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Oh shit, jetzt sind wir fame?

Es begann in New York und hat die Welt verändert: Wichtige Artists, Songs und Ereignisse aus 50 Jahren Rap in den USA und Deutschland

  • 14 Min.

Hip-Hop, das ist Breakdance, Graffiti, DJing und Rap (MCing). Alle vier Disziplinen haben ihre eigene Geschichte, treffen aber am Ende der 1960er-Jahre in den Armenvierteln New Yorks aufeinander. Gruppen, die sich früher gewaltsam bekämpft haben, konkurrieren künstlerisch: Sie veranstalten Blockpartys auf Sportplätzen und Schulhöfen, in Parks oder Abrisshäusern. Gerappt wird dort zunächst, um die Partys zu moderieren und der Menge einzuheizen. Für das fluter-Heft zum Thema Rap haben wir wichtige Ereignisse aus 50 Jahren Rap in den USA und Deutschland zusammengetragen.

11. August 1973 –––––––––––––––

Die Bronx ist ein Brennpunkt in New York. Mittendrin: Cindy Campbell, die Geld für Klamotten braucht. Sie organisiert eine Blockparty, auf der ihr Bruder Clive als DJ Kool Herc auflegt. Er merkt, dass die Leute besonders abgehen, wenn er die Songs nicht ausspielt, sondern die Drumbreaks wiederholt. Am Ende der Party ist DJ Kool Herc in der Bronx ein Star. Und Hip-Hop geboren.

1979 –––––––––––––––––––––––

Sylvia Robinson ist schon als Soulsängerin erfolgreich, als sie mit anderen Sugar Hill Records gründet. „Rapper’s Delight“, der erste Song des Labels, wird direkt ein Hit. Er beginnt so: „I said a hip-hop, the hippie, the hippie / To the hip, hip-hop and you don’t stop the rockin‘.“ Nonsens eigentlich. Aber das Genre hat seinen Namen.

1980 –––––––––––––––––––––––

Aus Japan kommt der Drumcomputer TR-808. Er gibt auch denen einen Rhythmus, die sich keinen Drummer leisten können. Der 808-Sound wird ein Grundnahrungsmittel für Rap: Afrika Bambaataa, Run-D.M.C., Missy Elliott, Pharrell Williams, die Trap-Rapper aus den US-Südstaaten, alle bedienen sich.

1980 –––––––––––––––––––––––

Mit Blondies Song „Rapture“ tritt weißer Rap auf den Plan. Die New Yorker Boheme hat Wind von der Hip-Hop-Sache bekommen, die Blockpartys kommen nach Harlem und Manhattan. Im Jahr darauf wollen auch die drei Punker Ad-Rock, MCA und Mike D rappen: Die Beastie Boys werden die erste kommerziell erfolgreiche weiße Rap-Crew.

1981 –––––––––––––––––––––––

Johann Hölzel aka Falco landet mit „Der Kommissar“ einen Hit. „Das ist Rap“, sagt er in einem Interview, „das ist ein schneller Sprechgesang. Kommt vom Stil her aus Amerika.“ Falcos Sprache, Sound und Aura beeinflussen Deutschrap bis heute.

1982 –––––––––––––––––––––––

„The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five kritisiert die Lebensumstände in der Bronx. Der Song tritt eine Welle gesellschaftskritischer Rap-Texte los. Rap etabliert sich als „Ghetto-CNN“, als Livesendung aus den Brennpunkten.

1983 –––––––––––––––––––––––

Ice-T veröffentlicht erste Aufnahmen. Er gilt als Pionier des Gangsta-Rap von der US-Westküste. Der wird die Alltagsgeschichten aus den Schwarzen Vierteln der Ostküste und die Wut über die Lebensumstände ausbauen: zu Großerzählungen um Autos, Knarren und Crack. Dadurch werden die MCs langsam wichtiger als die DJs.

1984 –––––––––––––––––––––––

Rick Rubin und Russell Simmons gründen Def Jam – im Wohnheimzimmer von Rubin, der aufs College geht. Ihr erstes Release kommt vom 16-jährigen LL Cool J. Def Jam wird das Rap-Label schlechthin, Rubin einer der größten Musikproduzenten.

1985 –––––––––––––––––––––––

„Beat Street“, ein Film über den Alltag afroamerikanischer Jugendlicher, macht Hip-Hop auch unter Jugendlichen in der DDR bekannter. Dass der Film vor der strengen Kulturbehörde besteht, liegt vermutlich an Co-Produzent Harry Belafonte. Der Sänger kritisiert öffentlich den Kapitalismus und das Apartheidsregime in Südafrika, steht also in der Gunst der Behörden.

