fluter: Hallo, Frau Meyer. Wie groß war denn früher der Respekt vor den Eltern?
Frau Meyer: Na, der war schon groß. Wenn ich damals meinem Vater widersprochen hätte, hätte der nur gesagt: „Dir bring ich gleich Respekt bei!“ Ich will deshalb nicht behaupten, dass es damals besser war. Wir haben vielleicht sogar zu sehr gemacht, was gewollt wurde. Aber besser, als keinen Respekt zu haben, ist es allemal.
Durften Sie als junger Mensch die Autorität der Älteren infrage stellen?
Dafür gab es damals gar keine Gelegenheit. So eine Situation wie heute, dass man alles hinterfragt, gegen alles ist und alles angreift, das gab es in meiner Jugend nicht. Die Frage hat sich gar nicht gestellt.
Blieb da nicht die Achtung vor Ihren Wünschen auf der Strecke?
Ich durfte zum Beispiel keinen eigenen Beruf haben. Mein Vater hat mich in seinem Betrieb, in dem Baumaterial verkauft wurde, gebraucht, und es war gar keine Frage, ob ich da mithelfe. Ich habe im Büro gearbeitet und habe das gar nicht hinterfragt.
Wie war das bei Ihnen mit dem Verhältnis der Geschlechter untereinander?
Unsere Männer waren damals alle im Krieg, und wir waren daheim allein. Nach dem Krieg haben mein Mann und ich zusammengearbeitet. Wir waren selbstständig und hatten unseren Betrieb und den Haushalt in einem Haus. Auch meine Eltern haben, als sie älter wurden, mit uns in dem Haus gewohnt. Und es war ganz klar, dass man sich um die Eltern bis zu ihrem Tod kümmert. Das war selbstverständlich. Heute sieht es in den meisten Familien anders aus. Dafür sorgt der Staat für die Rente und Pflegeplätze.
Sind Sie mit der Politik für ältere Menschen zufrieden?
Insgesamt versucht man schon, uns noch ein gutes Leben zu ermöglichen. Ich habe das Glück, dass ich nach einer Operation, als ich meinen Haushalt nicht mehr allein führen konnte, von meinem Sohn hierhergeholt worden bin. Ich werde sehr gut behandelt: von meinem Sohn, von meiner Schwiegertochter und auch hier im Pflegeheim. Dafür bin ich sehr dankbar. Das ist im Alter ein Geschenk, wenn sich die Kinder so um dich kümmern.
Begegnet man sich hier im Heim auf Augenhöhe?
Bei uns auf jeden Fall. Für andere Heime kann ich nicht sprechen. Ich fühle mich aber aufgefangen und gut betreut. Die meisten Pflegerinnen und Pfleger kommen aus dem Ausland, Deutsche gibt es hier kaum. Aber alle sind sehr lieb und nett und helfen uns.
Wird dem Alter in anderen Kulturen anders begegnet?
Ich bin in Stuttgart geboren und habe 79 Jahre dort gelebt. Gelesen habe ich, dass die Familien zum Beispiel in Afrika ein anderes Zusammengehörigkeitsgefühl besitzen und die Alten immer bei sich haben, weil sie kein Geld haben, sie irgendwo unterzubringen. Ein bisschen wie bei uns früher. Sie haben viel Lebenserfahrung.
Worauf kommt es beim Respekt an?
Man muss Achtung haben vor anderen Menschen, man muss aber nicht alles tun, was andere wollen. Jeder soll so leben, wie er möchte, aber er muss die Grenzen der anderen anerkennen. Es kommt natürlich dabei immer auf den einzelnen Menschen an, wie er erzogen wurde, welchen Beruf er hat, was von ihm verlangt wird.
Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.