Unternehmen mit Sitz in Deutschland müssen nachweisen, dass keiner ihrer weltweiten Zulieferer die Menschenrechte verletzt. Diese Regelung klingt so vernünftig, dass schwer nachzuvollziehen ist, warum sie jetzt erst Gesetz wird – und warum monatelang um das sogenannte Lieferkettengesetz gestritten wurde.
Fakt ist, dass das Gesetz die Arbeit der Produzenten aufwendiger macht: Viele Firmen müssen etwaige Verstöße zum ersten Mal festhalten und melden, daneben präventive Maßnahmen wie Kontrollen, Schutzmaßnahmen und Beschwerdemöglichkeiten für Arbeiter einführen. Wer das nicht tut, riskiert hohe Bußgelder – bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Das sind bei großen Händlern schnell sechs- bis siebenstellige Beträge.
Blindes Vertrauen gibt’s (leider) auch mit Lieferkettengesetz nicht
Anfang Juni hat der Bundestag dem Lieferkettengesetz zugestimmt, ab 2023 sind damit rund 600 große Unternehmen (mehr als 3.000 Mitarbeiter) an das Gesetz gebunden, ab 2024 liegt die Grenze bei 1.000 Mitarbeitern. Damit gilt das Lieferkettengesetz ab 2024 für knapp 3.000 Unternehmen in Deutschland.
Für viele von ihnen sind verbindliche Sozial- und Umweltschutzkriterien Neuland. Andere verordnen sich schon lange freiwillig sogenannte Corporate-Social-Responsibility-Regeln, die manchmal auch faire Lieferketten einschließen, oder bemühen sich um Nachhaltigkeits- und Fair-Trade-Siegel für ihre Produkte. Wird das ab 2023 alles überflüssig? Kann man Großunternehmen aus Deutschland dann blind vertrauen, weil das Lieferkettengesetz für faire, nachhaltige Standards sorgt? Schon am Beispiel der Produktionsschritte für ein Paket Kaffee sieht man: So einfach ist es leider nicht.
Schritt 1: Anbau und Ernte
Wer Kaffeebohnen anbauen will, tut das am besten auf dem sogenannten Kaffeegürtel. Rund um den Äquator, zum Beispiel in Brasilien, herrschen ideale klimatische Bedingungen. Bei den Arbeitsbedingungen sieht das anders aus: Laut einer Studie von Fairtrade Deutschland arbeiten Familien, die Kaffee anbauen und pflücken, oft unter prekären Bedingungen und beziehen Löhne, die bis zu 40 Prozent unter dem Lohn liegen, der im jeweiligen Land als existenzsichernd gilt. Auf manchen Plantagen arbeiten Kinder. Sobald das Lieferkettengesetz in Kraft tritt, dürfen deutsche Unternehmen solche Missstände nicht mehr ignorieren oder tolerieren. Sie müssen ihre Lieferkette genau kennen, Risiken, mögliche Verstöße und auch ihre Schutzmaßnahmen dokumentieren. Am Ende des Geschäftsjahrs muss jedes Unternehmen dazu einen frei zugänglichen Bericht veröffentlichen.
Schritt 2: Aufbereitung der Kaffeekirschen
Kaffeekirschen müssen innerhalb weniger Stunden nach der Ernte verarbeitet werden. Deshalb startet die Kaffeeproduktion direkt an der Plantage oder bei einer nahegelegenen Kooperative, also einem genossenschaftlichen Zusammenschluss von Kleinbauern. Die Kirschen werden dabei häufig nassaufbereitet: Eine Maschine trennt Fruchtfleisch und Bohnen, die anschließend in Wasser gären, bevor sie in Heißluft trocknen. Das verbraucht Strom und viel Wasser. Hier kann das Lieferkettengesetz einiges ändern: Denn Unternehmen müssen auch Umweltrisiken verhindern, die zu Menschenrechtsverletzungen führen können. Kaffeebauern können ihr Abwasser also nicht länger einfach in einen Fluss leiten und so das Trinkwasser verschmutzen, sondern müssen es ordentlich entsorgen.
Schritt 3: Transport des Rohkaffees
Nur sehr hochwertiger Kaffee lagert in Säcken auf den Containerschiffen, rund 80 Prozent kommen als loses Schüttgut in die Importländer. Etwa drei Wochen lang schippert der Kaffee dann zum Beispiel von Südamerika nach Hamburg oder Bremen. Auch hier gilt künftig: Die Arbeiter auf dem Schiff müssen unter Bedingungen arbeiten, die nicht die Menschenrechte verletzen. Das ist nicht immer der Fall – wie Menschenrechtsorganisationen und Journalisten berichten.
