
Und dran bist ... du!
Zwei junge Menschen. Und eine Frage, die in Tausenden Familienbetrieben drängt: Wer übernimmt?
Dass er mal im selben Büro sitzt wie sein Vater, an dem Schreibtisch Rechnungen stellt, an dem sein Onkel 30 Jahre lang abrechnete, das hätte sich Niclas Lippke als jugendlicher Schulverweigerer nicht träumen lassen. Und dann noch als Chef seiner eigenen Firma. Aber der Reihe nach.
Vom Drop-out zum Inhaber: Niclas
Anfang der 1990er-Jahre, Hamburg. Ein junger Tischler aus dem Schwarzwald gründet eine Firma. Zusammen mit seinem Bruder, einem Zimmerermeister. Volles Risiko. Die ersten Monate sitzen die beiden mit wachsenden Schulden und schwindender Hoffnung vor dem Telefon. Aber irgendwann kommen die Aufträge. Die Firma Härle + Härle läuft. Und sie läuft bis heute.
Mit ihr ist Niclas Lippke, der Sohn des Tischlers, aufgewachsen. Als Kind ist er oft in der Werkstatt, um zu basteln. In der Schule sei seine größte Leistung das Sammeln von Fehlzeiten gewesen, erzählt Niclas heute. „Ich bin ein Vorzeigemodell fürs Versagen des deutschen Schulsystems.“ Er eckte an, ließ sich ungern sagen, was er zu tun hat. Das Drama endete nach mehreren Schulwechseln und einer Lehrerin, die ihm ein Leben in der Gosse prophezeite, mit einem frustrierten Abgang zum frühestmöglichen Zeitpunkt: Hauptschulabschluss mit 15.
Seine Mutter war nicht begeistert. Sein Vater auch nicht. Aber er sagte: „Mach, was du willst. Aber mach was.“ Also ging Niclas ins Praktikum: Klempnerei, Dachdeckerei, Zimmerei, alle boten ihm einen Ausbildungsplatz an. Die Zimmerei mit den Großbaustellen, schweren Maschinen und der Arbeit im Freien gab ihm am meisten. Niclas begann seine Ausbildung. „Zum ersten Mal habe ich einen Nutzen in dem gesehen, was mir beigebracht wurde“, sagt er. Mathe war nicht mehr hohles Auswendiglernen von Regeln, sondern ein Werkzeug, um den Materialbedarf oder die Statik von Häusern zu berechnen.
Drei Jahre später war er Geselle. Sein Chef war fair, aber die Arbeit eintönig. Niclas merkte, dass es das noch nicht gewesen sein konnte. „Nur weil mir Abitur und diese ganze Schullaufbahn scheißegal waren, heißt das ja nicht, dass ich keine Ambitionen habe.“ Es traf sich, dass sein Onkel zu dieser Zeit, 2019, einen Gesellen suchte. Seine Zimmerei machte die Projekte, die Niclas interessierten, knifflige Sanierungen statt der immer gleichen Dachstühle. Am Küchentisch vereinbarten sie einen Deal: zehn Prozent mehr Lohn, morgen geht’s los. Niclas’ einzige Bedingung: „Ich will den Meister machen.“
Dass ihn sein Onkel und nicht der Vater ins Familienunternehmen holte, habe geholfen, sagt Niclas. Er habe ein gutes Verhältnis zu seinem Vater, aber ein bisschen familiärer Abstand sei ihm recht. Ob er oder sein Bruder den Betrieb mal übernehmen könnten, war nie ein Thema. Dafür arbeitete der Vater selbst zu gern und wusste zu gut, dass sich Niclas zu nichts zwingen lässt.
Der kehrte nach einem Jahr als Meister in die Zimmerei des Onkels zurück – und merkte, dass ihm das noch nicht reichte. Der Onkel hatte angedeutet, kürzertreten zu wollen, das Thema Nachfolge lag in der Luft. Aber – wie das in Familien so ist – es wurde nicht konkret besprochen. Da waren vage Hoffnungen bei Niclas, unausgesprochene Erwartungen beim Onkel, es fehlten: Verbindlichkeit, ein Plan und vor allem ein Termin.
Laut einer Umfrage unter 47 Handwerkskammern war schon 2020 fast jeder vierte Betriebsinhaber im Handwerk über 60. Schätzungsweise 125.000 Firmen müssen derzeit ihre Nachfolge regeln. Die meisten wollen innerhalb der Familie oder Belegschaft übergeben.
Niclas wurde ungeduldig. Ohne seiner Familie etwas zu sagen, ging er zu einer Beratung für Unternehmensübergaben bei der Handwerkskammer. Dort traf er auf seinen Nachfolgelotsen. Der ihm zu einem klaren Schnitt riet: Niclas sollte dem Onkel die Zimmerei abkaufen. Zu einem festen Datum und zu einem fairen Preis, festgelegt von einem Unternehmensberater der Handwerkskammer, der die Interessen beider Seiten vertritt.
Der Onkel willigte ein. Und plötzlich stand da eine Zahl, dank der Niclas die Höhe seines Einsatzes kannte und der Onkel ein Preisschild für sein Lebenswerk bekam. Niclas lieh sich das Geld bei Verwandten und kam ohne einen Bankkredit aus. Kurz vor Weihnachten 2024 unterschrieb er den Kaufvertrag. Da war er 26 Jahre alt.
