Thema – Pressefreiheit

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„Ein heiliges Prinzip“

Das Ibiza-Video wurde heimlich aufgenommen und verletzt die Privatsphäre zweier Politiker. An der Veröffentlichung führte trotzdem kein Weg vorbei, sagt der „Spiegel“-Journalist Wolf Wiedmann-Schmidt

Zeitungscover zum Strache Video (Foto: picture-alliance / dpa)

Wolf Wiedmann-Schmidt hat jenes Video mit ausgewertet, das in Österreich eine Regierungskrise ausgelöst hat: das Ibiza-Video. 2017, kurz vor der österreichischen Nationalratswahl, wurde es in einer Finca auf Ibiza heimlich aufgenommen. Zwei Jahre später, im Mai, wurde es dem „Spiegel“ und der „Süddeutschen Zeitung“ zugespielt. Die beiden Medien veröffentlichten Ausschnitte des Videos und brachten damit die Korruptionsbereitschaft zweier hoher Politiker ans Licht. Dafür gab es viel Lob, aber nicht nur: Der Datenschutzbeauftragte Baden-Württembergs bemängelt eine Verletzung der Privatsphäre, die betroffenen FPÖ-Politiker sprechen von einer „Schmutzkübelkampagne“, und AfD-Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland kritisiert die „Art, wie man hier einen Menschen vorgeführt hat“. Inzwischen haben mehrere Privatpersonen Strafanzeige gegen die „Süddeutsche Zeitung“ und den „Spiegel“ erstattet.

fluter.de: Hat es Sie nicht stutzig gemacht, dass das Video schon zwei Jahre lang existierte und mehreren Medien angeboten wurde, der „Zeit“ etwa für eine siebenstellige Summe?

Wolf Wiedmann-Schmidt: Wie das alles in den zwei Jahren gelaufen ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass weder „Spiegel“ noch „Süddeutsche Zeitung“ dafür Geld bezahlt haben. Das war alles, was für uns zählte. Wir hatten das Material vorliegen, konnten es auswerten und verifizieren, es war authentisch, daran hatten wir nach intensiver Prüfung keine Zweifel.

Ihre Kollegen von der „SZ“ erklärten, das Material sei „forensisch geprüft“ worden. Wie darf man sich das vorstellen? 

Wir hatten zwei externe Gutachter beauftragt. Der eine hat sich unter anderem angeschaut, ob das wirklich Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in dem Video sind. Mithilfe von Fotos hat er zum Beispiel die Ohren abgeglichen und kam zu dem Ergebnis, dass das Video mit sehr großer Sicherheit die Personen zeigt, um die es geht. Danach haben wir noch das Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie gebeten, uns bei zwei Fragen zu helfen. 

Und zwar?

Die eine war, ob das tatsächlich der Ort ist, also die Finca auf Ibiza, in der das Video aufgenommen wurde. Die Gutachter haben öffentlich zugängliche Bilder mit dem verglichen, was man auf dem Video sieht, und kamen dann auch zu dem Schluss, dass das mit sehr hoher Sicherheit genau dieser Ort ist. Die zweite, noch wichtigere Frage war, ob es auf den verschiedenen Video- und Tonspuren irgendwelche Hinweise auf Manipulation gibt. Das war nicht der Fall. 

Die Villa aus dem Skandalvideo auf airbnb (Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com) (Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com)

Die rund 1000 Euro pro Nacht scheinen sich zu lohnen: „Thank you for these unforgettable days“, schreibt eine Airbnb-Nutzerin über ihren Aufenthalt in der Finca. Unforgettable, das war die vermeintliche Oligarchenvilla auch für Heinz-Christian Strache

(Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com)
 

Konnten Sie ausschließen, dass Ihre Quelle mit dem Video eigennützige Interessen oder eine politische Agenda verfolgt?

 

Zu unseren Quellen sagen wir nie etwas, das ist ein heiliges Prinzip. Wir hatten keine gesicherten Erkenntnisse, mit welchem Motiv dieses Video möglicherweise in Auftrag gegeben worden war. Es war aber offensichtlich, dass es eine Falle war, in die die beiden Politiker gelockt wurden. Die Inhalte des Videos – dass man sich durch öffentliche Aufträge für Wahlkampfhilfe erkenntlich zeigen würde, dass man sich einmischen will in die Unabhängigkeit der Medien und dass es möglicherweise eine illegale Form der Parteienfinanzierung gibt – waren für uns so massiv, dass wir gesagt haben, das müssen wir veröffentlichen.

 

Wenn Journalisten belastendes Material finden, konfrontieren sie die Betroffenen in der Regel vor Veröffentlichung mit den Vorwürfen. Sie haben auch Strache und Gudenus um Stellungnahme gebeten.

 

Richtig. Die beiden Politiker haben eingeräumt, dass es das Treffen gab, haben zu Protokoll gegeben, dass es bei einigem Alkohol in feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre stattgefunden habe und es Sprachbarrieren mit der russischen Übersetzung gegeben habe. Sie haben betont, mehrfach darauf hingewiesen zu haben, dass alles rechtmäßig laufen müsse, wenn man ins Geschäft miteinander käme.

