Seit April erschüttert ein blutiger Machtkampf den Sudan: Er spielt sich ab zwischen der sudanesischen Armee unter General Abdel Fattah al-Burhan und den Rapid Support Forces (RSF). Die RSF sind eine paramilitärische Miliz unter Mohammed Hamdan Daglo, auch „Hemedti“ genannt. Man schätzt, dass ihr bis zu 100.000 Personen angehören.
Inzwischen sind 7,3 Millionen Menschen auf der Flucht, rund 25 Millionen sind laut UN auf Hilfeleistungen angewiesen und 12.000 Menschen gestorben. Die Dunkelziffer der Toten ist wahrscheinlich weit höher. Hinzu kommt, dass das Gesundheitssystem zum Großteil außer Betrieb und die Stromversorgung schlecht oder nicht vorhanden ist. Es verbreiten sich mittlerweile Krankheiten wie Cholera im Land, Hilfsorganisationen haben den Sudan verlassen, und es fehlen Gelder, um den Menschen vor Ort zu helfen.
Dafür, dass es zu dieser Eskalation kommen konnte, geben Kritiker*innen auch der Europäischen Union (EU) eine Mitschuld. Die EU hat in der Vergangenheit Gelder zur Migrationskontrolle an den Sudan gezahlt. Diese Gelder seien auf Umwegen auch bei den RSF gelandet, die schon länger für ihre Gewalt bekannt seien, und hätten so ihren Aufstieg begünstigt.
Dabei hatten die Sudanes*innen schon einmal kurz Hoffnung geschöpft: Ende 2018, Anfang 2019 gingen trotz erheblicher Risiken große Teile der Bevölkerung auf die Straße, um gegen gestiegene Lebensmittelpreise, Korruption und den langjährigen sudanesischen Diktator Omar al-Baschir zu protestieren. Die Massendemonstrationen führten dazu, dass al-Baschir im April 2019 durch das Militär abgesetzt wurde. Die Macht sollte innerhalb von 39 Monaten vollständig an eine zivile Regierung übergeben werden. Doch 2021 putschte sich Militäroberhaupt al-Burhan an die Macht. Hemedti, Kommandant der RSF, wurde sein Stellvertreter. Nach monatelangen Spannungen zwischen dem Militär und den RSF brach am 15. April 2023 schließlich der Krieg aus.
In der Protestbewegung von 2018/2019 spielten Frauen eine entscheidende Rolle, sie kämpften für die Demokratie, aber auch für Emanzipation. Im Herbst 2023 haben uns drei Sudanesinnen geschildert, wie ihre Lage ist: auf der Flucht, im politischen Exil und mitten im Krieg.
„Die neue Generation von Frauen hat in den vergangenen Jahren im Sudan für ihre Rechte gekämpft und viele Veränderungen erwirkt“
Aisha, 25
Einen Monat vor dem Kriegsausbruch habe ich ein Freiwilligenprogramm in Deutschland absolviert. Als ich fertig war, bin ich zurück in den Sudan gegangen und wollte dort anfangen zu arbeiten. Meine Familie und ich lebten in Khartum. Aber bevor ich meinen Plan in Angriff nehmen konnte, brachen die Kämpfe aus. Nach fast zwei Monaten Krieg haben wir beschlossen, unsere Heimat zu verlassen.
Wir sind nach Kairo geflohen, wo wir jetzt gemeinsam in einer Wohnung leben. Es sind sehr schwierige Zeiten für uns. Mein Bruder war Pilot in der sudanesischen Armee und wurde nach einem Flugzeugabsturz von den RSF gefangen genommen. Wir haben seitdem keinen Kontakt zu ihm. Ich versuche, mich zusammenzureißen und meine Familie nach dem Unfall meines Bruders emotional und bei alltäglichen Aufgaben zu unterstützen. Ich kann mich noch nicht an den Lebensstil in Kairo anpassen, aber ich versuche mein Bestes, um mit unserer neuen Realität zurechtzukommen.
Auch in meinem Freundeskreis sehe ich, wie viele Frauen jetzt wieder bei null anfangen. Aber die Frauen waren immer stark und werden es auch bleiben. Die neue Generation von Frauen hat in den vergangenen Jahren im Sudan für ihre Rechte gekämpft und auch viele Veränderungen erwirkt. Jedoch hängen die Freiheiten einer Frau auch von ihrer wirtschaftlichen, kulturellen und familiären Lage sowie von ihrer Bildung ab. Je mehr dieser Privilegien eine Frau hat, desto leichter wird es für sie, sich Rechte zu erkämpfen.
Die aktuelle Lage im Sudan macht den Kampf für mehr Frauenrechte schwieriger, aber wir werden nicht aufgeben. Gleichzeitig fühle ich mich von der EU und von der arabischen Welt im Stich gelassen. Es wird zu wenig unternommen, um den Menschen im Sudan zu helfen. Aber ich werde nicht aufgeben. Ich träume weiterhin von dem Sudan, den ich mir wünsche.
