Ich bin 55 Jahre alt und habe 30 Jahre lang in verschiedenen Büros als Sekretärin gearbeitet, die vergangenen vier Jahre war ich bei einem Paketdienst beschäftigt, bis man mich auch dort entlassen hat. Ich konnte meine Miete nicht mehr bezahlen und musste die Wohnung räumen. Das war im November 2018, kurz nach Thanksgiving.
Seitdem lebe ich in meinem Kleinwagen, einem grauen Chevrolet Spark, der bis unters Dach mit meinen Habseligkeiten vollgestopft ist. Viel bewege ich den nicht, ich muss ja sparen, nur manchmal fahre ich zu McDonald’s oder Starbucks und setze mich dort still an einen der Tische. Ich kann deren WLAN benutzen, und niemand sagt etwas, auch wenn ich nichts bestelle.
Nachts stelle ich mich mit dem Wagen dann in eine ruhigere Seitenstraße hier in Virginia, nicht weit von Washington D. C. Man sieht, die Scheiben sind heute früh von innen beschlagen. Draußen haben wir Minusgrade, es war wieder eine kalte Nacht. Mir fehlen mein Bett, die Wärme und der Komfort, meine Beine ausstrecken zu können, ohne dass meine Füße kalt werden. Ich würde ja gerne auf dem Rücksitz schlafen, das wäre bequemer, aber da ist alles voll mit meinen Sachen. Deshalb liege ich immer quer ausgestreckt über dem Fahrer- und Beifahrersitz mit zwei Decken und zwei Schlafsäcken.
Wenn ich nachts wach liege, denke ich oft an meine Katze Miss Kitty. Sie lebt jetzt in einem Tierheim, wo ich sie möglichst oft besuche. Meine Mutter ist 2012 gestorben, mein Vater im vergangenen August. Er war Lutheraner, hat mehr als 60 Jahre als Pastor gearbeitet und mir gesagt, dass ich meinen Glauben benutzen soll, um aus Krisen wieder herauszukommen. Ich habe natürlich gezweifelt und mich gefragt: Warum ich, was habe ich bloß getan, dass mich dieses Schicksal ereilt?
Kurz vor der Räumung meiner letzten Wohnung haben mir Freunde geholfen, einige meiner Möbel in einem Mietcontainer einzulagern. Ich habe ein paar Ersparnisse, aber das Leben ist auch ohne Obdach teuer, weil ich noch Steuerschulden und ausstehende Kreditkartenrechnungen begleichen muss. Zum Glück kann ich in einer christlichen Einrichtung für Obdachlose essen, duschen und meine Kleidung waschen. Auch eine Krankenschwester gibt es da und einen Sachbearbeiter, der einem bei der Jobsuche hilft. Zwischendurch lade ich dort mein Mobiltelefon und mein Tablet auf. Natürlich hilft es für die Jobsuche auch, zumindest noch ein Auto zu haben. Ich kann zu Vorstellungsgesprächen fahren und muss mich nicht auf öffentliche Verkehrsmittel verlassen.
Ich könnte auch in einem Obdachlosenheim unterkommen. Als Frau fühle ich mich dort aber nicht sicher, also bleibe ich lieber in meinem Auto. Am Anfang hat die Polizei immer mal wieder an mein Fenster geklopft. Sie haben gefragt, ob ich eine Wasserflasche oder eine Decke bräuchte. Später haben sie mich in Ruhe gelassen, waren aber immer freundlich zu mir.
Was ich besonders vermisse? Einen Fernseher, Elektrizität, fließend Wasser, die Heizung im Winter. In einer idealen Welt habe ich bald wieder einen Job und finde ein Zuhause für mich und meine Katze.
Fotos: Daniel C. Schmidt