Extrem verzierte Fingernägel

Nailed it

Die Nagelstudios sind fest in vietnamesischer Hand. Was weniger an südostasiatischen Traditionen liegt als am Vietnamkrieg – und an einem Hollywoodstar

Text: Alina Schneider und Foto: Marcus Glahn
16. Juni 2025

Es riecht nach Lavendelöl und scharfem Nagellackentferner. Quinni setzt ihre elektronische Feile an. Behutsam feilt sie einen Gelnagel ab, Schicht für Schicht, bis sich zwischen ihr und ihrer Kundin ein Häufchen aus Keratin und Kunststoffstaub angesammelt hat.

Heute ist Quinni eine von drei Nageldesignerinnen im Studio. Die dunklen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden, sie trägt French Nails mit weißen Blüten. Seit mehr als 21 Jahren arbeitet sie als Nageldesignerin: eine Weile selbstständig, inzwischen fest angestellt in einem kleinen Studio in einer Kölner Fußgängerzone. Früher kamen viele Kundinnen mit langen Nägeln und Extrawünschen. Heute setzt Hailey Bieber auf Instagram die Trends. Natürliche Nägel sind wieder angesagt. Auch an diesem Tag bleibt das große Bling-Bling aus. Quinnis Kundin wünscht sich rosa Gelnägel.

60.000 Nageldesignerinnen arbeiten in Deutschland, schätzt Terri Malon vom Verband Nagel Designer Deutschland. Verlässliche Zahlen gibt es nicht: Nageldesignerin ist in Deutschland kein anerkannter Ausbildungsberuf, und ein Nagelstudio kann jeder eröffnen, der ein kleines Startkapital und einen Gewerbeschein hat.

Ein Klischee, fast wie der Döner

Malon schätzt, dass Deutsche mit vietnamesischem Hintergrund zwei Drittel der Studios hierzulande führen. „Vietnamesische Nagelstudios sind ein Klischee geworden. Das ist wie türkischer Döner“, sagt Quinni. Doch während der Kebab tatsächlich aus der Türkei kommt, hat Nageldesign wenig mit vietnamesischer Kultur zu tun.

Ursprünglich kommt die Nagelkunst, wie wir sie heute kennen, aus den USA. Als 1975 der Vietnamkrieg endete, flüchteten mehr als 100.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen in die Vereinigten Staaten. Nach dem Sieg der Kommunisten fürchteten viele Unterdrückung und Folter, andere wollten der Not und dem Hunger im Land entkommen. Die US-Behörden errichteten Unterkünfte für sie. Eine, das „Hope Village“ in Nordkalifornien, gilt als Ursprung der westlichen Nagelkunst: Bei einem Besuch im Village war Tippi Hedren, die mit ihren Rollen in Hitchcock-Filmen ein Star geworden ist, bestürzt über die Lage der Geflüchteten. Hedren wollte helfen. Weil die Vietnamesinnen angeblich so fasziniert von ihren lackierten Nägeln waren, kam sie auf die Idee, die Frauen zu Maniküristinnen ausbilden zu lassen.

Hedren organisierte den Unterricht, in dem die Frauen die Handanatomie, ein paar Sätze Englisch und den Umgang mit Lacken und Feilen lernten. Einige eröffneten bald eigene Salons. Ihr Wissen verbreitete sich unter den vietnamesischen Communitys in den Vereinigten Staaten, später auch in Europa.

Auf Besuchen in den USA eigneten sich Verwandte die Techniken an. So lernte auch Quinnis Mutter über eine Freundin, wie man Nägel macht. Anfang der Nullerjahre eröffnete sie in einem Wolfsburger Internetcafé ein Studio. Quinni war 15 und musste mit anpacken. Für ein paar Euro die Stunde feilte sie Nägel. Die Arbeit war hart: lange Öffnungszeiten, kaum Lohn, mäkelnde Kundinnen.

Heute stehen Nagelstudios häufig wegen schlechter Arbeitsbedingungen in der Kritik. Auch vietnamesischen Studios wird vorgeworfen, miserabel zu bezahlen oder schädliche Materialien zu verwenden. Gegen einige Studios laufen Prozesse wegen Schwarzarbeit, Geldwäsche und Menschenhandel.

Ein Versprechen auf mehr Teilhabe

Doch in den 1990er-Jahren setzten viele große Hoffnungen in die Nagelbranche. Mit den bunten Nägeln wehte ein Hauch American Dream nach Deutschland, auch für Deutschvietnamesen, die oft in schlecht bezahlten Jobs arbeiteten. „Für viele blieb wegen der Sprachbarriere nur Tellerwaschen oder Putzen“, sagt Quinni. Die Nagelbranche war ein Versprechen auf mehr Teilhabe.

Vor allem für Tausende Vietnamesinnen, die als Vertragsarbeiterinnen in die DDR gekommen waren. Viele wurden mit der Wende arbeitslos und drohten so ihr Bleiberecht zu verlieren. Denn sich in Deutschland niederzulassen war für sie bis 1997 eigentlich nur mit selbstständiger Arbeit möglich. Wer nach Vietnam zurückkehrte, bekam sogar eine Abfindung. Ein eigenes Nagelstudio war daher verlockend: Die Kosten sind vergleichsweise gering, Sprachkenntnisse kaum nötig, die Techniken lassen sich schnell lernen, und man kann sie überall ausüben.

Vietnamesische Communitys tragen das Nagelgeschäft bis heute: Studios finden Mitarbeitende, Lieferanten und Kundinnen im eigenen Umfeld. Wer gründen will, bekommt oft Unterstützung aus der Familie und dem Bekanntenkreis. Quinni allerdings blieb nicht lange im Studio ihrer Mutter. Mit 18 zog sie aus und landete über Umwege in Köln. „Da hat der Job zum ersten Mal Spaß gemacht, erzählt sie. Sie bekam Komplimente, manchmal auch Trinkgeld. Plötzlich wurde ihre Arbeit wertgeschätzt.

Bis heute kommt sie deshalb an den meisten Tagen gerne ins Studio. Und freut sich besonders über den Plausch mit ihren Kundinnen. Chrom oder Babyboomer? Gel oder Shellac? Wie läuft‘s mit den Kindern? „Das ist der Teil, den ich an meiner Arbeit besonders mag.“

Cover des fluter-Hefts #95 zum Thema Handwerk
Dieser Artikel ist aus dem fluter „Handwerk“.
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