„Außerhalb der Städte stehen die Soldaten. Frauen werden gefangen genommen und anschließend verkauft“
Mona, 34
Ich lebe mit meiner Familie in Deutschland und arbeite bei der Bildungs- und Begegnungsstätte Kurve Wustrow im Bereich Finanzen. Mein Mann und ich mussten 2013 den Sudan verlassen. Wir wurden vom Regime des Diktators al-Baschir politisch verfolgt. Ich war im Sudan in Frauengruppen aktiv und habe mich gegen weibliche Genitalverstümmelung und für Frauenrechte, Meinungsfreiheit und Frieden für Darfur und Kurdufan eingesetzt. Mein Mann war in der zivilgesellschaftlichen Bewegung gegen die Diktatur al-Baschirs aktiv. Im September 2013 wurden Proteste gegen das Regime mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Mein Mann wurde verhaftet, ich verfolgt. Nachdem er auf Bewährung freikam, haben wir unsere Heimat verlassen.
Seit Kriegsbeginn sammeln wir, die sudanesischen Aktivist*innen in der Diaspora, Spenden für die Menschen im Sudan und stellen sicher, dass das Geld auch dort ankommt, wo es am meisten benötigt wird. Den Menschen fehlt es an allem: Nahrungsmittel, Medikamente und sonstige gesundheitliche Versorgung. Die Hilfe der internationalen Organisationen kommt nicht an. Lokale Organisationen und sogenannte Nachbarschaftskomitees leisten die meiste humanitäre Arbeit. Aber ihnen fehlt es an Ressourcen, und sie werden von beiden kriegführenden Parteien verfolgt und gezielt getötet.
Aktuell leiden die weiblichen Aktivistinnen am meisten. Sie werden, wie auch andere Frauen, von den Soldaten als Ware angesehen. Vergewaltigungen werden als Kriegswaffe gegen Aktivistinnen eingesetzt. Manche wurden gefangen genommen oder als Sklavin verkauft. Wir hören inzwischen vermehrt von Aktivistinnen, die Suizid begehen.
Der Krieg zeichnet besonders die Region Darfur. Nach Massakern der RSF und verbündeter Milizen gegen Zivilist*innen, insbesondere Frauen und Kinder, sind inzwischen komplette Städte wie Nyala und El Geneina beinahe menschenleer. Man geht, was die Zahl der getöteten Menschen angeht, von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Um aus Darfur zu flüchten, gibt es nur eine Möglichkeit: auf dem Landweg Richtung Tschad. Das ist aber sehr gefährlich, außerhalb der Städte stehen die Soldaten. Frauen werden gefangen genommen und anschließend verkauft, Jugendliche zum Kampf gezwungen, ältere Menschen erschossen. Solche Verbrechen begehen beide Kampfparteien, die Mehrheit geht allerdings von den RSF aus. Deshalb bleiben viele da, wo sie sind.
„Hier im Dorf kann ich aktuell nicht viel tun. Das macht mich verrückt, ich habe das Gefühl, dass sich bei mir Depressionen einschleichen“
Sara, 31
Ich komme aus Khartum und habe als unabhängige Vertreterin für ICareNet gearbeitet und als Verantwortliche für Aktivitäten im Open Training Center des Unternehmens. Außerdem bin ich Mitglied im Frauenorganisationsnetzwerk „Bana Group for Peace and Development“. Bis ich fliehen musste, habe ich verschiedene Veranstaltungen und Aktivitäten organisiert für Frauen, die von Krieg oder Beschneidung betroffen sind. Als der Krieg im Frühjahr hier im Sudan anfing, sind meine Familie und ich zweimal innerhalb von Khartum umgezogen, bis wir uns schließlich entschlossen haben, uns in einem kleinen Ort in Gezira, südöstlich von Khartum, niederzulassen.
Auf unserer Flucht hatte meine Familie zusätzlich mit Krankheiten wie Malaria und Typhus zu kämpfen. Es wäre gut gewesen, wenn die Hilfsorganisationen uns und die anderen unterstützt hätten, insbesondere bei der Behandlung von chronischen Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und anderen Herzkrankheiten. Leider breiten sich in vielen Städten Denguefieber und Typhus aus. Aber die Krankenhäuser sind überfüllt. Es gibt keine Behandlungsmöglichkeiten.
Wir leben nur mit dem Mindesten: Es gibt keine stabile Stromversorgung, kein fließendes Wasser und keine grundlegende Versorgung. Immerhin fühlen wir uns hier sicher. Aber einer meiner Brüder wurde während dieses Kriegs zwei Wochen lang von den RSF in Khartum festgehalten und gefoltert. Wir hatten große Angst um ihn. Zum Glück ist er inzwischen wieder bei uns.
Hier im Dorf kann ich aktuell nicht viel tun. Das macht mich verrückt, und ich habe das Gefühl, dass sich bei mir Depressionen einschleichen. Ich versuche, jeden Tag zu lesen. Außerdem habe ich auch wieder angefangen, Deutsch zu lernen. Aber ständig haben wir ein neues Problem: Vor zwei Wochen stürzte das baufällige Badezimmer ein. Da, wo das Badezimmer war, war dann nur noch ein großes Loch. Mein Onkel wäre fast hinabgestürzt. Die, die aktuell die Zivilgesellschaft unterstützen, sind vor allem lokale Initiativen. Sie geben ihr Bestes und bringen sich dabei selbst in Gefahr. Sobald ich mich von hier ohne großes Sicherheitsrisiko wegbewegen kann, möchte auch ich so viel wie möglich helfen.
Titelbild: Neveen Jalal/ apaimages/Polaris/laif; Portraits: privat