Im November 2020 habe ich mir zum ersten Mal in meinem Leben Aktien gekauft. 16 Stück. Von einem Impfstoffhersteller. Ich wollte auch mal rechtzeitig bei einem Hype dabei sein. In den ersten Wochen checkte ich jeden Tag mehrfach den Wert meiner Aktien. Ich fing an, auf Börsenwebseiten Artikel zu lesen, die herumorakelten, wie sich der Wert weiterentwickeln würde, las von „Stop-Loss-Orders“ und „Bollinger Bands“. Mit der Nachrichtenlage hatten die Schwankungen nicht immer was zu tun: Manchmal fiel die Aktie selbst dann, wenn der Impfstoffhersteller gute News verbreitete. Die waren dann, lernte ich, schon „eingepreist“, spiegelten sich also bereits im Aktienkurs wider, weil andere schon vorher erwarteten, was passieren würde. Clever. Ich merkte schnell, dass ich eigentlich gar nichts von dem verstehe, was ich gerade tue.
Mit meinem Kauf bin ich nicht allein. Die Zahl der Deutschen, die Aktien besitzen, ist 2020 um 2,7 Millionen Menschen gestiegen, fast 600.000 von ihnen sind unter 30 Jahre alt. Wenn man sich vor Augen führt, dass es nun insgesamt etwa 12,4 Millionen Aktienbesitzer in Deutschland gibt, ist das ein enormer Sprung. Bislang hieß es immer, die Deutschen seien in Geldfragen eher auf Sicherheit bedacht.
Für diesen kleinen Aktienboom gibt es mehrere Gründe:
1. Das niedrige Zinsniveau.
2. ETFs.
3. Onlinebanking und neue Apps.
Fangen wir vorne an. Ein klassischer deutscher Kleinsparerweg war lange das Festgeld. Man gibt seiner Bank z. B. für ein paar Jahre Geld und bekommt dafür ein wenig höhere Zinsen als sonst – je länger, desto mehr. Das Risiko geht dabei gegen null. Dummerweise sind die sogenannten Leitzinsen, an denen sich die Banken orientieren und die unter anderem von der Europäischen Zentralbank festgelegt werden, seit vielen Jahren sehr niedrig. Festgeld bringt daher fast nix mehr, die Leute suchen sich andere Anlageformen, je nach Geldbeutel. Immobilien, Rohstoffe wie Gold oder Öl, Kryptowährungen wie den Bitcoin. Und eben Aktien.
ETFs gibt es schon seit rund 30 Jahren
Die sind kurzfristig betrachtet ein recht riskantes Investment. Man kann seinen Einsatz in einem Jahr verdoppeln. Aber auch viel verlieren. Niemand kann genau vorhersehen, wie sich einzelne Unternehmen oder auch ganze Branchen entwickeln. Um dieses Risiko zu minimieren, gibt es Aktienfonds. Darin werden zahlreiche Aktien von verschiedenen Firmen, Branchen oder Ländern gesammelt. Verliert eine Aktie davon an Wert? Kein Problem. Der Rest federt das ab.
Doch bei Fonds muss man immer auch den Verwalter bezahlen. Hier kommen die ETFs (aus dem Englischen: Exchange Traded Funds) ins Spiel: ETFs stecken das Geld nicht in eine einzelne Aktie, sondern direkt in mehrere Aktien eines Index wie dem Dax – und brauchen viel weniger Betreuung, da vieles automatisiert abläuft. ETFs gibt es seit rund 30 Jahren, in den vergangenen Jahren sind sie aber noch mal deutlich populärer geworden. Auch für mich waren sie eine ideale Lösung: Neben meinem kleinen riskanten Impf-Investment war ich nämlich in der privilegierten Position, noch einiges an Erspartem zu besitzen, das ich schon länger anlegen wollte. Das investierte ich in verschiedene ETFs.
Außerdem machte ich einen Sparplan, durch den ich jetzt jeden Monat automatisch noch ein paar Anteile kaufe, was überhaupt für viele Menschen der normale Weg des Aktienkaufs ist: ein wenig Geld beiseitelegen, womöglich schon mit Blick auf die Altersvorsorge.