Im Januar 2025 betritt Niclas die Firma Härle + Härle zum ersten Mal als Chef. „Eine ordentliche Realitätsklatsche“, sagt er. Plötzlich ist er verantwortlich für drei Mitarbeiter. Sein Onkel hat sich aus dem Tagesgeschäft in der Zimmerei zurückgezogen. Wirtschaftliche Entscheidungen fällt Niclas zusammen mit seinem Vater, der noch die Tischlerei der Firma leitet. Und um deren Modernisierung muss sich Niclas jetzt kümmern: Allein die Homepage war so aus der Zeit gefallen, dass sie schon fast wieder gut war. Bald will er sich die Schrankwand vornehmen, in der sich Kataloge der vergangenen Jahrzehnte stapeln. „Steht mittlerweile alles online“, sagt Niclas. „Und viele der Firmen gibt es gar nicht mehr.“ Auf vier Tage Baustelle kommt für ihn gerade ein Tag Büro. Um den Betrieb zu modernisieren, will Niclas das Verhältnis langsam umdrehen. Die Auftragsbücher sind gefüllt, daran scheitert es nicht, sein Problem sind die Mitarbeitenden: Er findet keine neuen.
Dass Elisabeth Krainer was mit Medien und Computern in München macht statt mit Wurst und Fleisch in Leibnitz, ihrem österreichischen Heimatort, das nimmt ihr keiner in der Familie übel. Was auch daran liegen mag, dass ihr Großvater, der den Betrieb gegründet hat, nicht mehr lebt. Und dass man nicht alles hört, was da in Leibnitz so hinter vorgehaltener Hand geredet wird über den Wegzug der Krainer-Tochter.
Danke, aber nein danke: Elisabeth
Die Nachfolge war nie Thema in ihrem Elternhaus. „Aber ich wurde oft genug darauf angesprochen“, sagt Elisabeth. Nicht selten waren es die Mitarbeitenden, die fragten, wann sie den Vater auf dem Chefsessel beerben wolle. Sie bügelte solche Fragen immer ab, verstehen konnte sie das Interesse aber schon. Schließlich ist hier nicht von einem Zweimannbetrieb die Rede, sondern von einem Unternehmen mit 140 Mitarbeitenden, Abnehmern in Mittel- und Südosteuropa, Lagerhallen und einer Lkw-Karawane, die schon früher jeden Morgen an Elisabeths Kinderzimmerfenster vorbeifuhr.
Gegründet hat die Firma Franz Krainer, Elisabeths Großvater, 1959. Es waren Boomjahre, auch für Fleisch. Das Geschäft lief fast vom ersten Tag an rund, Mitte der Achtziger produzierte der Betrieb jedes Jahr laut eigenen Angaben rund 5.000 Tonnen Fleisch- und Wurstwaren, die in ganz Österreich verkauft wurden und bald auch darüber hinaus. Eine eigene Schlachterei gibt es heute nicht mehr, das Fleisch wird zugekauft und dann verarbeitet.
Beim Großvater galt das gesprochene Wort. Wem er die Hand gab, dem musste das genügen. Die langjährige Belegschaft war fast Teil der Familie. Wenn einer in Not war, schaute der Senior, was sich machen ließ. Alte Schule eben. Zu der gehört allerdings auch, dass der Sohn eines Fleischers ein Fleischer wird. So lernte Vater Krainer im elterlichen Betrieb das Fleischerhandwerk, wurde Geselle, Meister, Lebensmitteltechniker. 1994 übernahm er die Firma.
Er bekam zwei Töchter. Aber die Welt hatte sich weitergedreht: Heute ist es für viele Frauen einfacher, eine Firma zu leiten, nur genießt die Branche nicht mehr den besten Ruf. Wo der Großvater als wichtiger Arbeitgeber und Ernährer der Region galt, muss sein Sohn sich zu Tierwohlfragen, Umweltauflagen und Lohndumping verhalten. Er ließ seinen Töchtern die Wahl. Keine von beiden übernahm den Laden.
Unanständig findet Elisabeth das Fleischereigewerbe nicht. „Aber es ist schon eine eher brachiale Umgebung, ein Versorgungsbetrieb eben. Da habe ich mich nicht gesehen, ich wollte lieber was Kreatives machen und die Welt sehen.“ Elisabeths Eltern sind fit. Wann sie kürzertreten, ob sie ans Verkaufen denken, wer ihnen nachfolgen könnte? Auch darüber wird nicht konkret gesprochen.
Elisabeth bereut ihre Entscheidung nicht. Sie ist 32 und genießt ihre Freiheit, während sich die Eltern im Jahr kaum mehr als eine Woche Urlaub gönnen. Den sie jederzeit abbrechen, wenn es der Betrieb verlangt. Als Schülerin arbeitete Elisabeth in den Ferien mit, klebte Etiketten, verpackte Würste, Schichtbeginn sechs Uhr, Akkordarbeit. Sie sah früh, was es heißt, für Mitarbeitende verantwortlich zu sein: viel Anerkennung, aber mindestens genauso viele Sorgen. Irgendwo klemmt’s immer. „Ich glaube nicht, dass ich mit dem Druck so gut klargekommen wäre wie meine Eltern“, sagt Elisabeth.
Trotzdem hat sie ein schlechtes Gewissen, wenigstens ein bisschen. Geld war zu Hause nie knapp, dank der Firma. Aber aus Dankbarkeit für eine finanziell behütete Kindheit die eigenen Karrierewünsche begraben? Auch nicht richtig. „Immerhin verschafft es mir einen gewissen Druck, das Beste aus meinen Möglichkeiten zu machen.“ In welchem Beruf auch immer.
Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.
Illustration: Anny Peng