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Syphilis, Chlamydien, Tripper – die Fallzahlen von sexuell übertragbaren Krankheiten steigen. Was steckt dahinter?

STI

Schon mal beim Sex aufs Kondom verzichtet, weil du dachtest, ihr beide seid ja eh gesund? In einer Studie haben 62 Prozent aller Singles diese Frage mit Ja beantwortet. Dabei kann man eine Geschlechtskrankheit auch unbemerkt haben und weitergeben. Auch deshalb breiten sich Tripper, Syphilis, Chlamydien und andere sexuell übertragbare Krankheiten (STI) gerade immer weiter aus.

Erst vor kurzem warnte die EU-Gesundheitsbehörde (ECDC) vor einem „beunruhigenden Anstieg“ von STI. Von 2021 auf 2022 habe die Zahl der gemeldeten Fälle in der ganzen EU stark zugenommen: bei Gonorrhö (Tripper) um 48 Prozent, bei Syphilis um 34 Prozent und bei Chlamydien um 16 Prozent. Dabei dürfte die Dunkelziffer weit höher sein. Manche Expert:innen sprechen sogar von einer unsichtbaren Epidemie.

 

Eine mögliche Erklärung für den Anstieg: Während der Corona-Pandemie wurde nicht nur weniger getestet, sondern auch weniger miteinander geschlafen – und dann beides nachgeholt, sobald das Kontaktverbot aufgehoben wurde. Dieser Nachholeffekt erklärt aber nicht, warum die Infektionszahlen nach der Pandemie höher sind als vorher, sagt Lina Nerlander vom ECDC, die an der Studie beteiligt war. Tatsächlich steigen die Fallzahlen von Syphilis schon seit 2010, das zeigen auch Daten des Robert-Koch-Instituts. „Es muss da also noch etwas anderes geben.“

 

Die Inzidenzen stiegen bei Männern, die Sex mit anderen Männern haben. Aber vor allem würden die Fallzahlen von Chlamydien und Gonorrhö laut ECDC unter heterosexuellen Menschen stark ansteigen. Da eine bundesweite Meldepflicht in Deutschland aber erst mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im September 2022 eingeführt wurde, lässt sich die Situation für Gonorrhö und Chlamydien nur schwer mit der in der ganzen EU vergleichen.

Dating-Apps könnten ein Grund für den Anstieg sein

 

Eine Erklärung für den Anstieg kann ein verändertes Sexualverhalten sein. Immer mehr Menschen würden mit mehreren Menschen schlafen, wodurch Infektionen sich schneller ausbreiten könnten. „Wir nehmen an, dass junge Menschen heute anders miteinander verbunden sind“, sagt Nerlander. Zum Beispiel durch Dating-Apps. Und dass das zu mehr sexuellen Kontakten führt. Studien aus den USA belegen das bereits indirekt.

Neben einer höheren Anzahl anonymer Sexualpartner:innen könnte auch Drogenkonsum dazu beigetragen haben, dass die Fallzahlen gestiegen sind. Er würde unvorsichtig machen und Menschen dazu bringen, auf das Kondom zu verzichten, erklärt Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft. Dabei biete das Kondom neben Lecktüchern noch immer den besten Schutz vor Infektionen.

Das Gefühl von Sicherheit kann trügerisch sein – und scheint vom Alter unabhängig, wenn auch aus verschiedenen Gründen: Jüngere Erwachsene würden sich unverwundbar fühlen, aber auch bei älteren Menschen sei ein Anstieg der Infektionen zu beobachten. Zurückzuführen sei das neben steigenden Scheidungsraten und der Verfügbarkeit von Viagra eben auch auf ein fehlendes Risikoempfinden. „Sie fühlen sich ohne Kondom sicher, weil sie ja keine Schwangerschaft mehr verhindern müssen.“

