Rente, Pflege, Klima – Themen, bei denen es viel zu meckern gibt

Rente: Es gibt kaum ein Thema, das zwischen den Generationen für größeren Unmut sorgt als die Rente. Wir haben schließlich jahrelang gebuckelt, sagen die Älteren, da wollen wir in der Rente keine Abstriche machen! Und wer soll das bezahlen?, fragen die Jungen. Denn in Deutschland stehen immer mehr Alte immer weniger Jungen gegenüber, die die Renten mit ihren Beiträgen finanzieren müssen. Im Koalitionsvertrag steht zu diesem Mega-Thema so einiges. Zum Beispiel sieht er für Menschen, die 35 Jahre lang gearbeitet haben, eine Grundrente von zehn Prozent oberhalb der Mindestsicherung vor. Außerdem soll die Rente bis 2025 mindestens 48 Prozent des Durchschnittseinkommens betragen. Wie das staatliche Rentensystem in 20, 30, 40 Jahren noch funktionieren kann, soll eine Rentenkommission mit Vertretern der Sozialpartner, der Politik und der Wissenschaft erarbeiten.

Pflege: Ähnlich verhält es sich beim Thema Pflege. Auch hier gilt: In Zukunft wird es mehr pflegebedürftige Alte geben und weniger Junge, die sie finanzieren können. Und pflegen! Denn die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege laden nicht gerade dazu ein, diesen Job zu ergreifen. Er verspricht niedrigen Lohn bei hoher Belastung. Die Koalition will nun immerhin Pflegekräfte besser entlohnen und 8.000 neue Stellen in der Pflege schaffen.

Klima: Mir reicht’s, ich schmeiß hin: Das dachte sich Energiestaatssekretär Rainer Baake, bisheriger Klimaexperte im Bundeswirtschaftsministerium, als er las, was die neue Große Koalition in Sachen Klima plant. Nämlich nicht viel, so bemängeln es auch andere Umweltexperten. Das Ziel, bis 2020 40 Prozent weniger Treibhausgase in die Luft zu blasen als 1990, haben die Koalitionäre offenbar aufgegeben. Es sollen lediglich Maßnahmen erarbeitet werden, die Lücke zur Erreichung des Ziels weitestmöglich zu schließen. Immerhin: Bis 2030 sollen 65 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien stammen, aktuell sind es 38 Prozent. Ein Datum für den Ausstieg aus der Versorgung mit Kohlestrom steht im Koalitionsvertrag nicht. Und wer muss es ausbaden? Richtig, diejenigen, die noch ein Weilchen auf diesem Planeten leben wollen. So monieren es die vielen Kritiker dieses Kapitels des Koalitionsvertrags.

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Europa, Bildung, Wohnen, Familie – die Lichtblicke

Europa: Ein lautes „Yippie“ zum neuen Koalitionsvertrag kam aus Brüssel. Das erste Kapitel ist nämlich ganz dem Thema Europa gewidmet. Die EU soll stärker werden, einheitlicher, demokratischer, transparenter. Die deutsche Regierung will sich vor allem mit Frankreich über Reformen der Eurozone abstimmen. Der Euro-Rettungsfonds soll zu einem Währungsfonds ausgebaut werden, um Mitglieder zu unterstützen, die in Schwierigkeiten geraten sind. Das lindert ein wenig die Befürchtungen junger Europa-Enthusiasten, die EU könnte nach dem Brexit auseinanderfallen. Offen bleibt aber weiterhin, wer den britischen Anteil am EU-Haushalt übernimmt – die neue deutsche Regierung hat zumindest schon signalisiert, mehr als bisher einzahlen zu wollen.

Bildung: Einen Riesenknaller enthält der Koalitionsvertrag in der Bildung. Er schafft nämlich das sogenannte Kooperationsverbot ab. Bisher durfte der Bund trotz voller Kassen nur bei finanzschwachen Kommunen Gelder zuschießen. Bildung bleibt damit Sache der Länder, aber der Bund könnte größere Projekte wie die Digitalisierung der Schulen finanziell unterstützen und vorantreiben. Zwei Milliarden Euro will die Regierung in den Ausbau der Ganztagsschule stecken, Familien sollen einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter bekommen. Außerdem will die Große Koalition das Bafög ausbauen, für besseres Essen in Schulen und Kitas sorgen und fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung von Schulen bereitstellen. Da sagen diese jungen Leute wirklich mal: Danke!

Wohnen: Auch das Wohnen lässt sich die neue Große Koalition einiges kosten. Familien soll es mithilfe eines „Baukindergelds“ von 1.200 Euro pro Jahr und Kind leichter gemacht werden, eine Immobilie zu bauen oder zu kaufen. Die Mietpreisbremse soll verschärft werden, und zwei Milliarden Euro mehr in den sozialen Wohnungsbau will die Regierung auch stecken. Das hilft neben Familien auch jungen Menschen mit geringem Einkommen, wie zum Beispiel Studenten oder Alleinerziehenden.