1985 –––––––––––––––––––––––

Der SP-12 kann Klänge digital aufnehmen, wiedergeben, verzerren, neu zusammensetzen: alles, was vorher per Hand mit Vinylplatten gemacht werden musste. Vor allem können sich den Drumcomputer auch die noch weitgehend im Untergrund operierenden Hip-Hop-Produzenten leisten.

1986 –––––––––––––––––––––––

„My Adidas“ von Run-D.M.C. lässt die Verkäufe der berappten Sneaker explodieren. Und beschert der New Yorker Crew einen Millionenvertrag. Die Modeindustrie hat Rapper als Werbeträger entdeckt.

1988 ––––––––––––––––––––––––

In „Straight Outta Compton“ erzählen N.W.A aus einem der ärmsten Viertel von Los Angeles, sie wüten über Polizeigewalt, Ungerechtigkeiten und Kriminalität. Ein Gangsta-Rap-Meilenstein, der die Rivalität zwischen East und West Coast anschiebt: Kalifornien schickt sich an, New York als Rap-Hauptstadt abzulösen.

1988 ––––––––––––––––––––––––

Hip-Hop bekommt seine Fernsehshow: „Yo! MTV Raps“ ist ein großer Schritt Richtung Mainstream, MTV war damals so was wie Instagram und YouTube zusammen. In Deutschland rappen die Pioniere wie Bionic Force, LSD oder No Remorze derweil noch auf Englisch: Deutsch gilt als zu lame.

1990 –––––––––––––––––––––––

Die Gruppe A Tribe Called Quest debütiert mit „People’s Instinctive Travels and the Paths of Rhythm“. Das Album steht für einen neuen Sound: Es mischt Hip-Hop, live eingespielte Jazzelemente und gewagte Samples, zum Beispiel von Jimi Hendrix.

1992 –––––––––––––––––––––––

„Die da!?!“ chartet als erster deutscher Rapsong. Dafür ernten Die Fantastischen Vier einen dicken Vertrag bei Sony. Und Hass aus dem Rap-Untergrund, der seine Subkultur nicht als seichte Partyhits an den Mainstream verscherbeln will. Realkeeper wie die Stieber Twins oder Advanced Chemistry wollen politischen Rap. In „Fremd im eigenen Land“ thematisieren Letztere die Erfahrungen von Migrantinnen und Migranten in Deutschland. Der Song ist bis heute eine antirassistische Hymne.

1993 –––––––––––––––––––––––

Moses Pelham ist einer der Gründer des Rödelheim Hartreim Projekts. Und später der Plattenfirma 3P, die mit Sabrina Setlur eine der ersten großen deutschen Rapperinnen signt. Pelham hat das Rappen von GIs gelernt. Die in Süddeutschland stationierten US-Soldaten bringen Hip-Hop unter die Leute, als Radio und TV noch nicht hinhören.

1993 –––––––––––––––––––––––

Seit 20 Jahren tobt in den USA der „War on Drugs“: ein politisches Programm gegen den Handel und Konsum illegaler Drogen. Es kriminalisiert vor allem junge Schwarze. Und führt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei – von denen Rap erzählt. In „Sound of da Police“ demonstriert KRS-One den institutionalisierten Rassismus gegen Schwarze, indem er die „Officers“ (Polizeibeamte) mit den „Overseers“ (die Wächter auf Sklavenplantagen) verschwimmen lässt: „Overseer, overseer, overseer, overseer / Officer, officer, officer, officer / Yeah, officer from overseer.“

1993 –––––––––––––––––––––––

Mit „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“ bringt der Wu-Tang Clan, zehn MCs mit dem ikonischen gelben W als Symbol, einen neuen, härteren Sound, der unter anderem von Martial-Arts-Filmen beeinflusst ist.

1993 –––––––––––––––––––––––

VIVA geht in Deutschland an den Start. Das Musikfernsehen macht Songs wie „Jein“ von Fettes Brot, „Du liebst mich nicht“ von Sabrina Setlur, „A-N-N-A“ von Freundeskreis, „Hammerhart“ von den Absoluten Beginnern oder „Danke, gut“ von Eins Zwo mit Dendemann bekannt. Stuttgart, Hamburg, Frankfurt und Heidelberg kämpfen um den Titel der „Hip-Hop-Hauptstadt“.

