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Na, vielen Tank auch

Verkehrspolitisch konzentriert sich Deutschland seit gut 100 Jahren auf das Auto. Eine Chronik

Autochronik

1900: Kein Senkrechtstarter

Das Auto verspricht Freiheit, Fortschritt und Wohlstand, ist aber nicht direkt ein Erfolg: Den meisten Deutschen gilt es als dreckig und laut, und vor allem ist es unbezahlbar. Die Industrie konzentriert sich deshalb vorerst auf Taxen und Sonderwünsche für Reiche und Adlige, die nicht länger mit demselben Zug fahren wollen wie die Normalos. Unklar ist auch, ob sich der Verbrennungsmotor gegen die parallel entwickelten Dampf- und Elektroautos durchsetzen wird.

1932: Erste deutsche Autobahn

Im August 1932 eröffnet Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer die erste „Nur-Auto-Straße“ in Deutschland. Drei Jahre hatten rund 5.000 Menschen die 20 Kilometer zwischen Köln und Bonn in Handarbeit erbaut: In der Massenarbeitslosigkeit sollten möglichst viele beschäftigt werden. Es gilt Tempo 120, Leitplanken und Standstreifen fehlen, das Parken und Wenden auf der Fahrbahn ist verboten – genauso Kutschen und Fahrräder, die bis in die 1940er-Jahre hinein das wichtigste Verkehrsmittel sind.

1933: Autobahnen als Nazipropaganda

Nach Adolf Hitlers Machtübernahme vereinnahmen die Nazis die bestehenden Autobahnpläne für sich. Bis Kriegsbeginn 1939 sind rund 3.300 der geplanten 6.900 Autobahnkilometer gebaut. Zuständig ist die Reichsbahn, das damals größte Unternehmen der Welt.

1934: Einheitliche Verkehrsregeln

Der Reichsverkehrsminister erlässt die ersten einheitlichen Verkehrsregeln. Hitler will das Auto populär machen, also hebt die „Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung“ die Geschwindigkeitsbegrenzung (vorerst) auf und überlässt dem Auto die Straßen. Ab 1939 schreibt die Reichsgaragenordnung zudem vor, dass zu jedem Neubau eigene Parkflächen gebaut werden müssen. Die heutige Straßenverkehrsordnung baut auf den damaligen Gesetzen auf.

1938: Der Traum vom Volkswagen

Im Mai legt Hitler den Grundstein für das erste Volkswagenwerk in Wolfsburg. Hier soll der „Kraft-durch-Freude-Wagen“ gebaut werden, ein Auto, das sich alle Bürger leisten können. Das Werk wird 1939 fertig, produziert aber nur Kriegsgüter: Die Nazis haben den Zweiten Weltkrieg begonnen.

1947: Infrastruktur in Trümmern

Nach Kriegsende sind Straßen, Tunnel und Brücken zerstört. Die Straßen werden bald wiederhergerichtet, die Schienen dagegen zu Baumaterial und Reparationszahlungen: Bis März 1947 werden in der Ostzone unter Führung der Sowjetunion 11.800 Kilometer Schienen abgebaut, weit mehr als in den anderen drei Besatzungszonen.

1948: Autogerechte Städte

Beim Wiederaufbau nach dem Krieg orientieren sich deutsche Stadtplaner an der „Charta von Athen“ von 1933. Sie trennt Städte in Gebiete zum Arbeiten, Wohnen und Erholen, zwischen denen „automobile“ Bewohner bequem pendeln können. Hannover wird zum Prototyp. Ab 1948 lässt Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht die stark zerstörte Stadt zu einer „autogerechten“ umbauen – und dafür etliche erhaltene historische Gebäude abreißen.

1950: Auf dem Weg zum Massenfahrzeug

Wirtschaftswunder: In den 1950er-Jahren wächst die Wirtschaft in der Bundesrepublik sehr schnell. Das Auto ist ein Symbol des Aufschwungs, von 1950 bis 1953 verdoppelt sich die Zahl der Fahrzeuge in Westdeutschland auf mehr als eine Million. Auch die DDR-Führung will neue Pkw-Typen bauen: den „Wartburg“ für gehobene Ansprüche und den Kleinwagen „Trabant“. Wer ein Auto kaufen will, muss sich allerdings auf jahrelange Wartezeiten einstellen.

1953: Abbau von Straßenbahnen

Westberlin beschließt, seine Straßenbahn abzuschaffen. Eine radikale Verkehrswende: Die Tram transportiert damals rund zwei Drittel aller Fahrgäste. Aber in vielen westlichen Metropolen gilt sie als Auslaufmodell. Die Stadt soll schneller werden und künftig auf Autos und Busse setzen.

