Ist schon komisch
wie der Held auf einer Leiter klettert,
Auf der Jagd nach den Scheinen
immer weiter brettert.
Ich frag mich auch,
ob der Typ irgendwann runterbricht,
Die meisten Jungs haben
nix zu tun mit der Unterschicht
Vier Lines auf einen Oldschool-Boom-Bap-Beat. Am Mikro: Mieke, 20, Trainingsjacke, Augenbrauenpiercing, feste Stimme.
Mache das für alle Chayas
aus dem Untergrund,
Und treff mit dieser Mucke
manchen wunden Punkt
Blick in die Runde. Vier Köpfe nicken im Takt der Musik. Keine Chayas hier, aber Robert, Iman, Eric und Aria. Sie feiern den Track. Seitenhiebe gegen Machos hin oder her. Als der Beat verstummt: anerkennender Applaus und Fistbump. Zufrieden legt Mieke das Mikro beiseite.
Ein Herbstnachmittag in Hamburg-Tonndorf. Die Gruppe sitzt am Konferenztisch des Nordstern-Vereins. In der Mitte liegen Schmierzettel, ein Mikro und eine Bluetooth-Box. Draußen fahren ein paar Kids mit ihren E-Scootern Donuts in den Sportplatzboden. Am Eingang des Gebäudes klebt ein Sticker: Raps & Beats.
Eingeladen hat Mr. Schnabel, Rapper und in Hamburg ein echtes Urgestein. Ein Typ, der aussieht, als würde er den Kiez atmen. Snapback, blauer Hoodie, wacher Blick. „Zurück zu den Neunzigern“, ruft er, als die Drums in Miekes Song leiser werden. Der Sound scheint Erinnerungen zu wecken. Damals war Schnabel im Umfeld von Jan Delays Label Eimsbush unterwegs. Als Rapper machte er sich deutschlandweit einen Namen. Bis zum ersten Plattenvertrag habe es zehn Jahre gedauert, erzählt Schnabel. Er habe vieles auf die harte Tour gelernt. Diese Erfahrungen will er weitergeben.
Rappen lernen. Das klingt erst mal uncool. Weit entfernt von der Bordstein-zur-Skyline-Erzählung, laut der man sich die Skills selbst beibringt, die Reime aus dem Ärmel schüttelt, mit Rap geboren wird oder eben nicht. Aber Schnabels Kurse sind gut besucht, vor allem in den benachteiligten Stadtteilen Hamburgs. Zu Hause gibt es oft Probleme: zu wenig Geld, Langeweile, Drogen. „Für die Jugendlichen ist Rap ein Auffangbecken“, sagt Schnabel. Rap könne ihnen helfen, die eigenen Gefühle auszudrücken, Dampf abzulassen, keine Scheiße zu bauen. „Rap ist wie Boxen für den Kopf“, sagt er. „Man kann sich damit leer machen.“
Genau dafür sind Mieke, Eric, Aria, Robert und Iman heute hier. Eine Gruppe, so gut abgemischt wie ein Rap-Hit: Hier trifft Schwesta-Ewa-Fan auf OG-Keemo-Ultra, BWL-Student auf angehende Sozialarbeiterin, Straßenrapper auf Gedichteschreiber. Über Wochen haben sie an ihren Songs gearbeitet: an Binnenreimen getüftelt, Laute und Vokale abgestimmt und ihr Timing verbessert. Heute wollen sie die Ergebnisse vortragen. Mieke hat gut vorgelegt, jetzt ist Eric dran. Ein großer Typ, der Ruhepol der Gruppe. Bisher hat er sich zurückgehalten, doch jetzt schnappt er sich das Mikro und legt los:
Die Guten sterben jung
19 Jahre viel zu früh
Ich bin hier in Therapie
Hab ein bitteres Gefühl
Wenn Eric seine Zeilen rappt, scheint er ganz bei sich zu sein. Das war nicht immer so. Jahrelang konnte er nicht über das sprechen, was ihn bedrückt. Die Drogen ließen irgendwann keinen Platz mehr für Emotionen. Vor zwei Jahren hat er einen Freund verloren: Überdosis. Mit der Trauer kam die Angst. An Alltag war nicht mehr zu denken. In Menschenmengen bekam er Herzklopfen, seine Hände begannen zu zittern.