1994 –––––––––––––––––––––––

Nas ist gerade 20, als er „Illmatic“ veröffentlicht. Ein Album, das bleibt: Der New Yorker rappt so anspruchsvoll und lyrisch aus seiner Hood, dass er zum Vorbild für Rapper wie Eminem, Drake und 50 Cent wird.

1995 –––––––––––––––––––––––

Queen Latifah und Salt-N-Pepa gewinnen als erste Rapperinnen Grammys.

1995 –––––––––––––––––––––––

„La Haine“ (Hass) läuft in den Kinos. Der Film zeigt, wie wichtig Hip-Hop für die Jugendlichen in den Pariser Hochhaussiedlungen ist. Und er visualisiert die Polizeigewalt und Trostlosigkeit, von denen Rap „nur“ reimen kann. Die französische Polizei protestiert, der Vorsitzende des Front National (heute Rassemblement National) will die Macher des Films einsperren lassen.

1996 –––––––––––––––––––––––

Der 25-jährige 2Pac läuft eine Modenschau für Versace. Wenige Monate darauf wird er in seiner Limousine erschossen. Es ist die Eskalation eines Streits zwischen East und West Coast, der von beiden Fanlagern angeheizt wird und 1997 auch The Notorious B.I.G. das Leben kostet.

1998 –––––––––––––––––––––––

Lauryn Hill verlässt mit 23 ihre supererfolgreiche Band Fugees. Auf „The Miseducation of Lauryn Hill“ mischt sie Soul, R ’n’ B, Gospel und teilt ihre Erfahrungen als junge Schwarze Frau in den USA. Ihr einziges Soloalbum gewinnt fünf Grammys und gehört zu den bestverkauften Alben aller Zeiten. In Deutschland rappt sich Cora E. mit ihrem Album „CORAgE“ aus Kiel nach oben. Sie ist ein Vorbild für Frauen, die im ultramaskulinen Rap was werden wollen.

1998 –––––––––––––––––––––––

In einem Chemnitzer Jugendzentrum findet das erste „splash!“ statt. Heute ist es eines der größten Hip-Hop-Festivals in Europa.

2000 –––––––––––––––––––––––

Kool Savas rappt härter und bildhafter als alle zuvor. Mit ihm und dem Label Royal Bunker kriegt Deutschland seinen Straßenrap.

2001 ––––––––––––––––––––––

Aggro Berlin kommt mit Sido, Bushido und Fler – und hat aus dem Nichts eine riesige Fangemeinde. Das Label macht Gangsta-Rap neuer Berliner Härte. Die Texte strotzen vor frauenfeindlichen, homophoben und rassistischen Zeilen, einige der ersten Alben landen auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.

2002 –––––––––––––––––––––––

Mit „The Eminem Show“ und dem Film „8 Mile“ zementiert Eminem seinen Status als Superstar. Die Filmsingle „Lose Yourself“ gewinnt einen Oscar, den ersten für einen Rapsong.

2007 ––––––––––––––––––––––

Der 16-jährige Soulja Boy veröffentlicht seine Musik selber, online, ohne Major-Label im Rücken. Durch Plattformen wie MySpace oder DatPiff, später auch Facebook und SoundCloud ist es einfacher denn je, Rapmusik zu veröffentlichen. Das öffnet sie für andere Genres.

2011 –––––––––––––––––––––––

 

Migrantinnen und Migranten und ihre Kinder haben deutschen Rap geprägt. Ihr Einfluss wird dank Rappern wie Xatar oder Celo & Abdi immer deutlicher. Letztere legen mit „Mietwagentape“ einen neuen deutschen Straßenrap vor, der von Wortwitz, vielen verschiedenen Sprachen und absurden Reimen lebt.

2011 –––––––––––––––––––––––

Nicki Minajs „Pink Friday“ führt die US-Charts an. Minaj rappt über hart erarbeiteten Erfolg, Geld und ihr Selbstverständnis als „bad bitch“. Das Album ebnet den Weg für die nächste Generation um Cardi B, Megan Thee Stallion oder Doja Cat.

2012 –––––––––––––––––––––––

Cro krönt sich selbst zum „King of Raop“ (Rap + Pop). Mit Peter Fox („Stadtaffe“) oder Casper („XOXO“) zeigen auch andere, dass deutscher Rap vielseitiger ist als sein Ruf.

