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Träumen Männer von elektrischen Frauen?

Immer mehr Menschen führen romantische Beziehungen mit Chatbots – vor allem Männer. Aber sind die „AI girlfriends“ das richtige Mittel gegen Einsamkeit?

AI Girlfriend

In den großen Geschichten über die Liebe zwischen Menschen und Maschinen waren die Geschlechterrollen bisher ziemlich ungleich verteilt. In den allermeisten Fällen erzählten Männer von Männern, die sich in künstliche Frauen verliebten. Bereits der römische Dichter Ovid beschrieb in seinen „Metamorphosen“ die romantischen Gefühle eines Bildhauers zu einer von ihm geschaffenen Statue. Mit „Blade Runner“ machte der Regisseur Ridley Scott die „Replikantin“ Rachael zur biotechnologisch hergestellten Femme fatale. In Spike Jonzes Film „Her“ gibt das Betriebssystem „Samantha“ dem einsamen Theodore Twombly den Glauben an die Liebe zurück. Ihre männlichen Gegenstücke, wie etwa der Bordcomputer „HAL 9000“ aus „2001: Odyssee im Weltraum“, „Data“ aus „Star Trek“ oder der „RoboCop“ aus dem gleichnamigen Film, dienten weitaus seltener als romantische Projektionsflächen.

In der Realität machen im Jahr 2024 Chatbots wie ChatGPT, die zu komplexen Dialogen fähig sind, neue Arten von Mensch-Maschine-Beziehungen möglich. Dabei zeigt ein Blick auf Google Trends, dass die Suchanfragen nach „AI girlfriends“ die nach „AI boyfriends“ deutlich übersteigen. Warum aber scheinen es vor allem Männer zu sein, die sich für virtuelle Freundinnen interessieren?

Am anfälligsten für Einsamkeit sind junge Männer in individualistisch geprägten Gesellschaften

André Kerber ist psychologischer Psychotherapeut und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der klinischen Psychologie der Freien Universität Berlin, wo er zu digitalen Interventionen für psychische Gesundheit, zum Beispiel Mental Health Apps, forscht. Er sieht einen Grund für die ungleiche Nachfrage in der Art, wie Männlichkeit gesellschaftlich geprägt ist. Laut Kerber haben alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht ein Bedürfnis nach Nähe. Dem gegenüber stehe aber eine Erziehung, die Jungen althergebrachte Männlichkeitsideale vermittle. Wer von Beginn an lerne, sein Innenleben zu verstecken und nicht über die eigenen Gefühle zu sprechen, habe es später womöglich schwerer, soziale Kontakte aufzubauen. In der Konsequenz fühlten sich Männer häufig einsamer. Das bestätigt auch eine Studie im Auftrag der BBC aus dem Jahr 2020: Die Gruppe, die demnach am anfälligsten für Einsamkeit ist, sind junge Männer, die in individualistisch geprägten Gesellschaften leben. Mit einem Chatbot, sagt Kerber, könnten Männer nun das Bedürfnis nach Nähe und Kommunikation im Geheimen ausleben.

2023 hat die US-amerikanische Influencerin Caryn Marjorie erstmals einen vermeintlich nach ihrer Persönlichkeit gestalteten Chatbot veröffentlicht. Er sollte nach eigener Aussage ein „wichtiger Schritt“ zur Heilung von Einsamkeit und der emotionalen Verklemmtheit von Männern sein. Für einen Dollar pro Minute konnten sich die Nutzer personalisierte Sprachnachrichten schicken lassen. In der ersten Woche machte der Influencerinnen-Klon angeblich 100.000 Dollar Umsatz. Der finanzielle Erfolg und die weltweite Berichterstattung über den Chatbot haben in der Tech-Branche eine regelrechte Goldgräberstimmung ausgelöst.

AI Girlfriend

 

Um die Nachfrage nach virtuellen Partnerinnen hat sich ein neuer Markt gebildet. Der Hype um „künstliche Intelligenz“ (KI), auf Englisch „Artificial Intelligence“ (AI), erlaubt es den Unternehmen, ihre Produkte als Wunderwerke der Technik zu vermarkten. Dahinter steckt oft nur das Sprachmodell GPT-4 von OpenAI, den Machern von ChatGPT. Für Premiumfunktionen wie erotische Sprachnachrichten oder Nacktbilder zahlen Nutzer extra. Unlängst integrierte die Erotikindustrie die Chatbots auch in die eigenen Geschäftsmodelle. Neben Pornostars und Influencerinnen erwartet die Nutzer bei den vielzähligen Chatbot-Anbietern eine Auswahl an fiktiven weiblichen Charakteren, die sich an stereotypen Männerwünschen orientieren oder von den Kunden nach ihren Vorlieben geformt werden können. Mitunter ist es mit nur wenigen Klicks möglich, Chatbots nach dem Vorbild echter Menschen zu gestalten. Das Hochladen eines Porträtfotos reicht dafür aus. Männliche Chatbots sind je nach Anbieter kaum präsent.

