2016 war ein merkwürdiges Jahr für die vier Bandmitglieder von Kafvka. Da waren auf der einen Seite die Höhepunkte, die besonderen ersten Male: das Debütalbum „Hände Hoch!“ im April. Anschließend Konzerte auf riesigen Bühnen, einen ganzen Festivalsommer lang. Für „Rock im Park“ allein hatten sie drei Wochen geprobt, um mit der Anspannung fertig zu werden. Sie übten sogar die Pausen zwischen den Songs und die Sprünge in die Luft.
Am Ende tanzten Tausende wildfremder Menschen zu Liedern, die von der Flüchtlingskrise handeln, von Konsumwahn oder den Nachwirkungen des europäischen Kolonialismus. „Alle Grenzen verschwommen, alle Menschen bekommen, was sie wollen und denken fürs Volk“, sang die Menschenmasse auf dem Taubertal-Festival. Zeilen aus Kafvkas Song „Utopie“. „Ein Orgasmus der Endorphine“, sagt Bassist Philipp Lenk.
„In was für einer Blase lebe ich überhaupt?“
Doch während die Bandmitglieder einen rauschhaften Sommer erlebten, hätte sich die Realität in diesem Jahr nicht weiter von den politischen Idealen ihrer Texte entfernen können: Im Mittelmeer ertranken so viele Flüchtlinge wie nie zuvor, Großbritannien stimmte für den Brexit, und das amerikanische Volk wählte Donald Trump als seinen Präsidenten.
„In was für einer Blase lebe ich überhaupt?“, fragte sich Frontmann Jonas Kakoschke, als er wieder in seinen Alltag zurückgekehrt war. Die positive Energie, die Kafvka auf ihren Konzerten versprühten, der Enthusiasmus, die Welt verändern zu wollen – all das war wie weggespült. Erst nach ein paar Wochen wich die Niedergeschlagenheit: „Ab dann dachte ich: Jetzt erst recht!“, erzählt der Rapper.
Genau wie die Antilopen Gang und Zugezogen Maskulin machen auch Kafvka klare Ansagen
Aus ihrem Proberaum in Berlin-Lichtenberg versuchen die vier jungen Männer seitdem zu beweisen: auch als eindeutig politische Band kann man in Deutschland erfolgreich sein. Mit einer Gesellschaftskritik, die sich nicht hinter diffuser Lyrik versteckt, sondern klare Ansagen macht. So wie andere Rap-Crews wie die Antilopen Gang, Neonschwarz oder Zugezogen Maskulin trauen sich auch Kafvka, für ihre Überzeugungen das Maul aufzumachen: „Festung Europa – papperlapapp! Öffnet die Grenzen! Schließt die Verträge! Tauscht euren Wohlstand ein gegen Ehre!“, heißt es im Song „Lampedusa“.
„Festung Europa – papperlapapp! Öffnet die Grenzen! Schließt die Verträge! Tauscht euren Wohlstand ein gegen Ehre!“
Musikalisch setzt die Band – anders als viele in der deutschen Rap-Szene – nicht auf elektronische Beats, sondern auf nostalgischen Cross-over der 90er-Jahre: brodelnde Gitarrenriffs in den Strophen, die mit schöner Regelmäßigkeit in den Refrains ausbrechen. Den Botschaften von Jonas Kakoschke verleiht diese Härte und Dynamik eine enorme Eindringlichkeit, wenn er etwa im Song „Quer im Kreis“ die Leere beschreibt, die der Kapitalismus in seiner Generation auslöse. Bei der Gründung vor vier Jahren gab es keinen Masterplan: „Wir haben uns nicht als politische Band zusammengefunden, sondern wollten einfach gemeinsam Musik machen“, erzählt der 33-Jährige.