Familien: Für Familien gibt es weitere gute Nachrichten. Das Kindergeld soll um 25 Euro im Monat erhöht werden. Eltern, die wegen ihrer Kinder ihre Arbeitszeit verringern, sollen einen Anspruch auf eine zuvor festgelegte Rückkehr in Vollzeit bekommen – allerdings hängt der Rechtsanspruch von der Unternehmensgröße ab. Und: Kinderrechte sollen im Grundgesetz verankert werden.

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Digitales, Arbeit, Gesundheit, Migration – hohe Erwartungen, viele Kompromisse

Digitalisierung: Auch bei einem Thema, das der jungen Generation besonders am Herzen liegt, soll es endlich vorangehen: der Digitalisierung. Bis 2025 soll es überall in Deutschland Gigabit-Internet geben. Außerdem sollen Bürger nicht mehr stundenlang in Behörden anstehen müssen, sondern online aufs Amt gehen können. Kritiker sagen allerdings: Große Versprechungen zur Digitalisierung hat’s im vergangenen Koalitionsvertrag auch schon gegeben. Passiert ist zu wenig. Internet mit 50 Mbit pro Sekunde liegt vielerorts in Deutschland immer noch in weiter Ferne. Digitalexperten hätten daher gerne ein eigenes Ministerium gehabt, das sich um diese wichtigen Fragen kümmert. Doch sie wurden enttäuscht. Einerseits. Andererseits besänftigte eine Personalie einige Kritiker: Dorothee Bär, als CSU-Netzexpertin über die Parteigrenzen hinweg respektiert, soll Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt werden. Sie gilt unter anderem als Kennerin und Förderin der Computerspielbranche. Da freut sich der Gamer. Zuletzt hat sie allerdings einigen Spott im Netz geerntet, als sie in einem Interview mit Marietta Slomka über Breitbandinternet in ländlichen Regionen von einem Flugtaxi sprach.

Arbeit: Hart haben sich die Koalitionäre über das Thema Arbeit gestritten. Die SPD wollte verbieten, dass Arbeitgeber die Arbeitsverträge ohne Grund befristen. Eine Praxis, die vor allem Berufsanfängern vertraut ist. Diesen jungen Leuten eben. Die fragen: Wie soll ich denn eine Familie gründen, wenn ich nicht mal weiß, ob ich nächstes Jahr noch einen Job habe? Am Ende landete ein Kompromiss im Koalitionsvertrag. Die sachgrundlosen Befristungen wurden eingeschränkt, aber nicht ganz abgeschafft.

Migration: Und schließlich gerieten sich die Koalitionäre noch über das Thema Migration und Flüchtlingspolitik mächtig in die Haare. Es ging dabei hauptsächlich um die Frage, ob Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus ihre Familien nachholen dürfen. Das sind zum Beispiel Menschen, die aus einem Bürgerkriegsland nach Deutschland kommen, aber in ihrer Heimat nicht persönlich verfolgt werden. Viele davon sind Minderjährige, die nun ohne ihre Eltern in Deutschland leben. Der Kompromiss im Koalitionsvertrag sieht so aus: Ab August sollen pro Monat 1.000 Familienangehörige nachkommen dürfen, über Härtefälle wird gesondert entschieden. Insgesamt soll die Zuwanderung sich aber pro Jahr in einer Spanne von 180.000 bis 220.000 Personen bewegen. Um Migration besser steuern zu können, wollen Union und SPD ein Zuwanderungsgesetz erarbeiten. Damit könnten hochqualifizierte Fachkräfte einfacher legal nach Deutschland einreisen.

Das Personal: Geht’s auch mal ein bisschen jünger?

Wie immer in der Politik geht’s in der Diskussion über die neue Große Koalition nicht nur um Inhalte. Sondern auch darum: Wer setzt die Inhalte um? Hier sind sich Jusos und Junge Union ausnahmsweise mal einig: Ein Generationenwechsel muss her!

Ein Ziel haben die jungen Mitglieder der Union bereits erreicht: Neben der schon erwähnten Staatsministerin Dorothee Bär, 39 Jahre, wird auch Merkel-Kritiker Jens Spahn von der CDU, 37 Jahre, im Kabinett sitzen. Und zwar als Gesundheitsminister. Die Jusos hingegen müssen noch ein wenig warten, bis sie erfahren, wer den von ihnen kritisierten Koalitionsvertrag in der Regierung umsetzen darf. Oder je nach Position: muss.

Illustration: Bureau Chateau / Jannis Pätzold