Die Jugend, schönste Zeit des Lebens, zumindest die mit der größten Freiheit. Liest man Studien zur finanziellen Situation junger Menschen, ist diese Erzählung fraglich. Keine Altersgruppe hat in Deutschland ein so großes Armutsrisiko wie 18- bis 25-Jährige. Sie leiden besonders unter den verschiedenen Krisen, der Pandemie, der Inflation, den hohen Energie- und Mietpreisen. Ein WG-Zimmer in Deutschland kostet durchschnittlich 458 Euro warm, in Städten wie München, Frankfurt oder Hamburg deutlich mehr – bei einem BAföG-Höchstsatz von 934 Euro. Und wer für Ausbildung oder Studium neu in eine Stadt kommt, dem fehlt meist das Netzwerk, um an ein günstiges Zimmer zu kommen. Den Auszug können sich viele nicht leisten: Sie gehen gar nicht erst – oder müssen notgedrungen wieder zu Hause einziehen. Hier berichten vier von ihnen.
Lukas, 23, Augsburg, studiert Informatik
Ich habe zweimal versucht, in München zu wohnen. Erst zwei Monate im Studi-Wohnheim, dann sechs zur Untermiete im Keller eines Einfamilienhauses. Der hatte wenig Tageslicht, meine Toilette wurde von der Familie und ihren Gästen mitgenutzt, obwohl das anders abgesprochen war. Ich fühlte mich nicht wohl, aber inzwischen haben selbst Zimmer mit neun Quadratmetern über 500 Euro gekostet. Das hätte ich mir nicht leisten können, ohne viel zu arbeiten und dabei die Uni zu vernachlässigen. Also bin ich zurück nach Augsburg, in die Wohnung meiner Mutter.
Zu den Vorlesungen und Seminaren bin ich mit dem Zug gefahren. Ich studiere Informatik und Computerlinguistik. Ende des Sommers ist es geschafft, ich habe gerade meine Bachelorarbeit verteidigt. Mein Studium hat mir immer Spaß gemacht, aber zwischendurch war ich überfordert. Ich hatte lange einen Nebenjob als Softwareingenieur bei einem Onlineportal, 20 Stunden die Woche. Das war wie Tauziehen: Ich hatte das Gefühl, weder dem Studium noch der Arbeit gerecht zu werden. Aber weil ich zu Hause rauswollte, konnte ich auf das Geld nicht verzichten.
„Zweimal wurden die BAföG-Zahlungen ausgesetzt, einmal für sechs, dann noch mal für zwölf Monate. Einfach so“
Von meiner Mutter habe ich das Kindergeld bekommen und am Anfang 180 Euro BAföG. Erst Mitte des letzten Semesters bekam ich 780 Euro, weil mein Vater in Frührente ging und nicht mehr bei uns wohnte. Der Höchstsatz liegt bei rund 930 Euro. Beim BAföG-Amt erklärt einem niemand wirklich, warum man so hohe Abzüge hat. Zweimal wurden die Zahlungen ganz ausgesetzt, einmal für sechs, dann noch mal für zwölf Monate. Einfach so. Meine Eltern haben beide nie viel verdient. Meine Mutter ist Postangestellte, mein Vater war Abbrucharbeiter und später Lkw-Fahrer.
Zu Hause konnte ich wieder in mein altes Zimmer, zum Glück. Aber ich weiß, dass meine Mutter eigentlich ausziehen will aus der großen Wohnung. Wir haben ein gutes Verhältnis. Trotzdem kocht jeder für sich. Ich schaue weiter jeden Tag auf WG-Gesucht, finde aber nichts Bezahlbares. Das fühlt sich an, als würde mich die Stadt nicht haben wollen.
Selbst als die Seminare nach der Pandemie wieder in Präsenz stattfanden, bin ich nur an zwei von drei Tagen nach München gefahren, um das Zugticket zu sparen. (Anm. d. Red.: In Bayern ist kein bayernweites Zugticket in den Studiengebühren inbegriffen.) Ich koche viel mit günstigem Gemüse, aber durch die Inflation sind ja selbst Karotten und Zucchini teurer. Ich gehe gern auf Techno-Partys. Alle paar Wochen leiste ich mir einen Abend im Club. Mit meinem Münchener Freundeskreis habe ich richtig Glück. Viele sind aus migrantischen Familien und haben einen ähnlichen finanziellen Hintergrund. Wir machen gern einfach mal ein Picknick auf der Wiese, da können alle mit.
