Was passiert?
Paris, 1844. Mit erst 26 Jahren hat sich Karl Marx (August Diehl) zwar als Journalist und politischer Theoretiker einen Namen gemacht, schlägt sich in der französischen Hauptstadt aber mit seiner Frau Jenny (Vicky Krieps) mehr schlecht als recht durch. Das kritische Verhältnis zum französischen Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon und die baldige Bekanntschaft mit dem Unternehmersohn Friedrich Engels prägen Marx‘ Entwicklung einer politischen Ökonomie, die wesentlich zum geistigen Nährboden der Revolutionen von 1848 beiträgt. Im selben Jahr erscheint das gemeinsam von Marx und Engels verfasste „Manifest der Kommunistischen Partei“.
Was zeigt uns das?
Dass Marx‘ Analyse des Kapitalismus und seine Ideen für eine gerechtere Gesellschaftsordnung ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Der auf Haiti geborene, stets politischen Themen verpflichtete Regisseur Raoul Peck stellt auf der Berlinale aber nicht zufällig neben „Der junge Karl Marx“ noch den Dokumentarfilm „I Am Not Your Negro“ über den Bürgerrechtler James Baldwin vor. In einer Zeit des politischen Rollbacks wollen Pecks Filme agitieren.
Wie wird’s erzählt?
Als klassisches Biopic, das sich aber, wie neuerdings in diesem Genre üblich (siehe etwa auch „Django“), auf eine bestimmte Lebensphase des Porträtierten beschränkt. Um nicht nur den Theoretiker am Schreibtisch zu zeigen, gibt sich der Film in Nebenhandlungen Mühe, die Lebensumstände des Proletariats in der Zeit der Industriellen Revolution zu zeichnen. Interessant, aber durchaus Vorkenntnisse erfordernd, sind die turbulenten Debatten zwischen Marx und anderen progressiven Akteuren der Vormärz-Epoche. Warum ein Film über ein revolutionäres Thema aber in der biederen Form des Hollywood-Historienfilms erzählt wird, bleibt ein Rätsel.
Beste Nebenrolle
Engels natürlich, im Film gespielt von Stefan Konarske. Gibt Marx mit seinen Studien zum Proletariat wichtige Impulse, füttert ihn jahrelang durch, ist Co-Autor des „Kommunistischen Manifests“, von dessen Entstehung der Film handelt. Fair Play: Der Film sollte „Marx & Engels – Angry Young Men“ heißen.
Geht gar nicht
Historienfilm-Klischees. Besonders, wenn Drehbuchautoren ihre historischen Figuren Sachen sagen lassen wie: „Die Geschichte wird uns recht geben, Karl!“ Und beim Abspann zeigt der Film zu Dylans „Like a Rolling Stone“ eine beliebige Montage aus berühmten Archivaufnahmen des 20. Jahrhunderts: Weltkriege, Befreiungskämpfe, 68er-Demos, DDR-Flucht, Ronald Reagan usw. Soll anscheinend den Bogen in die Gegenwart spannen, den der Film überraschend schuldig bleibt.
Wieder was gelernt
Der junge Marx war ein ziemlicher Slacker. Unordentlich, verpeilt, knapp bei Kasse. Vermutlich beruft sich der Film dabei auf den legendären Spitzelbericht der preußischen Polizei von 1853: „Im Privatleben ist er ein höchst unordentlicher, zynischer Mensch, ein schlechter Wirt; er führt ein wahres Zigeunerleben, Waschen, Kämmen und Wäschewechsel gehört bei ihm zu den Seltenheiten; er berauscht sich gern […]; sehr oft bleibt er ganze Nächte auf, dann legt er sich wieder mittags ganz angekleidet aufs Kanapee und schläft bis abends, unbekümmert um die ganze Welt, die bei ihm frei aus- und eingeht.“
Ideal für...
... cordhosige Geschichtslehrer, August-Diehl-Fans oder Salonsozialisten, die sich gern über klischeehafte Geschichtsfilme echauffieren.
„Der junge Karl Marx“, Regie Raoul Peck, mit August Diehl, Stefan Konarske, Vicky Krieps, Olivier Gourmet, Frankreich, Deutschland, Belgien 2017, 112 Min.
Foto: Kris Dewitte