Die Klimakrise bietet alles, wonach ein „gutes Buch“ verlangt: ungelöste Probleme, Existenzangst, eine ordentliche Portion Zeitdruck: Werden wir die Erderwärmung aufhalten können, bevor wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen?
„Climate-Fiction“ hat diese Grundzutaten erkannt. „Cli-Fi“ beschäftigt sich literarisch mit der Klimakrise und ihren Folgen, sie verbindet menschliche Schicksale und Empfindungen mit dem Zustand des Planeten. Sie spielt meist in der nahen Zukunft, in der die Folgen der Klimakrise auch für westliche Gesellschaften deutlich zu spüren sind. Enger lässt sich Cli-Fi kaum definieren: So wie die Krise die Literatur wandelt, wandelt sich die Literatur mit der Krise. Die Texte, die unter dem Label Climate-Fiction erscheinen, werden immer verschiedener. Laut einer Definition des Berliner Climate Fiction Festival ist Cli-Fi kein eigenes Genre, sondern eher eine Strömung.
Der Name lehnt sich an Science-Fiction an, kurz Sci-Fi. Das passt: Auch der Science-Fiction gelten Naturkatastrophen und Massenemigration seit jeher als perfekte Stoffe. Klassische Sci-Fi spielt aber oft in einer dystopischen Zukunft, in der die Gründe für den Niedergang der Menschheit klar benannt oder beschrieben sind, sei es der Ausbruch eines Weltkrieges oder einer Seuche. Hier zeigt sich eine der Schwierigkeiten für das Klima-Erzählen: Für die Krise sind viele Menschen über einen langen Zeitraum verantwortlich. Und retten kann uns kaum ein Mensch allein, sondern nur das Kollektiv.
„Es ist sehr schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, in der nicht alle Romane auf die eine oder andere Art Klimaromane sind“
Themen wie Umwelt oder Klima werden natürlich schon lange literarisch verarbeitet. In „Heat“ ließ Arthur Herzog einen Wissenschaftler 1977 vor der kritischen Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre warnen, Jahrzehnte später machten T.C. Boyle („Ein Freund der Erde“, 2000) oder die große Margaret Atwood („Oryx and Crake“, 2003) ihre Leserschaft mit der Klimakrise bekannt; nur dass damals noch niemand von Climate-Fiction sprach. Gebraucht wird der Ausdruck seit den frühen 2010er-Jahren. Neu an heutiger Cli-Fi ist aber auch, dass sie die Klimakrise nicht mehr als hypothetische Apokalypse oder ferne Zukunft beschreibt (wie der gerade für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman „Auf See“ von Theresia Enzensberger), sondern die Konsequenzen der Klimakrise real und aktuell macht.
Wie zum Beispiel im „Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson (deutsche Erstausgabe von 2021). Robinson betraut eine fiktive UN-Behörde mit der Bewältigung der Klimakrise im Jahr 2025, der Roman wurde ein Publikumserfolg. Und widerlegte viele Verlage, denen Climate-Fiction als „Kassengift“ gilt. Angesichts der existenziellen Krise ist das eine Ironie, die mancher in der Szene selbst einräumen muss. „Es ist sehr schwierig, sich vorzustellen, wie ein Klimawandelroman aussehen müsste“, sagte zum Beispiel der Schriftsteller Jonathan Safran Foer. „Aber es ist auch sehr schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, in der nicht alle Romane auf die eine oder andere Art Klimaromane sind.“
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Sind wir noch zu retten? Ja, sagt Jessica Strefler, die Klimamodelle berechnet, im fluter-Podcast
Wie kann es dann sein, dass Klimaerzählungen in der Literatur immer noch literarische Randerscheinungen sind? „Vielleicht weil das Thema meist in der Sprache der Politik, der moralischen Anklage, der Verleugnung oder eines vernagelten Beharrens auf Lebensweisen und Privilegien verhandelt wird“, sagt Roman Ehrlich. Und Literatur sei eben selten gut, wenn sie ihre politische Agenda zu klar vor sich herträgt. In seinem Roman „Malé“ (2020) beschreibt Ehrlich die apokalyptische Stimmung auf den Malediven, die dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fallen. Trotzdem würde er seine Bücher nicht als Climate-Fiction labeln. Als Genre interessiere ihn das nicht sonderlich, sagt Ehrlich. „Aber Bücher zu schreiben, die ganz blind sind für die reale Welt, fände ich genauso uninteressant.“
Erste Studien untersuchen, ob sich Cli-Fi-Lektüre auf das Klimabewusstsein auswirkt. Bislang ohne klare Ergebnisse. Warum, könnte eine Umfrage aus den USA zeigen: Laut der sind Cli-Fi-Leser:innen klimabesorgter, denken also eher über die ökologische Zukunft und ihr Zutun nach als Nichtleser:innen. Andererseits kann unter den teils stark negativen Emotionen, die die Cli-Fi weckt, das persönliche Engagement leiden.
Dass sich Cli-Fi hierzulande nur langsam durchsetzt, hat vielleicht noch einen anderen Grund: Andere Teile der Welt spüren die Krisensymptome der globalen CO2-Kultur länger und unmittelbarer. Dadurch sind sie auch in der jeweiligen Literatur verbreiteter. In den Romanen des indischstämmigen Schriftstellers Amitav Ghosh zum Beispiel kann man von riesenhaften Bohrwürmern lesen, die das Fundament Venedigs bedrohen, weil ihnen die gestiegene Wassertemperatur so sehr zusagt. Oder von einer Flüchtlingsmafia, deren Menschenhandel unter der massenhaften Klimaflucht erblüht. Er komme aus einem Teil der Welt, sagte Ghosh einmal der Deutschen Welle, in dem man nie rosige Erwartungen an die Welt und die Zukunft hatte. „Wir wussten, dass es viele Veränderungen geben würde, und erlebten diese Veränderungen hautnah“, so Ghosh. „Menschen im Westen, glaube ich, wird der Glaube an Stabilität und ein Zukunftsversprechen mitgegeben. Das war bei mir nie so.“
Climate-Fiction kann Perspektiven verschieben: Das Ökologische, das Strukturelle, das Abstrakte dringt ins Persönliche ein und umgekehrt. So auch in Kanada, wo Romane von First-Nations-Autor:innen immer beliebter werden. Während sie vom Leben im hohen Norden erzählen, kommen sie um die Klimakrise oft kaum herum – zu offensichtlich ist das Verschwinden des Eises in ihrer Heimat. Oder in Australien: Mit den Buschbränden der vergangenen Jahre ist dort deutlich mehr Cli-Fi erschienen. Kein Wunder: Von wo ließe sich besser von der Klimakrise erzählen als an einem der (schon heute) lebensfeindlichsten Orte der Welt?
Titelbild: Middle East Images/laif