Antonella, 20, Hamburg, arbeitet als Kellnerin und Lernförderkraft an einer Grundschule
Als ich mit dem Abi fertig war, wollte ich unbedingt ausziehen. Aber in Hamburg hast du als junger Mensch selbst in deiner eigenen Stadt keine Chance, die Miete zu zahlen. Erst mal müssten überhaupt Antworten auf die Wohnungsanfragen kommen, die man täglich verschickt. Auf meine 40 bis 50 Anfragen auf WG-Gesucht kam fast nichts zurück. Eine Besichtigung hatte ich, da stand die Badewanne mitten in der Küche, und der Mitbewohner kam mir seltsam vor. Irgendwann sagte mir eine nette Dreier-WG zu. Elf Quadratmeter, 520 Euro, St. Pauli. Ich habe nicht lange überlegt.
Durch die Schule habe ich mich ziemlich gequält. Nach zwölf Jahren brauchte ich eine Auszeit und wollte Lebenserfahrung sammeln. Ich habe in einem Restaurant im Service angefangen. Und als Lernförderkraft. Ich unterstütze die Lehrer in Schulklassen, in denen es viele Schüler mit Lernschwäche oder Sprachproblemen gibt.
„Meine Eltern sind fast in Ohnmacht gefallen, als sie hörten, wie viel Miete ich für das kleine WG-Zimmer mit Schimmel am Fenster zahle“
Mir war von Anfang an wichtig, finanziell unabhängig zu sein. Meine Eltern sind fast in Ohnmacht gefallen, als sie gehört haben, was ich für das kleine WG-Zimmer mit Schimmel am Fenster zahle. Ich bin im Februar eingezogen, es war scheißkalt in der Wohnung. Ich habe mir gleich in der ersten Woche eine Grippe geholt. Die Küche und die Einrichtung waren räudig, da rannten öfter Mäuse rum.
Ich habe lange gezögert, weil mir meine neue Unabhängigkeit so wichtig war. Aber nach drei Monaten habe ich eines Nachts beschlossen: Es geht nicht mehr. Am nächsten Morgen standen meine Freunde in der Tür, um mir beim Auszug zu helfen. Ein paar Kartons stehen hier immer noch rum. Es sollte ja nicht für lange sein.
Meine Eltern sind entspannt, sie verstehen sich supergut mit meinen Freunden. Aber ich bin erwachsen, ich will mein eigenes Leben. Und dann kommen eben doch Erwartungen meiner Mutter, dass es schön wäre, öfter zusammen zu essen. Wenn sie um 17 Uhr von der Arbeit kommt, muss ich aber gerade los zur Schicht im Restaurant.
Ich würde nächstes Jahr gerne nach Leipzig ziehen und Literarisches Schreiben studieren. Auf WG-Gesucht gibt es da noch Zimmer, die größer sind, aber nur 300 bis 400 Euro kosten.
Jonas, 26, Malsfeld, macht ein Duales Studium in Fitnessökonomie
Als meine Freundin und ich uns vor zwei Jahren getrennt haben, bin ich zurück zu meinen Eltern. Übergangsweise. Dachte ich.
Wir wohnen sehr ländlich, in einem Ort in Nordhessen mit 1.200 Einwohnern, rundherum keine größere Stadt, ein Einfamilienhaus am anderen. Da gibt es praktisch nichts zum Mieten. Wenn überhaupt mal eine Wohnung online war, war sie in miesem Zustand oder mit einer Kaltmiete von 400 Euro zu teuer. So viel habe ich zu Anfang des Studiums nicht mal im Monat verdient.
„Wenn ich neue Leute kennenlerne, umschiffe ich die Frage, wo ich wohne.
Die ist mir unangenehm“
Ich mache ein Duales Studium in Fitnessökonomie. Die praktische Ausbildung in einer Physiotherapiepraxis hier bei uns auf dem Land, und zur Hochschule fahre ich einmal im Monat für drei Tage nach Frankfurt. Fahrt, Übernachtung und Studiengebühren zahlt mein Arbeitgeber, dafür ist das Gehalt gering: im ersten Lehrjahr 370 Euro brutto, jetzt, im letzten, 520 Euro.