„Wenn wir Hinweise auf Missstände haben, auf Fehlverhalten von Politikern, dann müssen wir das veröffentlichen“

 

Strache ging nach der Veröffentlichung sofort zur Gegenoffensive über. Schon in seiner Rücktrittserklärung sprach er von einer „über das Ausland gespielten“ Schmutzkübelkampagne. Was sagen Sie dazu?

 

In Österreich wird aktuell wahnsinnig viel spekuliert. Daran wollen wir uns nicht beteiligen. Wir haben auf diesen Bildern einen Politiker gesehen, den späteren Vizekanzler der Republik Österreich, der sich im Wahlkampf bereit erklärt, öffentliche Aufträge zu verhökern, wenn man ihm zur Kanzlerschaft verhilft. Darüber nicht zu berichten wäre unverantwortlich gewesen.

 

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen schrieb in einem Kommentar vom „Triumph des analytischen, kühl recherchierenden Journalismus“.

 

Triumph ist keine Kategorie, die ich als Journalist zum Maßstab habe. Wir üben eine Kontrollfunktion aus. Wenn wir Hinweise auf Missstände haben, auf Fehlverhalten von Politikern, dann müssen wir das veröffentlichen. Uns war natürlich klar, dass es Folgen haben wird. In der Form und Geschwindigkeit hat es mich persönlich aber überrascht.

 

Wie verändert es die eigene Arbeit, wenn man um die Tragweite weiß, die eine Veröffentlichung haben kann? 

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Wolf Wiedmann-Schmidt arbeitet im Deutschland-Ressort des „Spiegel“ und ist Teil des Rechercheteams, das mit der Auswertung jenes Videos betraut ist. (Foto: privat)

Wolf Wiedmann-Schmidt ist Teamleiter im Hauptstadtbüro des „Spiegel“ in Berlin und Teil des Rechercheteams, das mit der Auswertung jenes Videos betraut ist.

(Foto: privat)

Unsere Arbeit kann immer Auswirkungen haben – im Kleinen wie im Großen. Deshalb haben wir entschieden, nur Teile dieses Videomaterials zu veröffentlichen. Nämlich solche, in denen es um Dinge von politischer Brisanz und von hohem öffentlichen Interesse ging. Teilweise wurden aber auch Dinge besprochen, die in der Öffentlichkeit nichts verloren haben.

Der Datenschutzbeauftragte Baden-Württembergs, Stefan Brink, kritisierte via Twitter, dass es der politischen Kultur schade, wenn politische Gegner hintergangen, in ihrer Privatsphäre verletzt und kriminelles Unrecht begangen würde. Was entgegnen Sie diesen Vorwürfen?

Wir haben dieses Video ja nicht selbst erstellt. Das ist auch etwas, was Journalisten nie machen dürften: Wir dürfen Leute nicht täuschen. Wir dürfen auch keine Straftaten begehen. Aber wir haben dieses Video zugespielt bekommen und sind damit so umgegangen, wie Journalisten mit so etwas umgehen müssen. Wir sind all diese Schritte gegangen, um unserer Sorgfaltspflicht gerecht zu werden. Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, davon zu erfahren. 

Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung wurde kritisiert: Es habe den Anschein erweckt, man wolle so kurz vor der Europawahl auf die Wahlentscheidung der Wähler einwirken. Die ÖVP von Kanzler Kurz kam daraufhin auf fast 35 Prozent, die FPÖ auf gut 17 Prozent. Wäre die Wahl ohne die Enthüllungen anders ausgegangen?

 

Das ist Spekulation. Wir haben die Veröffentlichung nicht direkt vor der Europawahl platziert. Wenn die Prüfung des Materials länger gedauert hätte oder wir an der Echtheit Zweifel gehabt hätten, dann hätten wir es nicht veröffentlicht. Aber die Prüfung war abgeschlossen, das Video war authentisch. Es wäre unjournalistisch gewesen, wenn wir die Veröffentlichung bewusst bis nach der Wahl zurückgehalten hätten.

 

Die FPÖ hat in den letzten Monaten immer wieder die Pressefreiheit attackiert: Sie will die Gebühren abschaffen, den ORF reglementieren und unbequeme Journalisten wie Armin Wolf loswerden. Ist es bezeichnend, dass die Enthüllung des Videos nun von deutschen Medien kommt?

 

Wichtiger ist, dass eine Wirkung zu sehen ist. Die „Kronen-Zeitung“, von der im Video viel gesprochen wird, hat beispielsweise sehr massiv auf das Video reagiert und ihre Unabhängigkeit verteidigt. Aber auch die anderen Medien in Österreich haben möglicherweise einen Weckruf erhalten, dass einige Rechtspopulisten es ernst meinen, wenn sie sagen, dass sie sich eine Medienlandschaft wie in Ungarn wünschen, die nichts mehr mit den liberalen Werten zu tun hat, wie sie in Europa herrschen sollten.

 

Titelbild: picture-alliance / dpa 

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