Als Stephan B. live streamte, wie er in Halle zwei Menschen erschoss, nachdem er vergeblich versucht hatte, in eine Synagoge einzudringen, lief im Hintergrund ein Lied: „Hoes suck my dick while I run over pedestrians“.
„Nutten lutschen meinen Schwanz, während ich Fußgänger überfahre.“ Ein Song, der tiefste Frauenverachtung ausdrückt und als Hommage an Alek Minassian gilt, der im April 2018 in Toronto zehn Menschen mit einem Kleinbus überfahren hatte – darunter acht Frauen. Minassian war bekennender Incel – der Begriff steht für involuntary celibate, unfreiwillig zölibatär. So nennen sich Männer, die sich um ihr vermeintliches Recht auf Sex mit Frauen betrogen sehen – von den Frauen selbst oder auch von Migranten, die ihnen diese Frauen angeblich wegnehmen.
Attentäter klagen, sie hätten noch nie eine Freundin gehabt. Schuld sind natürlich: die Frauen selbst
Ob bei dem Terroranschlag im Oktober 2019 in Halle, in Hanau im Februar 2020 oder in Christchurch im März 2019 – eine antifeministische Agenda und Hass gegen Frauen ziehen sich bei diesen rechtsextremen Attentätern wie ein roter Faden durch ihre Bekenntnisse. So klagte etwa der Attentäter von Hanau, dass er sein Leben lang keine Freundin gehabt habe – die Schuld daran gab er Frauen und dem Feminismus. Auch der Täter in Halle schimpfte auf den Feminismus, der seiner Meinung nach schuld an den sinkenden Geburtenraten im Westen sei, und der Täter von Christchurch vertrat die Verschwörungstheorie, dass es zu einem „Bevölkerungsaustausch“ mit den Muslimen kommen werde. Als „Vorbild“ diente ihnen scheinbar Anders Breivik, der 2011 in Norwegen insgesamt 77 Menschen ermordet und nach Augenzeugenberichten vornehmlich auf Frauen gezielt hatte. In seinem Manifest legte Breivik dar, dass es notwendig sei, Frauen zu töten, um die patriarchale Ordnung in der Gesellschaft wiederherzustellen.
Manche Incels tauschten sich vor ihren Anschlägen online über ihren sexuellen Frust aus, in Chatforen wie dem damals noch bestehenden 8chan oder reddit. „Diese Foren dienen als Katalysatoren von rechtsextremem Gedankengut, weil dort ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen wird“, sagt Eike Sanders, Mitarbeiterin des Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums e. V. (apabiz) und Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Feminismus werde in extrem rechten Verschwörungsideologien als Türöffner für Migration und Multikulturalismus angesehen und Feministinnen als Verräterinnen, die keine Kinder bekämen. Daher drohe der „große Austausch“, also dass eine weiße Bevölkerung durch eine nichtweiße ersetzt werde.
„Rechter Frauenhass und die Incels werden leider allzu oft verharmlost“
Als „Grundübel“ gilt in diesem Szenario das Judentum, aber auch die Rolle der emanzipierten Frau ist zentral. „Erst wenn Verschiedenes zusammengreift, macht das für viele Täter eine sinnstiftende Ideologie aus“, sagt Sanders. „In der extremen Rechten funktionieren die drei Feindbilder, die durch Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus hervorgebracht werden, zwar unterschiedlich, finden sich aber in derselben Erzählung wieder, bedingen und stärken einander.“ Daher sei es wichtig, einen Anschlag nicht auf ein Ideologiemerkmal zu reduzieren.
Ob die Männer aufgrund ihres Frauenhasses rechtsextrem werden oder durch ihren Rechtsextremismus Frauenhass entwickeln, lässt sich schwer sagen. An einen direkten Kausalzusammenhang denkt Eike Sanders nicht. „Ich glaube aber, dass es sich gegenseitig verstärken kann.“ Denn der Rechtsextremismus biete den idealen Nährboden für antifeministische und sexistische Ideologien: Der Mann ist für das Politische und den Krieg zuständig, die Frau für das Heim und die Erhaltung der „weißen Rasse“. Frauen haben nur eine dienende Rolle, die der Mann durch (sexuelle) Gewalt einfordert.
Laut der UN gab es in Europa 2017 mindestens 3.000 Femizide: Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts
Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit untersuchte dieses Rollenverständnis bereits in den späten 1970er-Jahren im Zuge der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. In seinem viel beachteten Buch „Männerphantasien“ beschreibt er den „soldatischen“ Mann, der sich von der Weiblichkeit bedroht sieht und dessen verdrängte Sexualität schließlich in Gewalt mündet. Gestützt wird dieses Männerbild bis heute von patriarchalen Vorstellungen, die in weiten Teilen der Gesellschaft vorherrschen. Laut einer UN-Studie gab es in Europa 2017 mindestens 3.000 Femizide, also Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Auch in Partnerschaften ist tödliche Gewalt an Frauen stark verbreitet. Allein in Deutschland wurde 2018 fast jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.
Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt beobachtet ebenfalls eine steigende Anzahl an Frauen, die sich an Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt wenden: „Das sind vor allem Frauen, die von Rassismus betroffen sind. Sie werden von den Tätern zum Beispiel als Migrantinnen oder Geflüchtete wahrgenommen und aus rassistischen Motiven angegriffen, beleidigt und bedroht.“ Aber auch sogenannte politische Gegnerinnen seien von rechter Gewalt betroffen. Die Angriffe ereigneten sich an öffentlichen Orten wie Spielplätzen, Supermärkten oder in Bussen oder Bahnen. Nach rechten, rassistischen oder antisemitisch motivierten Angriffen seien die Betroffenen – abhängig von den Tatumständen und der Unterstützung, die sie im sozialen Nahbereich erfahren – unter Umständen noch Jahre später im Alltag eingeschränkt oder litten unter posttraumatischen Belastungsstörungen, sagt Kleffner. Dies sei vor allem der Fall, wenn die Frauen sich mit ihrer Situation alleingelassen fühlten.
Lässt die Gesellschaft Frauen und Mädchen im Stich?
Lange Zeit wurde der Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Gewalt gegen Frauen nicht näher beachtet. Die Erklärung dafür sieht Eike Sanders darin, dass Gewalt an Frauen als privat und nicht als politisch eingestuft und die Verbindung zum antifeministischen Terrorismus nicht gezogen werde. Durch das Erstarken rechter Parteien hat sich auch die antifeministische Agenda im rechten Spektrum verändert. Nun werde offener über Feminismus als Feindbild gesprochen und damit Politik gemacht, urteilt Sanders.
Gleichzeitig wird inzwischen mehr über Frauenhass als Tatmotiv diskutiert, wenn auch nicht so viel wie über Rassismus und Antisemitismus. „Rechter Frauenhass und die Incel-Bewegung werden leider allzu oft verharmlost und von Gesellschaft und Politik, auch als Einstiegsfaktor bei der Radikalisierung in der extremen Rechten, zu wenig beachtet“, bestätigt Heike Kleffner. Dadurch ignoriere man die Gefahr, die von rechten Gewalttaten ausgehe. „Eine Gesellschaft, die rechte Gewalt gegen Frauen nicht als Problem anerkennt, lässt Frauen und Mädchen im Stich.“
8chan, das Internetforum, in dem sich sowohl der Täter von Halle als auch der von Christchurch radikalisiert haben soll, ist inzwischen offline. Keine drei Monate nachdem die Seite geschlossen wurde, gab es bereits ein Nachfolge-Imageboard – es heißt nun 8kun.
Illustration: Frank Höhne