Kafvka, deren Bandname eine Verschmelzung aus dem Namen des Schriftstellers Franz Kafka und dem des MTV-Moderators Markus Kavka ist, sehen sich selbst als typische Vertreter einer politisierten Zeit: Für Jonas Kakoschke war, wie für viele andere Deutsche, die Flüchtlingskrise das Signal, politisch aktiv zu werden. Im November 2014 gründete er mit Freunden das Social-Start-up „Flüchtlinge Willkommen“, das WG-Zimmer an Asylbewerber vermittelt. Den Umgang der Gesellschaft mit den Flüchtlingen verarbeitete er auch in seinen Texten. Im bitterbösen Refrain von „Lampedusa“ heißt es: „Komm, wir fahr’n nach Lampedusa! Halt dich fit, fang an zu rudern! Hurrah, fast geschafft! Jetz’ nur noch klarkommen lernen mit dem Hass.“
Manche Musiker verkneifen sich solche Zeilen, um möglichst niemanden vor den Kopf zu stoßen. Der Kafvka-Rapper hat für diese Haltung kein Verständnis: „Gerade weil ich ein Publikum erreiche, würde ich es nicht aushalten, wenn wir bestimmte Dinge nicht ansprechen.“ So wie im Juni 2016, kurz vor dem Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich. Damals postete er auf Facebook eine Videobotschaft, die daran erinnern sollte, dass auch während der EM immer noch jeden Tag Flüchtlinge im Meer ertrinken. Das Video erreichte Hunderttausende. Jonas Kakoschke erntete viel Zustimmung, aber auch zahlreiche Hasskommentare.
„Natürlich verprellen wir damit auch potenzielle Fans, vor allem aus dem Hip-Hop-Bereich“
Bassist Philipp Lenk glaubt, dass sich die Band mit ihrer klaren Haltung auch schadet: „Natürlich verprellen wir damit auch potenzielle Fans, vor allem aus dem Hip-Hop-Bereich.“ Er verweist auf eine Untersuchung des Magazins „Musikexpress“. Der zufolge liken durchschnittlich rund 15 Prozent aller Facebook-Fans der erfolgreichsten Deutschrapper auch die AfD. Das sind aber nicht alles nur Fans von Fler. Das Erstaunliche ist: Auch Anhänger der linken Band K.I.Z folgen der Partei. Ein Facebook-Like für die AfD und eins für einen Hip-Hop-Act, der sich politisch völlig anders positioniert, scheinen sich für viele also nicht zu widersprechen.
Ihre politische Haltung öffnet der Band auch manche Türen
Bisweilen provozierten Kafvka aber auch schon im rechten Lager: So musste ein Veranstalter einen geplanten Gig in Dresden absagen, weil der damalige Kafvka-Schlagzeuger einen ihrer Songs auf den Profilen von Pegida in den sozialen Netzwerken gepostet hatte. „Der hatte Angst, dass sie ihm den Laden auseinandernehmen“, erzählt Philipp Lenk.
„Eigentlich hätte man den Anzugträgern in der ersten Reihe noch einen Spruch zu den Mietpreisen in Kreuzberg reindrücken müssen“
Danach bat ihr Management darum, solche Aktionen in Zukunft sein zu lassen. „Das war jugendlicher Leichtsinn“, erklärt Frontmann Jonas Kakoschke heute. Nach dem Vorfall häuften sich unter den Videos der Band negative Kommentare. Im Dezember 2015 wurde auf Facebook eine Todesanzeige des Rappers erstellt, inklusive einer gefakten Stellungnahme der verbliebenen Bandmitglieder. „Am Anfang habe ich darüber gelacht, aber als sich später alte Freunde und Familienmitglieder nach mir erkundigten, wusste ich, dass es nicht mehr lustig ist.“
Manchmal öffnet ihre klare Haltung der Band aber auch Türen: So durften Kafvka ihre Version vom legendären „Rauch-Haus-Song“ im November auf der „Rio Reiser-Nacht“ im ausverkauften Berliner Admiralspalast präsentieren. Ton Steine Scherben-Gründer R.P.S. Lanrue sagte ihnen anschließend, sie hätten das Lied besser gespielt als einst die Scherben. Doch völlig zufrieden war Jonas Kakoschke nicht mit dem Auftritt, der für die Band das merkwürdige Jahr 2016 beendete. „Eigentlich“, sagt er und ärgert sich noch immer über die vergebene Chance, „hätte man den Anzugträgern in der ersten Reihe noch einen Spruch zu den Mietpreisen in Kreuzberg reindrücken müssen.“
Titelbild: Jan Philip Welchering