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Das alles ist in den vergangenen Jahren deutlich leichter geworden, was viel mit dem Internet zu tun hat. Vor allem mit Social Media. Influencer auf YouTube, TikTok und Instagram haben Börsenthemen für sich entdeckt und ziehen damit viele junge Menschen an. Accounts wie „Finanzfluss“ oder „Aktien mit Kopf“ haben zum Teil mehrere Hunderttausend Follower. Aber auch sonst muss man nicht mehr in die Bankfiliale fahren oder extra mit einer Fondsgesellschaft sprechen. Fast alle Banken haben entsprechende Services in ihrem Onlineangebot. Und es geht sogar noch einfacher: Trading-Apps holen den Aktienhandel aufs Smartphone und dürften ein weiterer Grund dafür sein, warum besonders viele junge Leute neu dazugekommen sind. Zwei dieser Apps einzurichten kostete mich jeweils weniger als eine halbe Stunde: ein paar persönliche Daten angeben, anklicken, wie viel Vorerfahrung ich habe, ein Videotelefonat, bei dem ich meinen Ausweis in die Kamera halte, eine will immerhin noch meine Steuernummer wissen. Ein, zwei Tage später konnte ich loslegen.
Mit Aktien zu handeln ist nun so einfach, wie bei Tinder nach rechts zu wischen oder einen empörten Tweet zu schreiben. Und das birgt durchaus Gefahren: In den USA beging vergangenes Jahr ein 20-Jähriger Suizid, weil in der Trading-App für sein Konto ein Minus von 730.000 Dollar angezeigt wurde. Er hatte hochriskante Geschäfte getätigt und Geld eingesetzt, das er gar nicht besaß. Dass er dabei keineswegs so viel Verlust gemacht hatte, wie ihm angezeigt wurde, hatte er nicht durchschaut.
Wann verkauft man seine Aktien eigentlich wieder?
Je populärer Aktien werden, desto mehr werden sie zum Medienthema, was den Hype weiter anfacht. Ebenso die Gier. Ständig liest man von irgendeinem Wert, der sich seit Jahresbeginn vervielfacht hat, vom Bitcoin-Goldrausch, vom nächsten großen Aktiending. FoMO, die Fear of Missing Out, also die Angst, etwas zu verpassen, ist ein ständiger Begleiter auf dem Geldanlagemarkt. Hätte ich mal! Und würde ich doch!! Wenn der Kurs schon so weit gestiegen ist, dann sollte ich besser nicht mehr einsteigen. Oder erst recht? Und wann verkauft man seine Aktien eigentlich wieder?
Meine ETFs machen sich bisher gut. Einige von ihnen haben ihren Wert um mehr als 20 Prozent gesteigert. Klingt zu schön, zu einfach, um wahr zu sein? Das stimmt natürlich. Denn wenn alle das Gleiche wollen, steigt der Preis. Das gilt für Häuser, für Limited-Edition-Sneaker, für Gold und auch für Aktien, deren Wert mit dem realen Unternehmensgewinn mitunter nicht mehr viel zu tun hat. Kaufen alle weiter, gewinnen alle. Doch wehe, die Ersten steigen irgendwann aus. Dann fallen die Kurse, die Nächsten verkaufen, um ihre Gewinne zu retten, und so weiter. Die Blase platzt. Auf dem Aktienmarkt ist so ein Crash schon einige Male vorgekommen. Und auch heute halten einige die Börsen für überhitzt. Wenn irgendwann der Leitzins wieder steigt, könnten andere Anlageformen wieder interessanter werden. Zwar haben sich die Aktienkurse auf lange Sicht bisher immer wieder erholt. Doch für den Moment ist der Gewinn dahin – und man hat vielleicht sogar Geld verloren. Liest man Ratgeber zur Geldanlage, wird einem deswegen immer wieder gesagt, dass man sein Risiko streuen soll: nicht alles in dieselbe Aktie stecken. Generell nicht alles in Aktien stecken. Nur anlegen, was man nicht braucht. Und riskant anlegen nur das, was man nun wirklich gar nicht braucht. Wer den Kick will, zu spekulieren wie die Profis, sollte sich deshalb ein bisschen „Spielgeld“ beiseitelegen. Und kann dann, so wie ich, auch mal Impfstoffhersteller-Aktien kaufen, ohne Ahnung davon zu haben.
Titelbild: Ethan Miller/Getty Images