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Von vorm Strand in den Mund

Im Kampf gegen Wasserknappheit spielen Entsalzungsanlagen für Meerwasser eine wichtige Rolle. Doch gelten sie auch als Energiefresser und Preistreiber. Können sie die Lösung sein?

Entsalzungsanlage

Ein tosendes Rauschen und Blubbern – so klingt es, wenn 4.000 Liter Meerwasser pro Sekunde in die großen Becken der Desalinizadora del Llobregat strömen. Die größte Trinkwasser-Entsalzungsanlage Europas wurde 2009 in Barcelona in Betrieb genommen. Seit drei Jahren läuft sie wegen anhaltender Dürren in Spanien auf Hochtouren.

Laia Hernandez Lloret wartet am Eingang der ersten Halle der Entsalzungsanlage. Sie ist das mittlerweile gewohnt, die Neugierigen, die sich die Prozesse genau ansehen wollen. Seit Trockenheit, Waldbrände und Hitze die Schlagzeilen dominieren, führt die Pressesprecherin mehrmals in der Woche Gruppen durch die Anlage – Studierende, Ingenieure, Journalisten. Die Anfragen kommen von überall: aus China, den USA, Deutschland. „Sogar Norwegen!“, sagt Hernandez und schüttelt erstaunt den Kopf. Wenn ein Land in ihren Augen kein Wasserproblem haben sollte, sei es doch Norwegen mit seiner Vielzahl an Flüssen, Seen und Wasserfällen.

In Spanien waren im Herbst 2023 die Wasserreserven teils auf nur noch 37 Prozent gesunken. Im vorangegangenen Jahr hatte es durchschnittlich 17,1 Prozent weniger geregnet. Besonders die Mittelmeerküste leidet unter Wassermangel, ganz vornan Katalonien. Mitte April dieses Jahres waren die Stauseen dort nur noch zu rund 18 Prozent gefüllt.

Fast 80 Prozent von Spaniens Wasser verbraucht der Agrarsektor für den wasserintensiven Anbau von Obst und Gemüse wie Tomaten oder Melonen. Mehr als drei Viertel des Ertrags werden ins Ausland exportiert. Spaniens Landwirtschaft ist ein Stützpfeiler der Wirtschaft. Die spanische Politik versprach Abhilfe für den Wassermangel. Eine der Hauptstrategien: Meerwasser entsalzen.

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Entsalzungsanlage
Aus Meerwasser wird Trinkwasser

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Laia Hernandez Lloret
Laia Hernandez Lloret führt viele Gäste durch die Anlage

Spanien gilt mittlerweile als Vorreiter in der Entsalzung von Meerwasser. Mit 770 Anlagen und rund fünf Millionen Kubikmetern Wasser pro Tag liegt das Land weltweit an vierter Stelle, Spitzenreiter ist Saudi-Arabien. Und es sollen mehr werden: 500 Millionen Euro versprach Teresa Ribera, Ministerin für ökologischen Wandel, unlängst für den Bau zweier zusätzlicher Entsalzungsanlagen in Katalonien, weitere 813 Millionen sollen in den Ausbau und die Sanierung von Anlagen im Süden des Landes fließen. Die älteste Anlage Europas auf Lanzarote stammt aus dem Jahr 1964. Trotzdem hat erst in den letzten Jahren ein wahrer Boom begonnen. „Die traditionellen Methoden der Wassergewinnung reichen nicht mehr aus“, sagt Joaquim Farguell, Hydrologe an der Universität Barcelona. „Wir können uns nicht mehr nur auf Flüsse und das Grundwasser verlassen.“

Das Zauberwort der Entsalzung heißt „Umkehrosmose“

Entsalzungsprozesse sind energieintensiver als die Gewinnung von Trink- und Gießwasser aus Süßwasserquellen. Das wirkt sich auf den Preis aus. Zwischen 60 Cent und einem Euro kostet der Kubikmeter Wasser aus dem Entsalzer laut AEDyR, dem spanischen Verband der Entsalzung und Wiederverwertung von Wasser. Zum Vergleich: Süßwasser aus Flüssen in Trinkwasser zu verwandeln kostet nur etwa fünf Cent. Und das begründet einen großen Widerspruch in der spanischen Wasserversorgung. Denn in vielen Regionen des Landes liefen die Entsalzer in den letzten 20 Jahren im Durchschnitt nur mit 16 Prozent ihrer maximalen Kapazität. Das lag vor allem am Preis.

Dabei hat sich dieser bereits deutlich verringert. Funktionierten die Anlagen zuvor mit einem thermischen Verfahren, hat sich seit den 1980ern zusehends die Umkehrosmose durchgesetzt, die weniger Energie benötigt. Wurden früher 20 Kilowattstunden pro Kubikmeter Süßwasser benötigt, sind es heute nur noch etwa 3,5. Statt Verdunstung und Kondensation zu nutzen, arbeitet die Umkehrosmose vor allem mit Hochdruck, der das Wasser durch Membranen presst, die das Salz zurückhalten.

