Worum geht’s?
Um die Schülerin Maxi (Luna Wedler), die bei einem Bombenanschlag in Berlin ihre Mutter und zwei kleine Brüder verliert. Nur sie und ihr Vater überleben. Maxi ist überwältigt von Wut und Trauer, aber auch von der Wucht der danach folgenden Ereignisse: dem Presserummel, der Spekulation um die vermeintlich islamistischen Täter, einem überforderten Vater (Milan Peschel), der glaubt, die Stimmen seiner Söhne zu hören. Inmitten dieses Chaos trifft sie den charmanten Karl (Jannis Niewöhner), einen Studenten, der sie beim gemeinsamen Kaffeetrinken direkt nach Prag einlädt, zur „Summer Academy“ der „Re/Generation Europe“. Was klingt wie die Feier der europäischen Idee, entpuppt sich als Bootcamp der europäischen Jugend am rechten Rand. Maxi, die zumindest augenscheinlich aus einem linksliberalen Elternhaus kommt, ist in ihrer Verzweiflung blind: Sie versteht weder, dass Karl sie für seine politischen Zwecke instrumentalisieren will, noch, welchen größeren Plan er verfolgt – bis die Sache eskaliert.
Was steckt dahinter?
In vielen europäischen Ländern gewinnen rechtsextreme Gruppierungen an Popularität, auch bei jungen Menschen. Federführend ist dabei die „Identitäre Bewegung“, die sich gerne hip und modern präsentiert. Genau daran erinnert auch die „Summer Academy“ in „Je suis Karl“. Dort herrscht Partystimmung, es gibt Gin-Verkostungen und Musikperformances, aber eben auch offen rechte bis rechtsextreme Rhetorik: Europas Grenzen sichern, die „Umvolkung“ stoppen, die Todesstrafe für ausländische Straftäter einführen. Der Regisseur Christian Schwochow wollte mit „Je suis Karl“ die Gefahr illustrieren, die für ihn von dieser Bewegung ausgeht: „Plötzlich“, sagte er in einem Interview, „gibt es junge, attraktive, versierte Rechte, die mehrsprachig sind, in Oxford studiert haben und mit ihrer Ideologie als modernem, patriotischem Lifestyle hausieren gehen.“ Karl verkörpert genau das: Gemeinsam mit seinen drei engsten „Kameraden“ plant er ein „neues Europa“ unter rechter Führung. „Je suis Karl“ – eine Anspielung auf die Solidaritätsbekundung mit den Mitarbeiter:innen der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, auf die 2015 ein islamistischer Anschlag verübt wurde – wird zum Schlachtruf für ihre Umsturzpläne.
Wie wird’s erzählt?
„Je suis Karl“ erinnert an ein Auto, das von null auf 180 beschleunigt. Nach knapp zehn Minuten explodiert die Bombe in Maxis Zuhause, und die Ereignisse überschlagen sich: Maxi trifft Karl, kurz darauf ist sie in Prag, dann in Paris. Dokumentarisch anmutende Handyaufnahmen und die immer wieder aufpoppenden Instagram- und YouTube-Feeds rechter Influencer:innen verstärken die Dynamik noch einmal. Auch der Soundtrack sorgt für Tempo: Harte Hip-Hop-Beats untermauern in vielen Szenen Maxis Wut und Verzweiflung, und so entschlossen, wie Karls Anhänger:innen in einem Prager Club den extra für den Film komponierten Rap „A la guerre“ („In den Krieg“) mitgrölen, bekommt man es richtig mit der Angst zu tun. Man merkt: Das ist nicht einfach nur eine Textzeile. Diese jungen Menschen meinen es todernst.
Stärkste Szene
Da fällt die Auswahl schwer, schließlich lebt fast jede Szene vom starken Spiel der beiden Hauptdarsteller:innen Luna Wedler und Jannis Niewöhner. Als Maxi zum Beispiel erfährt, dass ihre Mutter und beide Brüder tot sind, sie sich die Seele aus dem Leib schreit und im Krankenzimmer randaliert, ist ihre Verzweiflung so greifbar, dass man am liebsten mitschreien möchte. Schreien will man aber auch, um Maxi vor Karl zu warnen: Als Zuschauer:in erfährt man recht früh von Karls wahren Absichten. Jannis Niewöhner verkörpert diesen jungen Mann zwischen Charisma und Wahnsinn so überzeugend, dass es einen häufig erschaudern lässt. Etwa als Karl seine „Kameraden” im roten Dämmerlicht und untermalt von Technobeats auf den finalen Coup einschwört und schon in der nächsten Szene den liebevollen Freund für Maxi mimt.
Good Job!
„Seit Mama tot ist, habe ich Angst, das erste Mal in meinem Leben habe ich Angst“, sagt Maxi zu ihrem Vater, als der sie in Paris aufspürt, wohin sie ihre neuen politischen Überzeugungen geführt haben. „Je suis Karl“ zeigt, wie schnell Trauer, Wut oder Angst Menschen dazu bringen können, sich gänzlich von ihren eigentlichen Idealen abzuwenden. Und der Film zeigt die potenzielle Gefahr, die für demokratische Gesellschaften von einer europaweit vernetzten, strategisch klugen und manipulativen rechtsextremen Bewegung ausgeht. Das mag an manchen Stellen etwas zu dick aufgetragen sein. Andererseits braucht es vielleicht gerade diese Überzeichnung, damit die Botschaft ankommt – und das tut sie. „Je suis Karl“ ist ein Film, der einen sprachlos und mit dem unguten Gefühl zurücklässt, dass das alles nicht so weit weg ist von der Realität.
„Je suis Karl“ läuft ab dem 16. September in den deutschen Kinos.
Titelbild: Sammy Hart/Pandora Film