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Von allen guten Geistern

Was hat Rap mit Ego zu tun und was mit Authentizität? Ein Treffen mit einem der großen Ghostwriter im Deutschrap

  • 9 Min.
Ghostwriter

Lars Daniel Hammerstein, 42, sitzt im weißen Jogginganzug in einem türkischen Restaurant in Berlin. Der Kellner begrüßt ihn mit Handschlag und möchte zu Protokoll geben, dass dieser Typ – er zeigt entschlossen auf Hammerstein, auch bekannt als LAAS oder Laas Unltd. – seine Jugend sei.

Seit mehr als 25 Jahren ist Laas im Deutschrap unterwegs. Er fing als Jugendlicher an zu rappen und hat mehrere Alben veröffentlicht, ist aber vor allem für seine Battlerap-Auftritte bekannt geworden. Daneben arbeitete Laas auch als Produzent, Back-up-Rapper und Ghostwriter für Fler, Bushido, Shindy oder Ali Bumaye. Aktuell ist er einer der Co-Writer von Shirin David.

fluter: Waren es schon immer die Texte, die dich am Rap fasziniert haben?

Laas: Am Anfang hat mich eher das Performen motiviert, das Freestylen. Die Herausforderung ist, im Flow des Erzählens immer wieder neue Reime zu finden. Das Texteschreiben braucht Zeit. Man muss das lernen wie ein Handwerk und Geduld mitbringen.

Hast du von Anfang an für andere Künstler geschrieben?

Nein. Das war Anfang der Nullerjahre in der Szene ein absolutes No-Go. Jeder hat von sich behauptet, der Beste zu sein – das setzt voraus, dass man seine Texte selbst schreibt. Mittlerweile gibt es einige, die so arbeiten, wie es im Pop üblich ist: Sie haben die Vision im Kopf und holen Leute dazu, die helfen, sie zu einem Bild zusammenzusetzen. Damals musste Rap nur in der Szene real sein und abliefern. Heute muss er ein großes Publikum erreichen.

Wurden damals wirklich alle Texte selbst geschrieben oder wurde nicht übers Ghostwriting gesprochen?

In unserer Vorstellung hat jeder selbst geschrieben. Aber es wird Zusammenarbeiten gegeben haben. Das passiert automatisch: Im Studio sind viele Leute, auch der Kameramann wirft mal eine Idee rein. Das ist eines der vielen Geheimnisse, die Rap immer hatte. Dabei haben die neue Rap-Generation und ihre Ghostwriter dafür gesorgt, dass Rap heute kommerziell funktioniert.

„Ich nutze das Wort Ghostwriter selbst in Rap-Texten, weil es geläufiger ist und der größere Aufreger. Für mich wäre aber der Begriff Co-Writer passender“

Wie das?

Würden wir alles so machen wie damals, als ich angefangen habe, wäre Rap heute ein Kreis aus 500 Leuten. Junge Künstler haben Rap in den Mainstream geholt, indem sie die Regeln des Genres aufgebrochen haben. Shirin kombiniert Rap mit Einflüssen aus der Popmusik, und auch ihre Ghostwriter bringen unterschiedliche Einschläge mit. Sie vergisst dabei trotzdem nicht, was die Leute am puren Rap lieben. Die größere Hörerschaft und das Geld dahinter kommen Rap insgesamt zugute.

Viele in der Branche haben aber immer noch Probleme, anzuerkennen, dass mit Writern gearbeitet wird.

Wer heute darüber klagt, hat eher was gegen einzelne Künstler und will denen einen Strick daraus drehen. Co-Writer sind heute viel akzeptierter als noch vor zwei, drei Jahren.

2020 hast du begonnen, mit Shirin David zu arbeiten.

Dass sie sich Hilfe beim Schreiben gesucht hat, hat damals einen Shitstorm ausgelöst. Wenn wir Musiker danach bewerten, ob sie ihre Texte komplett allein schreiben, müsste ich in Deutschland ein Superstar sein. Ich schreibe seit 25 Jahren jede Zeile selbst. Aber darum geht es nicht. Erfolg hat, wer als Gesamtprodukt performt.

