Worum geht’s?
Um die Ereignisse an ein paar sehr heißen Julitagen im New Yorker Viertel Washington Heights. Erzählt und gesungen („In the Heights“ ist ein Musical) werden sie aus der Sicht von Usnavi, einem Endzwanziger, der wie die meisten Menschen in diesem nördlichsten Teil von Manhattan lateinamerikanische Wurzeln hat. In seiner kleinen Bodega verkauft er Kaffee, Zeitungen, Kondome und alles, was man sonst zum Leben braucht. Dabei träumt er von der Dominikanischen Republik, der Heimat seiner verstorbenen Eltern. Und von Vanessa, der coolsten Frau der Nachbarschaft.
Worum geht’s eigentlich?
„In diesem Viertel kannst du keine zwei Schritte machen, ohne dass du auf den großen Plan von irgendjemandem stößt“, fasst es eingangs ein Anwalt zusammen, der für Usnavi die alte Strandbar seines Vaters in der Dominikanischen Republik ausfindig machen soll. Jeder hat hier einen „sueñito“, einen kleinen (oder größeren) Traum: Usnavis Ersatzoma Claudia träumt vom Lottogewinn, seine angebetete Vanessa von einer Wohnung in einem der „besseren“ Stadtteile New Yorks, und Usnavis beste Freundin Nina soll als Erste ihrer Familie studieren. „In the Heights“ erzählt von den Gründen, die Menschen dazu bringen auszuwandern, aber noch mehr von der Frage, was danach passiert: Wann wird das neue Zuhause zur Heimat? Und was, wenn einem diese Heimat genommen wird? Denn auch in Washington Heights ist die Gentrifizierung angekommen, und die Orte, die für den Zusammenhalt der Bewohner:innen wichtig waren, verschwinden langsam.
Gut zu wissen:
Hinter „In the Heights“, das 2005 schon als Bühnenstück Premiere feierte, steckt der Autor, Komponist und Schauspieler Lin-Manuel Miranda. Weltberühmt machte ihn 2015 sein Musical „Hamilton“ über einen der US-amerikanischen „Gründerväter“. Das Stück wurde damals nicht nur für die innovative Mischung aus Hip-Hop und Popmusik gefeiert, sondern auch für die Besetzung. Miranda ließ die historisch weißen Figuren von nichtweißen Schauspieler:innen spielen. Einen ähnlichen Befreiungsschlag erhofften sich viele von der Verfilmung von „In the Heights“. Hollywood hat Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln bisher schließlich wenig teilhaben lassen. Im Jahr 2020 gingen nur fünf Prozent der Sprechrollen in den 100 größten Hollywoodfilmen an Schauspieler:innen aus dieser Gruppe. Dabei macht sie in den USA 18 Prozent der Bevölkerung aus. Beim US-amerikanischen Kinostart von „In the Heights“ gab es trotzdem Kritik. Denn die Darsteller:innen haben zwar fast alle lateinamerikanische Wurzeln, sie haben aber auch fast alle sehr helle Haut. Damit würden Miranda und sein Regisseur Jon M. Chu die Gruppe der Afrolatinos aus ihrer Erzählung ausschließen, so der Vorwurf, obwohl gerade die einen Großteil der Bewohner:innen von Washington Heights ausmachen. Miranda gab seinen Kritiker:innen recht und versprach, es beim nächsten Film besser machen zu wollen.
Wie wird’s erzählt?
Rappend, scratchend, mambotanzend. „In the Heights“ ist ein Sammelsurium aus Stilen und Referenzen. Wie alle guten Musicals schafft es der Film, dass sich der Wechsel aus Musik und gesprochenen Dialogen ganz natürlich anfühlt. Das gilt auch für die Grenzen zwischen Realität und Fantasie, die so fließend sind, dass man sich beim Verlassen des Kinos enttäuscht fragen möchte, warum hier draußen keine Wasserschläuche im Takt spritzen, Gummideckel als Plattenteller dienen oder Liebespaare die Hauswände hinauftanzen.
Ideal für …
… Menschen, die in keinem Stau mehr stehen können, ohne an die Anfangsszene von „La La Land“ zu denken. Das Überwältigungspotenzial, das in diesem kollektiven Autodächer-Tanz liegt, findet man auch in „In the Heights“ wieder – und zwar in jeder zweiten Szene. Von der Eingangsnummer, in der Dutzende Passanten auf der Kreuzung vor Usnavis Laden breakdancen, bis zum Wasserreifen-Ballett, in das sämtliche Schwimmer:innen des Stadtteil-Freibads ausbrechen: „In the Heights“ ist so übermütig und mitreißend, dass man sich fragt, ob Usnavi nicht noch etwas anderes als „leche“ in seinen viel gerühmten „café“ schüttet.
Good Job!
„In the Heights“ ist der ideale Film, um nach anderthalb Jahren Pandemie dem Gemeinschaftserlebnis Kino zu frönen. Bei aller Sommer-Blockbuster-Gefühligkeit driftet er aber nie ins Sozialkitschige ab. Sicher, „In the Heights“ feiert die Bewohner:innen von Washington Heights für ihre Widerstandskraft und den Stolz auf ihre kulturellen Wurzeln. Er romantisiert aber nicht die prekären Verhältnisse, in denen viele von ihnen leben, oder die schmerzhaften Erfahrungen, die einige von ihnen mit sich herumtragen. Usnavis Ersatzoma Claudia etwa wird noch nach Jahrzehnten von den Demütigungen eingeholt, die sie, gerade aus Kuba emigriert, als Haushälterin in der Upper East Side erlebte. Usnavis Freundin Nina wiederum ist in den USA geboren, erfährt aber auf der Eliteuniversität, an der sie studiert, trotzdem regelmäßig Diskriminierung – so etwa, als man sie auf einer Veranstaltung nicht für eine Studentin, sondern für eine Kellnerin hält. Es sind solche Details, die „In the Heights“ ganz beiläufig zu einem politischen Film machen. „Tell our stories“ – erzähl unsere Geschichten –, fordern in einer Szene ein paar Demonstranten, die für die Anerkennung der „Dreamer“ protestieren, jene Menschen, die seit ihrer Kindheit ohne Papiere in den USA leben. Genau das tut „In the Heights“. Und bei der Ohrwurmdichte des Films wird man die Geschichten wohl nicht so bald vergessen.
„In the Heights“ startet am 22. Juli in den deutschen Kinos.
Titelbild: Warner Bros.