STI

Brockmeyer hat ein Leben lang gegen HIV/Aids gekämpft und 1983 als junger Arzt zum ersten Mal einen Menschen mit HIV behandelt. In den folgenden Jahren musste er mit ansehen, wie seine meist sehr jungen Patient:innen durch die Folgen des Virus starben. HIV sei heute zwar nicht geheilt, aber unter Kontrolle. Die Fallzahlen bleiben in den vergangenen Jahren auf einem relativ geringen Niveau. Auch durch die inzwischen weitgehend praktizierte Einnahme von Präexpositionsprophylaxe (PrEP) vor dem Geschlechtsverkehr, die eine mögliche Ansteckung verhindert. Dank Medikamenten sei die Lebenserwartung von Infizierten zudem annähernd so hoch wie bei Nichtinfizierten. Die PrEP kann jedoch dazu führen, dass vermehrt auf Kondome verzichtet wird, was wiederum das Infektionsrisiko für Syphilis und andere STI erhöht.

Aber nur weil die HIV-Fälle nicht weiter steigen, heißt das nicht, dass die damit einhergehende Stigmatisierung ein Ende hat. „Stigmatisierung von Homosexualität und HIV gibt es in allen gesellschaftlichen Gruppen und teils auch durch Ärzte“, sagt Brockmeyer. Sie stehe Aufklärung, Prävention und Therapie noch immer im Weg.

Unangenehme Krankheiten mit ernsthaften Folgen

Für junge Frauen können besonders Gonorrhö und Chlamydien gefährlich werden. Eine Infektion würde bei ihnen oft keine Symptome zeigen und dadurch unentdeckt bleiben. Wird sie jedoch nicht behandelt, kann das zu chronischen Schmerzen und Unfruchtbarkeit führen oder bei einer Geburt zur Übertragung der Infektion von der Mutter auf das Neugeborene. Wie die meisten sexuell übertragbaren Infektionen lassen sich aber Chlamydien, wie auch Syphilis, wenn sie früh erkannt werden, relativ gut mit Antibiotika behandeln. Bei Gonorrhö kann es allerdings durch Resistenzen auch zu Schwierigkeiten kommen.

Ähnlich gefährlich, weil oft Jahre lang unentdeckt, ist das Humane Papillomvirus (HPV), das Krebs auslösen kann. Dagegen gibt es zwar inzwischen eine Impfung, allerdings liegt die Impfquote in Deutschland bei gerade mal 40 Prozent. Das liegt auch daran, dass kaum einer überhaupt weiß, dass es eine Impfung gibt. Und auch Syphilis kann unbehandelt schwerwiegende Folgen haben, darunter neurologische Schäden oder Herzprobleme.

Neben der richtigen Verhütung ist Testen die Lösung. Etwa bei der Frauenärztin, dem Urologen oder dem Hausarzt. Die Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten. Vorausgesetzt, man selbst oder der/die Sexualpartner:in hat Symptome, was gerade bei Frauen jedoch nicht immer gegeben ist. Kostenlos und anonym kann man sich aber bei den städtischen Gesundheitsämtern, Beratungsstellen und bei lokalen Aids-Hilfen beraten lassen. Diese aufzusuchen, mit potenziellen Sexualpartner:innen vorab über mögliche STI und die notwendige Verhütung zu sprechen oder vergangene Kontakte über Infektionen zu informieren, ist für viele allerdings noch mit Scham verbunden.

„Wir brauchen mehr Aufklärung“, fordert Brockmeyer. Damit meint er sowohl Kampagnen, die Heranwachsende erreichen, als auch das Sprechen über sexuelle Gesundheit im Schulunterricht. Und auch Ärzt:innen müssten das Tabu überwinden, um für ihre Patient:innen einen Raum zu schaffen, in dem sie ohne Angst, verurteilt zu werden, über Geschlechtskrankheiten sprechen können. Erst wenn das Tabu verschwinde und wir offen über Sexualität sprechen können, würde sich nachhaltig etwas ändern.

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.