Würdest du dich selbst als Ghostwriter bezeichnen?

Ich nutze das Wort selbst in Rap-Texten, weil es geläufiger ist und der größere Aufreger. Für mich wäre aber der Begriff Co-Writer passender: Shirin hat es normal gemacht, Writer zu respektieren und zu promoten. Wer sich etwas mit ihr beschäftigt, kennt mittlerweile auch meinen Namen. Ich bin kein Geist.

Seit der Zusammenarbeit mit Shirin David und dem kommerziellen Erfolg ihres Albums „Bitches brauchen Rap“ kann Laas es sich leisten, nur noch für sie zu schreiben. Ghostwriterinnen und Ghostwriter arbeiten selbstständig: Sie beziehen kein Gehalt, sondern verhandeln Honorare oder ihren Anteil an den GEMA-Einnahmen – oder beides. Die GEMA ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte. Sie erhält Nutzungsrechte für Musik, vergibt die an Radio- und Fernsehsender, Filmproduktionen oder Streamingdienste und verteilt die Einnahmen wiederum an ihre Mitglieder. Wer als Writerin oder Writer den GEMA-Anteil für einen Song haben will, muss angemeldet werden.

Wie viel ein Song über die GEMA verdient, ist kaum auszurechnen. Aber mal als Beispiel: Läuft Shirin Davids „Bauch Beine Po“ 100-mal bei einem der reichweitenstarken Radiosender, beläuft sich die Vergütung auf rund 900 Euro. 100 Wiedergaben bei einem mittelgroßen Sender bringen nur knapp 200 Euro: Die Sender haben unterschiedliche Reichweiten, Lizenzeinnahmen und Programme. Wird das Lied 65 Millionen Mal bei Spotify gestreamt, werden 65.000 Euro ausgeschüttet. Die Vergütungen teilen sich der Musikverlag, die Acts, Ghostwriterinnen und Ghostwriter und andere Gewerke. Wer beteiligt wird und zu wie viel Prozent, ist Verhandlungssache.

Wie authentisch kann ein Text sein, der mit einem Ghostwriter entsteht?

Authentizität ist wichtig. Was authentisch ist, ist aber eine Frage der Perspektive. Wenn ein Künstler mit Einfluss eines Co-Writers ausdrückt, was er fühlt, oder das dann sogar besser ausdrücken kann, ist der Text für mich authentisch. Shirins Texte sind nicht komplett von mir. Wir fangen mit der Arbeit an, indem wir über eine Song-Idee von ihr reden oder darüber, was gerade in ihrem Leben passiert. Vielleicht fällt mir zu einem Gedanken ein Satz ein, vielleicht hat sie eine Antwort darauf. So spielen wir Tennis, hin und her, bis ein Text steht. Ich bin dafür da, ihre Gedanken technisch in eine Form zu gießen.

„Ich trage keine hohen Schuhe und bin nicht pretty im Bikini. Aber ich weiß, wie es ist, neue Klamotten zu kaufen und sich darin toll zu fühlen. Bei dem Gefühl kann ich ansetzen, wenn ich mit Shirin David zusammenarbeite“

Du musst dich gut in sie hineinversetzen können.

Den Ausdruck mag ich nicht.

Warum?

Die wirkliche Stärke ist, den Leuten genau zuzuhören. Was beschäftigt sie? Was ist daran spannend? Künstler, die auf Shirins Level auftreten und veröffentlichen, sind permanent Extremsituationen ausgesetzt. Sie stehen vor Tausenden auf Bühnen, ununterbrochen in der Öffentlichkeit und werden von allen bewertet. Das kommt denen normal vor, dabei ist es total verrückt. Ich sage dann: Das ist spannend, und ich würde es gerne aus deinem Mund hören.

