Das Heft – Nr. 91

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Editorial

Zum fluter-Heft Streiten

Wo gestritten wird, ist Leidenschaft, Frust und Wut. Einmal in Rage, werfen wir uns so einiges an den Kopf, weil wir einander einfach nicht verstehen oder die Schuld nicht bei uns selbst sehen. Ein Streit tut oft noch Jahre später weh, egal, ob sich die Eltern verkrachen oder die Clique, in der gestern alle noch Freunde fürs Leben sein wollten.

In der öffentlichen Debatte scheinen die Streitigkeiten unversöhnlicher zu werden: links gegen rechts, Klimaaktivisten gegen Status-quo-Beharrer, Gen Z gegen Boomer, oft scheint es nur noch schwarz und weiß zu geben. In diesem Lagerdenken ist Streit längst zur harten Währung geworden. Aus Provokation wird Aufmerksamkeit, werden Klicks, Sendezeit oder Schlagzeilen. Provokation verkauft sich. Und verunmöglicht fairen Streit.

Der hört auch dort auf, wo Streitigkeiten in Gewalt eskalieren. Dort, wo eine Seite mehr Macht hat und der anderen keine Augenhöhe zugesteht. Dort, wo sich die Fronten so verhärtet haben, dass nicht mehr die Lösung zählt, sondern der größtmögliche Schaden beim Gegenüber. Aus solchen Streits mag eine oder einer als Gewinner hervorgehen, am Ende aber haben beide verloren.

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Worüber wir als Gesellschaft streiten, zeigt, wo es Probleme gibt. Wie wir die Konflikte lösen, zeigt, ob wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln. Deshalb gibt es feste Arenen des Streits. Hier ist er das legitime Werkzeug, weil gemeinsam gesetzte Regeln dem Streiten Grenzen und Ziele setzen. Sei es in Parlamenten oder im Arbeitskampf: Am Ende geht es allen um eine Einigung. Auch auf den Straßen wird demokratisch gestritten, für Mitbestimmung, Gerechtigkeit, Solidarität und für die Demokratie selbst.

Streiten ist wichtig, klar. Aber nicht nur, dass gestritten wird, ist zentral, sondern vor allem, wie gestritten wird. In der Auseinandersetzung für unsere Bedürfnisse und Werte sollten wir beharrlich sein, aber zugewandt bleiben.

Manchmal braucht es Streit, damit sich etwas verändert. Damit man einander verstehen und die Perspektive des Gegenübers zum Anlass nehmen kann, einen guten Kompromiss zu finden. Streitend wächst man aneinander. Und nicht zuletzt: Wer bereit ist, zu streiten, zeigt seinem Gegenüber auch: Du bist es mir wert.

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