2014 –––––––––––––––––––––––

„Russisch Roulette“ von Haftbefehl verändert alles. Der Offenbacher erzählt ultrapräzise aus den Crackküchen, Saunaclubs und Armutsmilieus, die die Mehrheitsgesellschaft sonst nur aus Reality-TV-Dokus kennt. Neu ist aber vor allem seine Sprache: ein Flow aus kurdischen, arabischen, türkischen, zazaischen, bosnischen, armenischen und deutschen Vokabeln. Sein Rap lässt viele Menschen (und nächste Rap-Generationen) selbstbewusster ihre zweite oder dritte Muttersprache sprechen.

 

2015 ––––––––––––––––––––––––

Schwesta Ewa oder SXTN zeigen, dass Rapperinnen kontrovers und trotzdem verdammt erfolgreich sein können. Shirin David ist schon eine bekannte YouTuberin, als sie mit einem Sabrina-Setlur-Cover chartet.

2015 ––––––––––––––––––––––––

Kendrick Lamars „Alright“ ist einer der zentralen Protestsongs der Black-Lives-Matter Bewegung.

2016 ––––––––––––––––––––––––

RAF Camora und Bonez MC etablieren mit dem Album „Palmen aus Plastik“ einen neuen Deutschrap, der sich an karibischen und westafrikanischen Sounds bedient.

2017 –––––––––––––––––––––––

In „Grauer Beton“ reflektiert Trettmann seine Plattenbaukindheit in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) und die Nachwendezeit im Osten. Durch ihn, Marteria, Kraftklub, Zugezogen Maskulin, Finch, MC Bomber und andere werden die ostdeutschen Geschichten im Rap lauter.

2018 –––––––––––––––––––––––

Kendrick Lamar kriegt als erster Rapper den Pulitzer-Preis. Kollegah und Farid Bang gewinnen auch etwas: einen Echo. Für viele ist das ein Skandal, weil beide auch antisemitische Zeilen rappen. Der Musikpreis wird daraufhin abgeschafft.

2018 –––––––––––––––––––––––

Louis Vuitton holt Virgil Abloh als Kreativdirektor. Er ist der erste Afroamerikaner in einer solchen Position und kommt aus der Hip-Hop-Kultur.

2019 –––––––––––––––––––––––

Capital Bra landet seinen 13. Nummer-eins-Hit – und überholt damit die Beatles an der Spitze der deutschen Charts-Geschichte.

2019 –––––––––––––––––––––––

In „Old Town Road“ kreuzt Lil Nas X Rap und Country. Ein Schwarzer Rapper, der Countryhits landet: für viele Fans ein Fehler im System. Lil Nas X kann es egal sein: Er verkauft Millionen Alben, er ist der neue Superstar. Und offen schwul. Immer noch eine Seltenheit im Rap.

2019 –––––––––––––––––––––––

Kollegah lehrt in Onlineseminaren, worauf es im Leben ankommt. Teilnahmegebühr für das „Alpha Mentoring“: 2.000 Euro. Andere Rapperinnen und Rapper verkaufen Vapes, Tiefkühlpizza, Shishatabak und vor allem Eistee.

2020 –––––––––––––––––––––––

Bei einem Konzert im Videospiel „Fortnite“ tritt Travis Scott als Avatar vor mehr als zwölf Millionen Gamern und Gamerinnen auf. Sein größter Liveauftritt, mitten im Corona-Lockdown.

2021 –––––––––––––––––––––––

Eine Frau wirft dem Rapper Samra vor, sie vergewaltigt zu haben. Unter #DeutschrapMeToo erzählen Betroffene von Übergriffen und Machtmissbrauch im Deutschrap.

2023 –––––––––––––––––––––––

Missy Elliott ist die erste Rapperin in der Rock & Roll Hall of Fame.

2023 –––––––––––––––––––––––

Ghostwriter977 veröffentlicht Songs mit Travis Scott, 21 Savage und The Weeknd – indem er eine künstliche Intelligenz die Stimmen der Stars rappen lässt. Sein Erfolg ist groß, wirft aber Fragen auf: Sind solche Deepfakes die Zukunft der Musikindustrie – oder einfach Urheberrechtsverletzungen?

2023 –––––––––––––––––––––––

Für „Friesenjung“ tun sich Ski Aggu, der niederländische Rapper Joost und das Humordenkmal Otto Waalkes zusammen. Der Techno-Rap-Remix geht über TikTok bis auf Platz eins der Charts. Und reanimiert eine tot geglaubte Debatte: Ist das noch Rap?

2024 –––––––––––––––––––––––

Drake erreicht als erster Musiker 100 Milliarden Spotify-Streams.

Dieser Beitrag ist im fluter Nr. 93 „Rap” erschienen. 
Das ganze Heft findet ihr hier.

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