In der Drogentherapie lernte Eric Schnabel kennen. Ihre erste gemeinsame Arbeit: ein Song übers Abschiednehmen. Im vergangenen Winter performte Eric den Track zum ersten Mal live. 800 Menschen hörten zu, als er seine Geschichte erzählte. Das Zittern seiner Hände war nur für Mentor Schnabel erkennbar. Für Eric ein Befreiungsakt. „Danach war ich ein anderer Mensch“, sagt er heute.
Studien zeigen, dass Rap das Selbstbewusstsein steigern kann. Besonders für Jugendliche mit Angststörungen und Depressionen kann das hilfreich sein. Aber auch für die, denen sonst nicht oft zugehört wird. Durch Musik können sie die Kontrolle über ihre Geschichte zurückerlangen. „Rappen bedeutet, aus der Opferrolle rauszukommen“, sagt Mieke. Gerade junge Rapperinnen würden sich oft unterschätzen. Als Mieke nach zwei Wochen bei Schnabel das erste Mal auf der Bühne stand, sei das ein „selbstermächtigender Moment“ gewesen. Schnabel hat oft beobachtet, wie Jugendliche am Rap wachsen. „Es ist wichtig, dass sie eine Sprache bekommen, um sich und anderen Mut zu machen.“
Als Nächstes ist Aria dran, mit 26 der Älteste der Runde. Schulterlange Haare, schwarzer Sweater. Wenn er nicht rappt, sitzt er in Politikvorlesungen an der Uni. Seit Langem schreibt er Gedichte. Mit Schnabel bringt er sie in Form. So entstand auch „Schwarzkopfrevier“. In dem Song verarbeitet er seine Jugend in Hamburg-Jenfeld. Heute will er Mieke und den anderen davon erzählen.
Zähne auf Zement
Zu viel Kopffick, werd’ dement
In Jentown aufzuwachsen heißt
Es gibt keinen hellen Moment
Die Musik stoppt, Applaus. Schnabel bescheinigt „Headliner-Potenzial“. An diesem Nachmittag ermutigt er und hört zu, mit Ratschlägen hält er sich eher zurück. „Ich kann sie nur anstupsen, den Rest müssen sie allein machen.“ Schnabel ist mehr Mentor als Lehrer, der Schnack zählt hier mehr als die perfekte Zeile.
Mieke, Aria und Eric haben vorgelegt, das Schlusslicht bilden Iman und Robert. Während der eine am nächsten Track feilt, träumt der andere schon von den großen Bühnen. Robert kommt seit zwei Jahren zu Schnabel. Er arbeitet an seinem Traum, Rapper zu werden. Dafür hat er im Herbst ein BWL-Studium angefangen, auch um die Musikindustrie besser zu verstehen. Heute trägt er ein weißes Shirt. Darauf sein Name: R.O.B. Auf den Rücken ist ein QR-Code gedruckt, mit dem man auf seine Webseite kommt. Robert überlässt nichts dem Zufall. Routiniert präsentiert er der Gruppe seinen Song. „Wake Me Up“ ist ein emotionaler Track über den Verlust einer geliebten Person. Nächste Woche geht es für ihn ins Studio.
Dieser Text ist im fluter Nr. 93 „Rap“ erschienen
Iman ist noch in der Arbeitsphase. In seinem neuen Song erzählt der 13-Jährige von seiner Kindheit in Sachsen-Anhalt, von streitenden Eltern und Fußballspielen zwischen Wäscheständern. Iman trägt erst mal nur die erste Strophe vor. Der Beat steht, aber der Flow sitzt noch nicht. Deshalb performt er heute „Jentown im Juli“, eine Hymne an 045, seine Hood in Hamburg-Jenfeld. Schnabel erinnert: Wichtig sei es in solchen Songs vor allem, authentisch zu sein. „Leute reden von Ferraris, aber haben nicht mal ’nen Führerschein.“ Iman grinst. Von wegen hohe Häuser und tiefe Karren. Er ist eher Team E-Scooter.
Draußen ist es dunkel geworden. „Amo aller Amos“ leiert über Handyboxen. Genug gesagt, jetzt sollen andere rappen. Aber Schnabel, der hat noch eine Punchline. Beim Bewerbungsgespräch oder im Klassenzimmer müsse man sich verstellen, sagt er. „Da kannst du nicht erzählen, wie lang du konsumiert hast.“ Kunstpause. „Aber im Rap, da kannst du sein, wie du bist.“