Schritt 4: Ankunft in Deutschland
Wenn der Kaffee in einem deutschen Hafen ankommt, geht er nach einer Qualitätsprobe entweder direkt an den jeweiligen Kaffeehersteller, zum Großhändler oder in ein Zwischenlager. Das Lieferkettengesetz greift auch, wenn ein Kaffeeunternehmen den Kaffee nicht direkt vom Bauern, sondern bei einem Zwischenhändler kauft. Es muss dann dafür sorgen, dass die Zwischenhändler sich ebenfalls an das Lieferkettengesetz halten – und zwar unabhängig davon, wie viele Mitarbeiter der Zwischenhändler beschäftigt. Das Gesetz lässt sich also nicht mit kleinen Subunternehmern umgehen. Trotzdem hat es Lücken (siehe Infokasten zur Kritik am Gesetz): Die Neumann Kaffee Gruppe (NKG) etwa muss sich mit ihren 2.600 Mitarbeitern erst ab 2024 an das Lieferkettengesetz halten – dabei vertreibt die NKG als weltweit größter Rohkaffeedienstleister rund zehn Prozent des weltweit verkauften Kaffees.
Für Unternehmen in Deutschland, die über solche Händler einkaufen, ist das ein Problem: Sie müssen sicherstellen, dass sich der Händler schon jetzt ans Gesetz hält, obwohl er das eigentlich noch nicht müsste. „Unter das Gesetz fallende deutsche Konzerne werden künftig Verträge mit kleineren Lieferanten schließen müssen, in denen diese sich verpflichten, sich an das Lieferkettengesetz zu halten“, sagt Friedel Hütz-Adams von Südwind, einem Verein für Weltwirtschaftsfragen, der ein solches Lieferkettengesetz seit langem fordert.
Kritik am Lieferkettengesetz
Schritt 5: Röstung
Selbst große deutsche Firmen rösten in Hamburg, Berlin oder München und nicht im billigeren Ausland. Denn die Röstung ist essenziell für den Geschmack und geht auf langen Transportwegen verloren. Auch die vielen kleinen Manufakturen, die sich in den vergangenen Jahren vor allem in Großstädten niedergelassen haben, rösten ihren Kaffee selbst. Zum Beispiel die Kölner Kaffeerösterei Van Dyck, die ihren Fairtrade-Bio-Kaffee von Kooperativen bezieht, in eigenen Hallen röstet und sich mit ihren 25 Mitarbeitern nicht ans Lieferkettengesetz halten muss. Verlieren solche kleine Röstereien ihren Wettbewerbsvorteil, wenn die Big Player bald auch mit einer fairen Lieferkette werben können? Martin Keß, der Inhaber von Van Dyck, glaubt das nicht. „Erstens halten wir uns an weitaus strengere Richtlinien als die bald gesetzlich vorgegebenen“, sagt er. „Zweitens wird unser Kaffee auch weiterhin teurer sein als der von konventionellen Kaffeeherstellern. Das sind zwei ganz unterschiedliche Marktsegmente.“ Heißt für den Trinker: Wenn beim kleinen lokalen Röster keine Siegel wie Bio oder Fairtrade auf der Kaffeepackung sind, muss er im Zweifel selbst nachhaken, unter welchen Bedingungen der Kaffee produziert wird.
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Mit dem Lieferkettengesetz müssen sich deutsche Unternehmen auch ihre Produktionsstandorte in der chinesischen Provinz Xinjiang genauer ansehen – wo Hunderttausende Uiguren eingesperrt und als Zwangsarbeiter eingesetzt werden
Schritt 6: Verkauf
Kaffee ist seit Jahren das Lieblingsgetränk der Deutschen. 2020 ist der Konsum trotz coronageschlossener Cafés und Restaurants noch mal gestiegen, auf 168 Liter pro Kopf. Das sind rund 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Viel Geld geben die Deutschen aber nicht aus für ihr Lieblingsgetränk – und sind damit nicht allein. Aktuell wird ein Kilo Kaffee an der Börse für weniger als drei Euro gehandelt. Unter dem niedrigen Weltmarktpreis leiden letztlich die Kaffeebauern. Das Lieferkettengesetz käme in erster Linie ihnen zugute – aber auch den Unternehmen, die sich bereits freiwillig an strenge Nachhaltigkeitskriterien halten und deshalb höhere Preise verlangen mussten. Kein Wunder, dass sich auch 42 Unternehmen für das Gesetz eingesetzt haben. Darunter Tchibo, einer der größten deutschen Kaffeehersteller, der sich seit 14 Jahren für Nachhaltigkeit in der Lieferkette einsetzt.
„Das Lieferkettengesetz kann Wettbewerbsverzerrungen beheben“, sagt Julia Thimm, Leiterin der Menschenrechtsabteilung von Tchibo, „sodass Unternehmen, die die Rechte ihrer Produzenten schützen, nicht mehr im Nachteil sind.“ Das heißt nicht, dass sich solche Unternehmen jetzt zurücklehnen können: Ihnen fällt die Einhaltung des Lieferkettengesetzes möglicherweise leichter, an die Stelle selbstauferlegter Regeln tritt aber nun ein Gesetz, statt interner Reportings werden öffentliche Berichte fällig. Fehltritte wären nicht länger ein reiner Imageschaden, sondern strafbar.
Titelbild: Diana Zeyneb Alhindawi / NYT / Redux / laif