Dass ein Mann hinter Shirin Davids feministischen Texten steht, hat viele Kontroversen ausgelöst.

Noch mal: Es ist eine Zusammenarbeit, die auf ihren Ideen und Erlebnissen basiert. Ich lege ihr nichts in den Mund. Um ihr zu helfen, muss ich gut zuhören und rauszoomen können. In Shirins Song „Bauch Beine Po“ geht’s um ein bestimmtes Lebensgefühl von Frauen, das ich nicht nachvollziehen kann. Ich trage keine hohen Schuhe und bin nicht pretty im Bikini. Aber ich weiß, wie es ist, neue Klamotten zu kaufen und sich darin toll zu fühlen. Bei dem Gefühl kann ich ansetzen.

Gab es schon mal Streit oder Missverständnisse beim Schreiben?

Klar, es gibt auch Diskussionen. Das ist doch immer so, wenn alle ihren Job möglichst gut machen wollen: Jeder kämpft für seine Idee. Ich halte es für eine Frage des Egos, ob man eine Lösung findet. Shirin und ich schaffen es, unsere Egos zurückzustellen.

Wobei du für sie arbeitest.

Ja, ich stecke daher eher zurück. Es geht in dem Moment nicht um mich.

„In der zweiten Reihe ist es gemütlicher. Man hält nicht das Gesicht hin, kriegt nicht so sehr den Hass ab, wenn ein Song floppt“

Wie fühlt es sich an, in der zweiten Reihe zu stehen?

Es ist gemütlicher. Man hält nicht das Gesicht hin, bekommt nicht so sehr den Hass ab, wenn ein Song floppt. Das macht es einfacher, sich Dinge zu trauen. Früher wollte ich nur Hip-Hop sein und stand gerne in der ersten Reihe. Heute ist mir bewusster, wie wichtig die zweite Reihe ist.

Kriegt man in der zweiten Reihe Ruhm ab?

Seit ich mit Shirin arbeite, ist mein Name einem viel größeren Publikum bekannt. Und wer sich auskennt, kannte mich durch meine Solokarriere schon vorher. Ich muss niemandem mehr beweisen, dass ich gut bin.

2021 hast du öffentlich gesagt, dass deine Solokarriere immer von Angst begleitet war: vor dem Scheitern, davor, sich Feinde zu machen, kein Geld zu verdienen. Hast du die Angst immer noch?

Den Druck, den man als Solokünstler hat, kann einem keiner nehmen. Es ist eine starke Existenzangst. Das Schreiben, die Credits, das Geld, die Anerkennung haben mir Sicherheit gegeben und einen Großteil dieser Angst genommen.

Dieser Text ist im fluter Nr. 93 „Rap“ erschienen

Wer sind die Menschen, die für und mit anderen Musikerinnen und Musikern schreiben?

Ich will nicht pauschalisieren, aber auffällig viele sind wie ich selber Künstler: schon lange mit ihren eigenen Karrieren beschäftigt, fähige Schreiber und Musiker. Das geben sie weiter und profitieren dadurch vom kommerziellen Erfolg anderer.

Gibt es große Writerinnen?

Kitty Kat und Cora E. sind zwei, die mir da einfallen. Die haben viele Rapperinnen ermutigt und inspiriert. Es kommen mehr und mehr Writerinnen: Die Branche wandelt sich nur langsam, weil sie lange so männerdominiert war.

Manchmal stehen Dutzende Namen in den Credits. Können zu viele Writerinnen und Writer an einem Song beteiligt sein?

In den Credits stehen nicht nur die Writer, sondern auch die Produzenten, Studio Engineers oder alle, die an den benutzten Samples gearbeitet haben. Aber zu viele Menschen tun einem Song auch nicht gut. Ein fester Kern, drei bis fünf Leute, die harmonieren, kann funktionieren. Dann geht es am Ende nicht darum, wer welches Wort, welchen Part, welche Idee eingebracht hat, es geht um das Ergebnis.

Illustration: Sebastian Haslauer

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.