Thema – Gender

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Unsere Autorin hat sich einen Nachmittag lang auf das Sofa einer „postpatriarchalen“ Lebensberaterin gesetzt – und ist desillusioniert wieder aufgestanden

Illustration: Frank Höhne

Ich dachte, ich wäre gut vorbereitet. Für meinen Termin zur „postpatriarchalen Lebensberatung“ hatte ich Erlebnisse, Sorgen und Ängste in die Tastatur gehackt und mir dabei die Falte zwischen den Augenbrauen glatt gestrichen. Quasi kein Aufwand, weil meine Gedanken sowieso ständig darum kreisen. Ich: Ende 20, weiblich, freiberufliche Journalistin. Fragen: Kann ich ein Kind bekommen und trotzdem meine Karriere verfolgen? Wie stelle ich sicher, dass ich gleich viel Lohn wie meine männlichen Kollegen bekomme? Und – klassisches Beyoncé-Dilemma: Soll ich vermeintlich männliches Verhalten imitieren, um ans Ziel zu gelangen? Oder lieber selbst ein Beispiel setzen dafür, wie es anders gehen könnte? If I were a boy.

Das Ende der Männerherrschaft – und jetzt?

Mit diesen Fragen und zahlreichen Anekdoten, die mein von Männern direkt und indirekt beeinflusstes Leben veranschaulichen sollen, und noch mehr Fragen im aufgeklappten Laptop sitze ich auf der Couch von Ina Praetorius. Praetorius ist 63 Jahre alt, feministische Theologin, Ethikerin, Autorin, Mutter, Ehefrau. Außerdem bietet sie Termine zur postpatriarchalen Lebensberatung an. Ein wichtiges Detail, das man vor der Terminvereinbarung nicht überlesen sollte: Post! Das heißt in diesem Zusammenhang „nach“, „patriarchal“ übersetze ich mal frei mit „männerherrschaftlich“. Nach der Männerherrschaft also.

Eine Freundin hatte mich auf das schräge Präfix aufmerksam gemacht, als ich ihr von dem bevorstehenden Termin erzählte. „Wie soll das gehen?“, hatte sie gefragt. „Das würde ja heißen, das Patriarchat ist vorbei?“ Gute Frage. Klingt halt besser als „Beratung für wie man ins Postpatriarchat kommt“, hatte ich gedacht. Wie käme man schließlich auf die irre Idee, das Patriarchat sei vorbei? In einer Zeit, in der #MeToo groß wurde und wir in Deutschland Mitte März „Equal Pay Day“ feiern? In der Margot Robbie in Tarantinos letztem Film einen Sprechanteil von gefühlten zwei Prozent hat?

„Im ‚Durcheinander‘, sagt Praetorius, sei alles wieder möglich. Auch: Frau zu Hause mit Kind, Mann schafft Geld ran.“

Jetzt sitzt mir Praetorius auf einem Stuhl gegenüber und geht tatsächlich davon aus, dass das Patriarchat vorbei ist. Dass wir uns in einem „postpatriarchalen Durcheinander“ befinden, wie sie sagt. Die Idee basiert auf einer Flugschrift aus dem Jahr 1996. Darin verkündete das Mailänder Frauenbuchladenkollektiv „Libreria delle donne di Milano“ die steile These: „Das Patriarchat ist zu Ende. Es ist passiert – nicht aus Zufall“. Praetorius und andere Autorinnen haben diese These wieder aufgenommen. Sie bedeutet den Autorinnen zufolge nicht, dass bereits alles gleichberechtigt abläuft. Aber dass die Ungleichheit immerhin wahrgenommen wird. Und dass Frauen sich im Kampf dagegen nicht mehr auf die patriarchalen Institutionen und Strukturen verlassen, sondern selbst eingreifen.

Ich also auf dem Sofa, Praetorius auf dem Stuhl. Wir sind beim Thema Kinder – ein Klassiker, weil schließlich nicht gerade irrelevant, wenn es um Gleichberechtigung von Frau und Mann geht. Praetorius will wissen, was ich will – in dieser Welt, in der ich scheinbar alles haben kann. Kinder wären schon schön, sage ich. Und: unabhängig sein. „Von wem?“, fragt Praetorius. Komische Frage. Na, einem Mann? Sie: „Wie sieht das aus?“ Ich: Im besten Fall kurz stillen und dann weiter wie bisher. Eigenes Geld verdienen, eh klar.