1955: Steuern fördern die Autokultur

Erstmals gibt es eine Pendlerpauschale: Wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, bekommt 50 Pfennig pro Kilometer. Ab März 1960 werden die Einnahmen aus der Mineralölsteuer zum Bau und Erhalt von Bundesstraßen eingesetzt: Je mehr Autos fahren, desto mehr Straßen werden gebaut. Das westdeutsche Schienennetz dagegen wird seit Ende der 1940er zurückgebaut. In der DDR ist die Schiene wichtiger, weil weniger private Autos fahren. Aber auch dort fehlen ab den 1970er- Jahren die Investitionen.

1966: Der öffentliche Raum als Parkplatz

Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest: Es gibt ein Recht auf öffentliches Parken. In den Folgejahren steigen die Pkw-Zulassungen rasant an, parkende Autos prägen das Straßenbild. Das Urteil gilt bis heute.

1970: Höchststand Verkehrstote

Auf westdeutschen Straßen sterben 19.193 Menschen, Rekord in der Bundesrepublik. Und Anstoß für Maßnahmen wie Helm- oder Gurtpflicht.

1973: Limitiertes Tempolimit

Der Jom-Kippur-Krieg im Nahen Osten löst eine Ölkrise aus. Die BRD erlässt das „Energiesicherungsgesetz“: vier autofreie Sonntage, sechs Monate Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Der ADAC startet eine Gegenkampagne („Freie Bürger fordern freie Fahrt!“), prompt wird das Tempolimit für Autobahnen wieder aufgehoben. Auf Landstraßen gilt seitdem Tempo 100. Bis heute ist Deutschland das einzige Land, in dem auf Autobahnen kein generelles Tempolimit gilt.

1977: Wirtschaftsspitze

In der BRD macht der „Straßenfahrzeugbau“ erstmals mehr Umsatz als der Maschinenbau. Die Automobilindustrie bleibt die wirtschafts stärkste Industrie des Landes, 2023 erzielt sie einen Umsatz von 564 Milliarden Euro.

1989: Der „Kat“ kommt

Das Waldsterben besorgt die Deutschen, umweltschädliche Abgase sollen reduziert werden. Ab dem 1. Januar 1989 muss jeder Neuwagen einen Katalysator haben.

1991: Deutsche Auto-Einheit

Um die neuen mit den alten Bundesländern zu verbinden, sollen sieben Autobahnen gebaut werden. Streckenlänge: rund 2.000 Kilometer. Kosten: rund 17 Milliarden Euro. Heute, 33 Jahre später, sind die Arbeiten weitgehend abgeschlossen. Im Zuge der Einheit entstehen auch neun neue Bahnstrecken. Und 1994 schließen sich Bundesbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn zusammen. Der Start ist holprig: Beide Bahnen sind stark verschuldet.

2009: Abwrackprämie

Die Finanzkrise bringt auch die Autokonzerne in Schwierigkeiten. Der Staat versucht zu helfen: Er zahlt 2.500 Euro Abwrackprämie an alle, die ihr altes Auto gegen einen (saubereren, die Prämie heißt offiziell Umweltprämie) Neuwagen tauschen.

2018: Rekordbeschäftigung

Rund 834.000 Menschen arbeiten in der Automobilindustrie, so viele wie nie zuvor. Bis 2023 sinken die Zahlen wieder: zum einen, weil Elektroautos weniger Teile und Arbeitskräfte benötigen, zum anderen, weil die Produktion ins Ausland abwandert. Nach China zum Beispiel, wo seit 2018 mehr Fahrzeuge deutscher Hersteller gebaut werden als in Deutschland

2021: Autonomes Fahren

Mit dem „Gesetz zum autonomen Fahren“ ist Deutschland das erste Land, das selbstfahrende Fahrzeuge in bestimmten Bereichen des Straßenverkehrs erlaubt. Bis sie tatsächlich herumfahren, wird es aber noch dauern.

2022: E-Förderung

Eine Million zugelassene Elektrofahrzeuge: Deutschland erreicht dieses Ziel zwei Jahre später, als der „Nationale Entwicklungsplan Elektromobilität“ vorsieht. Bis 2030 sollen es mindestens 15 Millionen E-Autos sein. Aber im Winter 2023 wird die staatliche Förderung für E-Autos erst mal gestoppt.

2023: (Gescheiterte) Verkehrsreform

Eine große Reform der Straßenverkehrsordnung soll den Vorrang des Autos aufheben und Maßnahmen zum Schutz von Umwelt und Klima, von Fußgängern und Radfahrenden erleichtern. Die Reform wird im Bundestag beschlossen, aber im Bundesrat von einigen Landesregierungen blockiert.

Dieser Beitrag ist im fluter Nr. 92 „Verkehr” erschienen. 
Das ganze Heft findet ihr hier.

Titelbild v. l. n. r.: National Motor Museum/Heritage Images/IMAGO, Rust/IMAGO, Frinke/IMAGO,  imagebroker/IMAGO, MiS/IMAGO, Sylvio Dittrich/IMAGO, Gerhard Leber/IMAGO, blickwinkel/IMAGO, Steinach/IMAGO

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