestandsmieter habe sich drastisch verbessert. Der Interessenverband hält die Kontrolle der Mieten nach wie vor für ein wesentliches Mittel, um die Vertreibung von Arbeitern, Senioren, Migranten und People of Color vom Wohnungsmarkt zu stoppen.

Einig sind sich viele Studien zumindest in einem Punkt: Mit Regulierung allein wird kein Quadratmeter bezahlbarer Wohnraum geschaffen. Der Schlüssel zur Linderung der Wohnungsnot, heißt es im (auch schon sechs Jahre alten) Thesenpapier der Non-Profit-Organisation SPUR, sei der Nachschub an neuem Wohnraum: „Wir sind in die Wohnungsnot geraten, weil San Francisco nicht genug Wohnungen hat, um die Nachfrage zu stillen.“ Die einzige Lösung, die möglichst vielen Leuten zugutekommen würde, müsse daher dafür sorgen, dass mehr bezahlbarer Wohnraum gebaut werde. Das zumindest ist auch auf andere Städte übertragbar.

Fotos: Jana Sophia Nolle

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