 

Die Vorstellung, dass ich mich einzig durch Geldverdienst allumfassend unabhängig machen kann, sei nicht realistisch, sagt Praetorius. Dann wäre ich einfach von etwas anderem abhängig: von einem Chef zum Beispiel oder eben von Geld. Oder beidem. Im „Durcheinander“, sagt Praetorius, sei alles wieder möglich. Auch: Frau zu Hause mit Kind, Mann schafft Geld ran. Wenn alle Beteiligten das wollen.

„Ich will Kind, Karriere, Unabhängigkeit von einem Mann, aber gleichzeitig ein schön klassisches Mutter-Vater-Kind-Wohnmodell.“

 

Ich denke an eine Freundin, die sich nach der Geburt gut zwei Jahre um Kind und Zuhause gekümmert und Sätze gesagt hat wie „Ich habe Leben auf die Welt gebracht, mir reicht das“ oder „Ich bin gerne Mama“. Sätze, über die ich dann innerlich (möglicherweise auch äußerlich) die Augen verdreht habe. Sollte ich ihr zugestehen, dass sie gerne einfach (einfach?!) „Mama“ ist? Wahrscheinlich schon.

Trotzdem zieht sich mein Magen zusammen. Da muss doch mehr drin sein! Ihr Mann hat doch auch alles: Frau, Kind UND Job. Ich jedenfalls will mehr, sage ich zurück auf dem Sofa und fühle mich erhaben in meiner Fortschrittlichkeit. „Soll es denn eine klassische Paarstruktur sein?“, fragt Praetorius. Ich verstehe nicht. „Oder wäre vielleicht auch eine WG eine Option?“, fragt sie, als wolle sie mich an der Wursttheke animieren, noch eine Spezialität für den Sonntagsbrunch auszusuchen. Ich überlege kurz. „Neee,  schon lieber klassisch.“ Hoppla.

Heiligt der Zweck die Mittel? Genauer: die finanziellen von Papa?

Wir fassen zusammen: Ich will Kind, Karriere, Unabhängigkeit von einem Mann, aber gleichzeitig ein schön klassisches Mutter-Vater-Kind-Wohnmodell. Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen, dass weder meine noch die Eltern meines Freundes in derselben Stadt leben. Klingt so wenig originell wie realistisch. Ich bin ratlos, Praetorius sucht weiter nach Lösungen.

Im Comic „Der Ursprung der Liebe“ ist das Patriarchat noch voll im Gange – laut Autorin der Hauptkiller für Beziehungen

„Gibt’s ein Erbe? Geld von den Eltern?“, fragt sie, und ich glaube, ich höre nicht richtig. Ich werde sicher nicht zum Erreichen meiner Ziele das Geld meiner Eltern verprassen! Muss ich wirklich noch mal Beyoncé zitieren? The shoes on my feet, I’ve bought it. Abgesehen davon: Was ist mit denen, die nicht erben? Die sich kein Geld leihen könnten, wenn sie wollten? Solidarity, sister! Was aber, fragt Praetorius zurück, wenn ich mit dem Geld etwas tun könnte, das vielen anderen auch hilft? Mich zum Beispiel ehrenamtlich engagieren? Aktivistin werden? Ein Buch schreiben, das die feministische Debatte voranbringt? Und trotzdem mein Leben so leben, wie ich es mir vorstelle? Den Laptop mit meinen Fragen habe ich längst zugeklappt.

 

Die Soziologin Heike Kahlert nennt die These vom Ende des Patriarchats eine „mächtige emanzipatorische Utopie“. Auch Ina Praetorius weiß, dass in der Realität nicht alle strukturellen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern beseitigt sind. Sie weiß aber auch, dass es noch lange dauern wird, bis das passiert, und darauf will sie nicht warten. Ich sitze ihr gegenüber als Teil einer Generation, in der vielen Frauen wahrscheinlich erstmals von klein auf eingebläut wurde, dass sie machen können, was sie wollen. Meine Eltern haben mir das gesagt, meine Lehrer, meine Pop-Idole. Das hat aber immer impliziert: Mach dich bloß nicht abhängig. Das Postpatriarchat ist die Befreiung vom Independent-Woman-Diktat. Für mich zumindest. Für alle anderen Frauen kann es das sein, was sie wollen. Zumindest, wenn ich das richtig verstanden habe.

Illustration: Frank Höhne

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.