Meine Mutter war nicht begeistert, als ich wieder vor der Tür stand. Wir sind vier Kinder. Meine Eltern waren froh, dass alle aus dem Haus waren. Das haben sie mich spüren lassen. Meine Mutter will nicht, dass ich noch koche, wenn ich von der Spätschicht komme: Die saubere Küche soll nicht wieder nach Essen riechen. Ich habe ein Jahr intensiv nach einer Wohnung gesucht, aber das hat sie mir nicht geglaubt. Irgendwann hatten wir ein Gespräch. Sie hat gemerkt, wie sehr mich das verletzt. Dann wurde es besser.
In der Physiopraxis habe ich eine 30-Stunden-Woche, daneben hatte ich verschiedene Minijobs: in einer Drive-in-Bäckerei, bei der Volkszählung und auf dem Bau. Mein Studium hat darunter ziemlich gelitten. Mir fehlte die Zeit, mich auf Seminare vorzubereiten und zu lernen. Also habe ich die Jobs irgendwann gelassen. Damit war klar, dass ich mir eine eigene Miete eh nicht leisten kann.
Sobald ich im Frühjahr mit dem Bachelor durch bin, brauche ich dringend ein anderes Setting. Ich will weg. Erst arbeiten, dann vielleicht noch einen Master in Köln an der Sporthochschule. Hier auf dem Land bist du ein Sonderling, wenn du mit 26 noch bei den Eltern wohnst. Wenn ich neue Leute kennenlerne, umschiffe ich die Frage, wo ich wohne. Die ist mir unangenehm.
Philipp, 30, aus einer Gemeinde bei München, arbeitet in einem Fachverlag
Ich habe Journalismus studiert. Der Studiengang ist praktisch angelegt: Wir waren viel zum Recherchieren unterwegs, mussten neben den Vorlesungen Artikel schreiben oder Audio- und Videobeiträge erstellen. Ich hatte nicht die Kraft, nebenbei zu arbeiten. Damit war mein Budget überschaubar: Meine Eltern überwiesen mir monatlich 300 Euro, also das Kindergeld und mein früheres Taschengeld.
Ich habe in einem hübschen bayerischen Städtchen studiert. Aber auch teuer. Für Lebensmittel bin ich mehrmals die Woche containern gegangen. Trotzdem war das Geld meist knapp. Dann musst du schauen, dass du noch genug Sattmacher wie Reis zu Hause hast, um zu überbrücken. Ich hatte zwölf Quadratmeter in einer Vierer-WG. Am Anfang fiel ständig der Strom aus, Küche, Bad und Flur waren nicht beheizbar. Gemütlich war es da nicht.
„Für Lebensmittel bin ich mehrmals die Woche containern gegangen.
Trotzdem war das Geld meist knapp“
2017 hatte ich eine Depression und schwere psychosomatische Probleme. Es war alles nicht mehr auszuhalten. Ich habe kurz vor Abschluss mein Studium geschmissen und bin zurück in meinen Heimatort bei München gezogen, zu meiner Oma. Heute bin ich froh, dass ich das so gemacht habe. Hier habe ich Platz, einen Balkon. Ich wohne im oberen Stockwerk von Omas Reihenhäuschen mit kleinem Garten davor. Am Anfang habe ich freiberuflich gearbeitet, inzwischen bin ich fest in einem Fachverlag als technischer Redakteur.
Meine Oma ist eine beeindruckende Frau. Sie ist 92, war früher Fremdsprachenkorrespondentin und kann sechs Sprachen. Bei ihr unten gibt es fünf Alexas, damit bestellt sie Einkäufe und informiert sich. Manchmal schicke ich ihr ein Rezept per Mail, das kocht sie dann für die Mittagspause. Trotzdem ist sie alte Schule. Sie will nicht, dass ich mit Freunden grille: Das könnte die Nachbarn belästigen.
Mittlerweile wohne ich fünf Jahre bei ihr. Ich bleibe, bis ich mir was Eigenes kaufen kann. Ich bin null bereit, mit meiner Miete jeden Monat den Kredit von jemand anderem abzubezahlen.