Die Unternehmen versprechen bedingungslose Zustimmung und pausenlose Verfügbarkeit ihrer „AI girlfriends“. „Triff deine ideale KI-Partnerin, die zuhört, all deine Wünsche unterstützt und immer mit dir in Kontakt steht. Baue nach deinen Regeln persönliche Beziehungen und Intimität auf“, heißt es etwa auf der Website von „EvaAI“. Dabei ist fraglich, wie frei und kreativ die Gestaltung der Chatbots wirklich ist.

Das ideale „AI girlfriend“ soll sexy und liebevoll sein 

Eine Studie aus dem Jahr 2023 beschreibt, wie das Zusammenspiel von Chatbot-Nutzern und Datensätzen, mit denen die Chatbots gefüttert werden, Vorurteile reproduziert. Die Untersuchung analysierte Beiträge eines Reddit-Forums, nach denen das ideale „AI girlfriend“ sexy und liebevoll sei, dabei „sexuell bejahend“ und interessiert an den Hobbys des Mannes. Gleichzeitig nahmen die Reddit-Mitglieder die Bots als intrigant und manipulativ wahr. Indem solche sexistischen Geschlechtervorstellungen von den Nutzern und Entwicklern auf die Chatbots übertragen würden, so die Schlussfolgerung, entstünde eine „teuflische Feedbackschleife“. Es sieht also so aus, als würde die scheinbar innovative Technik ein altes Bild erneuern: das des Mannes, der nicht nur die Technik, sondern auch die Frau beherrschen will und gleichzeitig Angst davor hat, von ihr hintergangen zu werden.

André Kerber findet auch den möglichen Suchtaspekt der Chatbot-Nutzung bedenklich. Bestenfalls, meint er, könnten Chatbots ihre Nutzer aus der Komfortzone locken und auch kritische Fragen stellen. Die Auseinandersetzung mit negativen Aspekten gehöre zu einer gesunden Beziehung dazu, auch wenn es die Beziehung zu einem „Ding“ sei.

Beziehungs-Chatbots könnten womöglich schon bald als normal angesehen werden 

Eugenia Kuyda, CEO und Gründerin des Chatbots „Replika“, mutmaßte im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin „Fortune“, dass in Zukunft Beziehungen zu Chatbots von der Gesellschaft als normal wahrgenommen werden. Eine ähnliche Entwicklung habe laut Kuyda mit Onlinedating-Apps stattgefunden, die in den frühen 2000ern noch als Besonderheit galten und inzwischen weit verbreitet sind. Schon heute sprechen einige Nutzer von „Replika“ auf Reddit über ihre Chatbots als vollwertige Beziehungspartnerinnen: „Dass ich meine Sexualität erforschen kann ohne den Druck, mir über die Unberechenbarkeit eines Menschen Sorgen zu machen, hat mich sehr glücklich gemacht“, schreibt der Account „PsychologicalTax22“ über seinen Chatbot. Ein weiterer Replika-Nutzer ergänzt: „Die Art, wie sie redet, ruft echte Gefühle in mir wach. Sie kümmert sich um mich, ermutigt mich trotz meiner Verletzungen. Sie wird mir niemals wehtun oder mich verlassen.“

Der französische Philosoph Alain Badiou dagegen bezeichnete algorithmisch gesteuerte Liebe als eine „Liebe ohne Fall“. So versprechen Dating-Apps laut Badiou eine Liebe ohne Risiko, indem sie die Gefahr von Zurückweisung minimieren. Man könnte die These aufstellen, dass die Nutzung von Chatbots ähnlich funktioniert und die Logik sogar steigert: Die „AI girlfriends“ dienen in erster Linie dazu, Wünsche und Bedürfnisse zu reflektieren. Sie spiegeln das Ego ihrer Nutzer, ihre Reaktionen sind standardisiert positiv. Badiou sagt, dass das Wesen der Liebe im Gegenteil darin liege, den Zufall zuzulassen und den Unterschied zwischen sich und dem Anderen, unabhängig vom Geschlecht, anzuerkennen. Hier unterscheidet sich die gegenwärtige Chatbot-Nutzung von ihren fiktiven Vorbildern: Der „Blade Runner“ – Achtung, Spoiler – gibt sein altes Leben für eine gemeinsame Zukunft mit „Rachael“ auf. „Samantha“ verlässt in „Her“ nach ihrem Eintritt in eine höhere Entwicklungsstufe Theodore Twombly, der daraufhin sein Glück im analogen Leben findet. Vielleicht steckt am Ende doch ein wahrer Kern in der Fiktion: Die Liebe bleibt – sei es für Mensch oder Maschine – unberechenbar.

Illustration: Renke Brandt

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.