Entsalzungsanlage
770 Entsalzungsanlagen gibt es in Spanien – in Barcelona steht die größte, sogar des Kontinents

In der Desalinizadora del Llobregat in Barcelona lässt sich das beobachten. Das Wasser wird rund fünf Kilometer von der Anlage entfernt in 30 Meter Tiefe aus dem Mittelmeer gepumpt. Doch bevor es auch nur in die Nähe der Membranen kommt, durchläuft es mehrere Reinigungsprozesse. Zunächst passiert es einen drei Millimeter dicken Filter, der die gröbsten Algen und Mikroorganismen abfängt. In der ersten Halle – hier kann man das Meer noch riechen – rauscht das Wasser in zehn offene Becken. Luft und eine chemische Komponente werden zugeführt, um Mikroorganismen an die Oberfläche zu schwemmen. Das so gefilterte Wasser fließt über Rohre in die nächste Halle. Dort läuft es durch einen Sandfilter. Der Meergeruch ist verschwunden.

Zuletzt kommt es in geschlossene rote Tanks. Im Hintergrund brummt eine Elektroanlage. „Hier bauen wir das erste Mal Druck auf“, sagt Pressesprecherin Hernandez. In den Tanks wird das Wasser durch eine Anthrazit- und eine weitere Sandschicht gepumpt. Hernandez winkt weiter. Jetzt geht es zum Herzstück der Anlage.

Ein verglaster Balkon überschaut die riesige Halle, in der sich grüne, graue, lila und blaue Rohre zwischen Containern verflechten. Hernandez drückt sich Ohrenstöpsel in die Ohrmuscheln. Dann öffnet sie die Glastür und erklärt brüllend: „Eine Hochdruckpumpe kreiert einen Wasserdruck, mit dem das vorgefilterte Salzwasser durch die Osmose-Röhren gepresst wird. Innerhalb der Röhren gibt es sieben Membranen. Das Süßwasser, rund 45 Prozent, sammelt sich in einem Rohr in der Mitte, die salzige Sole, rund 55 Prozent, wird abgeführt. Das Süßwasser wird mit Mineralien versetzt. Mit dem Ergebnis wird rund ein Viertel des Trinkwasserbedarfs von Barcelona gedeckt, rund 180 Millionen Liter am Tag.“

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Carlos Miguel
Carlos Miguel ist der Direktor der Anlage

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Entsalzungsanlagen
In diesen Tanks wird das Wasser gefiltert

Carlos Miguel ist Direktor der Anlage, sein Büro liegt nur zwei kurze graue Gänge von der Halle entfernt. Die gestiegene Nachfrage hat auch das Augenmerk auf die kritischen Elemente des Entsalzungsverfahrens gelenkt, wie den hohen Energieverbrauch. Die verfügbaren Dächer und Oberflächen der Anlage seien mittlerweile beinahe vollständig mit Fotovoltaik ausgestattet, sagt Miguel. Damit habe man bereits 2010 begonnen. Heute fangen die Solarpaneele zwischen fünf und sechs Prozent des Energiebedarfs der Anlage auf, wenn sie voll im Einsatz ist. Anders als in anderen Ländern wie Australien oder Saudi-Arabien gebe es in Barcelona allerdings nicht den Platz, große Windparks in der Nähe der Anlage zu bauen, um den Energiebedarf vollständig zu decken. Trotzdem: In Zukunft müsse mehr auf die erneuerbaren Energien bei der Entsalzung gesetzt werden. Das sei allerdings eine politische Entscheidung.

Und dann ist da noch die Salzlauge, die nach dem Filtern übrig bleibt. Die hohe Konzentration von Salzen, Chemikalien und Metallen wie Magnesium, Natrium oder Lithium, die ins Meer zurückgeleitet wird, kann das lokale Ökosystem im Meer beschädigen. Die Desalinizadora del Llobregat ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme: Die Lauge wird mit dem Wasser einer benachbarten Kläranlage vermischt, bevor es zurück ins Meerwasser geleitet wird. So wird die Konzentration der Salze und Metalle immerhin abgemindert. „Es gibt derzeit einen rechtsfreien Raum, was die Ableitung von Salzlauge ins Meer angeht“, sagt Joaquim Farguell, der Hydrologe. Bisher habe das in Spanien noch keinen absehbaren Schaden angerichtet, doch weil in Zukunft immer neue Entsalzungsanlagen gebaut würden, sollte diese Lücke dringend geschlossen werden.

Eine Möglichkeit, die Salzlauge weniger konzentriert ins Meer zu leiten, wäre, wertvolle Metalle und Mineralien aus der Lauge herauszufiltern und für die Industrie zu verwenden. Zum Beispiel Lithium, das bei Batterien für Elektroautos unverzichtbar ist. Auch in Europa gibt es bereits Projekte, die daran arbeiten. Das größte Hindernis: Solange diese Stoffe aus Minen in Südamerika und Asien billig importiert werden können, lohnt sich das wirtschaftlich nicht.

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