Als der Beef des Jahrzehnts zum Höhepunkt kam, hatten Drake und Kendrick Lamar die Grenzen des Geschmackvollen längst hinter sich gelassen. Drake wusste zu berichten, dass Kendrick seine Verlobte schlägt, der Drake wiederum vorwarf, eine Tochter geheim zu halten, auf minderjährige Mädchen zu stehen und sich als Sohn einer Weißen unrechtmaßig die Schwarze Rap-Kultur anzueignen. Woraufhin Drake ihn zum Möchtegernaktivisten erklärte.
Der Beef zwischen Kendrick und Drake läuft seit gut zehn Jahren. Sogar der damalige US-Präsident Barack Obama wurde 2016 gefragt, wem er den Sieg eher zutraue (Kendrick). Es geht um zwei der wichtigsten Rapper der Gegenwart, von denen einer als talentierter Hitschreiber gilt (Drake) und der andere als tief politischer Erzähler (Kendrick). Es geht um Herkunft und Authentizität und die Frage, wer von beiden der Bessere ist – häufige Motive in Rap-Beefs.
Gekämpft wird mit allen Mitteln, auch mit Falschinformationen und strafrechtlich relevanten Vorwürfen. Das zahlt sich aus: Wenn zwei sich streiten, schauen Millionen zu. Manche Disstracks erreichten innerhalb weniger Stunden 50 Millionen Streams. Drake machte auf seiner jüngsten Tour mehr als 300 Millionen US-Dollar Umsatz, den höchsten, der je auf einer Hip-Hop-Tour eingespielt wurde, und Kendrick wird 2025 in der Halbzeitshow des Super Bowl auftreten, bei der gern mal mehr als 100 Millionen Menschen einschalten. Auf Streamingplattformen gibt es Playlists mit den Disstracks in chronologischer Reihenfolge, und der „Drake-Kendrick Lamar Feud“ hat eine eigene Wikipedia-Seite.
Warum sind Beefs so faszinierend?
Beefs gehören seit jeher zur Rap-Kultur. Ein guter Beef ist wie eine Serie, bei der man nie weiß, wann die nächste Folge kommt und wie genau sie zu verstehen ist. Die Disstracks sind in ihrem Reichtum an versteckten Anspielungen oft nur Eingeweihten verständlich. Die Fans verfolgen den Beef live, entschlüsseln die Songs bis ins Detail, überschlagen sich dabei mit teils kruden Analysen und Memes. Damit drehen sich die Aufmerksamkeitsspiralen bei TikTok, YouTube und Insta immer weiter: Skandale klicken gut. Und der Wille, siegreich aus diesem Spektakel hervorzugehen, spornt wiederum die Rapperinnen und Rapper zu Höchstleistungen an.
Oder zu Gewalt. Die Beef-Kultur wird oft dafür kritisiert, dass sie die eigentlich verbal-kreative Auseinandersetzung eskalieren lässt. Laut Medienberichten soll auf Drakes Grundstück im Frühjahr ein Sicherheitsmann angeschossen worden sein. Kurz zuvor hatte Kendrick einen Disstrack veröffentlicht, dessen Cover eine Luftaufnahme genau dieses Anwesens zeigt, samt Adresse und einigen roten Personenmarkern. Auch der wohl bekannteste Rap-Beef endete gewaltsam: Beim Zweikampf zwischen der Ost- und der Westküste der USA in den 1990er-Jahren kamen mehrere Rapper ums Leben. Auch die Morde an den Rivalen 2Pac und The Notorious B.I.G. werden oft mit dem Beef in Zusammenhang gebracht.
Woher kommt der Rap-Beef?
Was wir heute in erster Linie als Mackergehabe kennen, hat wohl eine Jugendliche erfunden. 1984 rappt die Gruppe U.T.F.O. über die fiktive Roxanne, die alle Bandmitglieder nacheinander abblitzen lässt. „Roxanne, Roxanne“ wird ein Hit, und U.T.F.O. werden in die Radioshow „Rap Attack“ eingeladen, eine der damals wenigen Hip-Hop-Sendungen der USA. Aber: Die Band kommt nicht.
Der Produzent will sich rächen, er bittet seine Nachbarin um eine Antwort auf U.T.F.O. Lolita Shante Gooden ist gerade mal 14 Jahre jung und eine talentierte Rapperin. Unter dem Namen Roxanne Shanté improvisiert sie in der Sendung „Roxanne’s Revenge“, den ersten Disstrack, von dem eine Aufnahme überliefert ist. Live und mit nur einem Versuch: Sie will nach der Sendung noch schnell zum Waschsalon.
Der Song gilt heute als Türöffner für Frauen in der Rap-Szene. Die spätere Single des Songs verkauft sich allein in New York eine Viertelmillion Mal, Roxanne Shanté wird der erste weibliche Hip-Hop-Star. Das wollen U.T.F.O. nicht auf sich sitzen lassen, klagen erst wegen Copyright und rappen dann zurück. Roxanne Shanté kontert, woraufhin viele Rapperinnen und Rapper ihrerseits Tracks bringen, in denen sie sich als Roxannes Brüder, Schwestern, Eltern oder Ärzte ausgeben.
Wie beendet man einen Beef?
Seit den „Roxanne Wars“ ist Beef nicht mehr wegzudenken aus dem Rap, auch nicht aus dem deutschen. Hierzulande beeften sich Apache 207 mit Fler, Capital Bra mit NGEE, Bushido mit Sido oder Kool Savas mit Eko Fresh. Savas’ „Das Urteil“ gilt dabei auch fast 20 Jahre nach Erscheinen als Rap-Großereignis. Der Disstrack war so vollendet, dass er den Beef direkt beendet hat.
Dieser Text ist im fluter Nr. 93 „Rap“ erschienen
Neulich versuchte sich Farid Bang mit einem extrem misogynen Diss gegen Nina Chuba, die ließ sich aber zu keiner Antwort herab. Dabei beefen nicht nur Männer. Nicki Minaj disst ständig, gegen Megan Thee Stallion, Cardi B oder Lil Kim, und Doja Cat beeft sogar mit ihren eigenen Fans, deren Fan-Accounts sie lächerlich findet.
Wie man Beefs deeskaliert, wurde im Fall der „Roxanne Wars“ klar: Die Radios hörten irgendwann einfach auf, all die neuen Disstracks zu spielen. Ein Track der East Coast Crew namens „The Final Word – No more Roxanne (Please)“ sorgte für ein vergleichsweise gesittetes Ende. Selbst im Rap hilft es mal, wenn man Bitte sagt.
Illustration: Sebastian Haslauer